Beim ersten Blick in den Ausstellungssaal – ein großer Raum der in verschiedene Themeninseln unterteilt ist – bekommen wir ein unangenehmes Gefühl. Alles ist dunkel. Der gesamte Raum ist in Schwarz gehalten. Immer mal wieder wechseln an der gegenüberliegenden Wand digitale LED-Schriftbänder ihren Inhalt und man blickt auf eine projizierte Menschenmenge, die einen in Grautönen anschaut. Ein Museumsmitarbeiter erklärt uns, dass wir in der hinteren linken Ecke beginnen sollen. Um was es denn in der Ausstellung genau gehe? - Um ‚Vertrauen‘, sagt man uns.
Kontext
Politik benötigt Vertrauen – früher wie heute.“ Diese These zieht sich durch die gesamte Ausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Mit „Vertrauensfragen. Der Anfang der Demokratie im Südwesten 1918-1924“ versucht das Museum, einen neuen multimedialen und vor allem regionalen Zugang zum Thema Vertrauen in den Rechtsstaat und die Demokratie zu schaffen. Über sechs Stationen verteilt kann man sich mit der baden-württembergischen Landesgeschichte ab dem Ende des Ersten Weltkriegs, über die Gründung der Weimarer Republik und darüber hinaus beschäftigen. Neben diesen Inhalten liegt der Fokus auf dem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit, Träumen und Realitäten sowie Ausgrenzung und Zusammenhalt in der Weimarer Republik. Alles Themen, die im direkten Bezug zu heutigen Geschehnissen betrachtet werden können.
Mitmachen lohnt sich
Diesen Gegenwartsbezug herzustellen, scheint den Kurator*innen der Ausstellung ein wichtiges Anliegen zu sein: An jeder Station finden sich Verweise zu aktuellen Themen und Fragestellungen. Gesellschaftliche Themen wie Fake-News werden mithilfe interaktiver Elemente veranschaulicht. So beispielsweise an einem Touchscreen, an dem die Besucher*innen aufgefordert sind, Falschmeldungen von tatsächlichen Nachrichten zu unterscheiden. Hat man alle Falschmeldungen entlarvt, wird einem direkt und einfach erklärt, wie man Richtiges von Falschem trennen kann und welche Aspekte beim News-Lesen zu beachten sind: Wer hat wann publiziert? Welche Intention verfolgen die Autor*innen oder gibt es Merkmale, die einen besonders stutzig machen sollten? Gerade für jüngere Besucher*innen haben diese Stationen einen großen Mehrwert, da spielerisch und leicht verständlich an diese Themen herangegangen wird und dabei alle Sinne sensibilisiert werden. Einige Stationen lassen sich von Anfang an nur gemeinsam absolvieren und fordern Teamwork, um zusammen Ziele zu erreichen. Es geht um Zusammenhalt, Partizipation und – wer hätte es gedacht – um Vertrauen. Wie eben auch in der realen Welt.
Für alle etwas dabei
Insgesamt versucht die Ausstellung alle Altersgruppen anzusprechen. Neben den interaktiven Elementen gibt es auch klassische Schaukästen für die nicht so technikaffinen Besucher*inenn. In den Vitrinen werden neben politisch relevanten Dokumenten auch Zeugnisse der schlimmen Nachkriegsjahre ausgestellt. So beispielsweise Blutbrot – ein Nahrungsmittel aus Tierblut und Strohmehl. Auch die erste Antrittsrede einer ins Parlament gewählten Frau und die badische Landesverfassung, Erinnerungsstücke wie Stofftiere, ein Damenfächer und vieles mehr werden den Besucher*innen präsentiert. All das bringt einem den Alltag der Nachkriegszeit – geprägt durch Hunger, Nöte und Mangel – auch auf einer emotionalen Ebene näher.
Lehrer*innen aufgepasst!
Gerade für Schulklassen, die wohl die größte Gruppe junger Besucher*innen ausmachen, bieten die interaktiven Stationen viel Raum zur Selbstinformation. Leider stellen wir bei unserem Aufenthalt fest, dass gerade diese Gruppen immer wieder durch langatmige Führungen eingeschränkt werden und dadurch eben nicht von den vielfältigen Mitmachstationen profitieren können. Zwar sind die Führungen keineswegs schlecht gemacht und auch vom museumspädagogischen Mitarbeiter*innen interessant gestaltet, allerdings empfiehlt es sich aus unserer Sicht nicht, in einer dermaßen interaktiven Ausstellung alleinig auf das klassische Element des „Ich erkläre, ihr hört zu“ zurückzugreifen. Die Gruppen, welche wir während unseres zweieinhalbstündigen Aufenthalts beobachten, kommen eine halbe Stunde nach uns an und sind ungefähr eine halbe Stunde vor uns wieder fertig. Kein*e Schüler*in hält eine so lange Führung durch und interessiert sich anschließend noch für die Thematik – wir sprechen aus Erfahrung. Stattdessen böte sich unserer Ansicht nach eine ‚knackige‘ 20-Minuten-Einführung in das Thema an, um danach den Schüler*innen Freiraum zu lassen, sich selbstbestimmt in der Ausstellung zu bewegen. Ganz nach dem Motto „weniger ist manchmal mehr“.
Klein aber oho – Das zeichnet die Ausstellung aus
Die Zeit der Weimarer Republik war bezeichnend für einen gesellschaftlichen Umbruch in Deutschland. Sie brachte viele liberale Veränderungen, neue Ideen aber auch dogmatische Rivalitäten zwischen verschiedenen politischen Lagern hervor. Aus heutiger Sicht wird die damals junge Demokratie oft als schwach, träge und vom Aufstieg Hitlers determinierte Zwischenstation zum Faschismus betrachtet. In der Ausstellung sehen wir im Gegensatz dazu ebenso positive Aspekte und Errungenschaften der damaligen Zeit, die durchaus als grundlegend für unsere heutige Staatsform und Gesellschaft zu verstehen sind. Eine Staatsform, in der alle individuelle Freiheit mit Respekt vor den anderen ausleben dürfen. Vergangenheit nicht als bloße Geschichte, sondern vielmehr als Spiegel für die heutige Zeit wahrnehmen - das ist die Devise der Ausstellung.
Schließlich sollen die Besucher*innen angeregt werden, über Vertrauen und Misstrauen in unserer Demokratie zu reflektieren: Eurokrise, Rechtsruck und Terroranschlägen beschäftigen uns heute ebenso, wie Krieg, Hunger und Arbeitslosigkeit die damalige Bevölkerung. Wer sich also von der Tragweite dieses zeitlich kurzen Abschnitts deutscher und vor allem auch badischer und württembergischer Geschichte überzeugen lassen will, ist in der Ausstellung gut aufgehoben und wird von der Fülle an gestalterischen und medialen Inhalten begeistert sein. Sie möchten das nicht glauben? Vertrauen Sie uns!
Eine Rezension von Hannah Staudenmayer und Timo Mäule
Literatur-Recherche von Jasmin Hopfer
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Daten im Überblick
Museum: Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Ausstellung: „Vertrauensfragen - Der Anfang der Demokratie im Südwesten 1918-1924“
Zeitraum: vom 30.09.2018 bis 11.08.2019
Kontakt: Haus der Geschichte Baden-Württemberg; Konrad-Adenauer-Straße 16; 70173 Stuttgart
Öffnungszeiten: Di-So: 10-18 Uhr; Donnerstag bis 21 Uhr geöffnet; Montag geschlossen
Eintrittspreise: Kinder und Schüler*Innen: kostenlos; Erwachsene: 5 Euro; ermäßigt 2,50 Euro
Führungen: An Sonn- und Feiertagen um 15.30 Uhr, oder nach Vereinbarung
Anfahrt: Das Haus der Geschichte ist vom Stuttgarter Hauptbahnhof in etwa einer Viertelstunde zu Fuß erreichbar. Die Stadtbahnhaltestelle „Charlottenplatz“ (U5, U6, U7, U12, U15, U21, U24) liegt etwa fünf Gehminuten vom Museum entfernt. Bitte beachten Sie: Wegen Bauarbeiten bei der Landesbibliothek ist der Zugang zum Haus der Geschichte bei Ausstieg an der Haltestelle „Charlottenplatz“ nur noch über die Urbanstraße möglich. Die Stadtbahnhaltestelle „Staatsgalerie“ (U1, U2, U9, U14) liegt ebenfalls etwa fünf Gehminuten vom Museum entfernt.
Link zur externen Homepage: https://www.hdgbw.de/das-museum/besucherinformation/
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