Die Ausstellungskonzeption und -gestaltung der Dauerausstellung "Landesgeschichte(n)" im Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Die Dauerausstellung „Landesgeschichte(n)“ erzählt auf einer Fläche von 2100 Quadratmetern Episoden aus der Geschichte des deutschen Südwestens. Neben staatsgeschichtlichen Ereignissen kommt
aber auch die Alltagskultur nicht zu kurz.
Nach dem Motto „Das Beste zum Schluss“ wird uns am Ende der Ausstellung das von der EU geschützte Rezept für original schwäbische Spätzle „verraten“. 1
Dauerausstellung "Landesgeschichte(n)", Bilder: Maike Deutscher.
1500 Exponate – Diese Zahl spricht für sich
Die „Landesgeschichte(n)“ sind das zentrale Vermittlungsangebot im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart. In der Erzählung stehen Objekte im Mittelpunkt: Angefangen bei Büsten Napoleons über Uniformen, Gemälde, Plakate und Alltagsgegenstände aus den einzelnen Zeitabschnitten bis hin zu vielen privaten Fotos von bekannten als auch unbekannten Menschen. Beginnend mit den grundlegenden – nicht nur territorialen – Veränderungen, die Napoleon vor gut 200 Jahren auslöste, führt uns die Ausstellung vom neu entstandenen Königreich Württemberg zum modernen Südwest-Staat Baden-Württemberg.
So findet man beispielsweise ein Foto von Carl und Bertha Benz, die einen Reifen bei ihrem Auto wechseln, neben einem Hochzeitsfoto eines unbekannten Paares aus dem Südwesten. Manchmal weiß man vor lauter Exponaten gar nicht, wo man als erstes hinsehen soll.
Das ist vor allem ab dem Themenbereich zum Ersten Weltkrieg der Fall. Hier wirken die Räume beinahe überladen – ob das Teil eines szenographischen Konzepts ist?
So oder so muss beachtet werden: Aufgrund der Fülle an Exponaten, die am Rand, aber auch inmitten der Räume platziert sind, ist es in der Ausstellung teilweise eng. Zum einen haben es Menschen im Rollstuhl dadurch sehr schwer, zum andern kann es bei einem großen Besucherandrang zu Gedrännge zwischen den Vitrinen kommen, was nicht zu einem entspannten Museumsbesuch beiträgt. Weniger ist vielleicht doch manchmal mehr. Ein klares Leitsystem, wie man die Ausstellung begehen und wo man beginnen soll, ist zudem nicht erkennbar. Die Fülle an Ausstellungsstücken weckt besonders im Bereich der Alltagsgegenstände „Entdeckerfreude“: Bei Haushalts-gegenständen und Spielzeug kann jeder Besucher direkte Bezüge zu seinem eigenen Leben suchen und sich so angesprochen fühlen.
Für die Leseratten unter uns
Am Anfang eines jeden Zeitabschnitts fasst ein kurzer einleitender Text die wichtigsten Fakten zusammen. Die einzelnen Objekte sind in teilweise sehr ausführlichen Texten beschrieben. So werden notwendige und interessante Hintergründe geliefert. Wer gerne lesend neues Wissen erlangt, ist hier also genau richtig. Zusätzlich sind an den Wänden immer mal wieder prägnante Sätze oder Schlagworte präsentiert. Teilweise sind dies auch Aussagen bekannter Personen aus den verschiedenen Zeitabschnitten, wie „Fortan aber sind wir ein Volk“ von Karl von Rotteck, aus dem Jahr 1818. Rotteck war ein deutscher Staatswissenschaftler, Historiker und liberaler Politiker. Allgemein eignen sich die Texte auch für Menschen, die nicht über eine besondere historische Vorbildung verfügen, denn sie sind gut verständlich. Manchmal ist jedoch nicht ganz klar, welcher Text zu welchem Objekt gehört, da auf eine Nummerierung von Objekt und Text verzichtet wurde.
Ein szenographisches Konzept, das sich sehen lassen kann!
Das szenographische Konzept der Ausstellung macht die jeweiligen Erzählungen sinnlich erfahrbar: So ist der Abschnitt zur Revolution von 1848 dunkelgrau gehalten und mit einem Boden aus Steinplatten versehen. Einige dieser Platten wackeln beim Darübergehen. Diese Gestaltung korrespondiert also mit der Aufbruchsstimmung und den unbeständigen und unsicheren Verhältnissen der damaligen Zeit. Begibt man sich dann später räumlich in die Nachkriegszeit mit dem Übergang in die Gegenwart, so ist dieser Abschnitt durch helle Farben, Licht und Glas geprägt. Das passt wiederum zur Hoffnung und zum Optimismus der Menschen dieser Zeit und steht wahrscheinlich auch für Demokratie und Transparenz. Auf Grund der unterschiedlichen Gestaltung fühlt man sich in jedem Raum in eine neue „Welt“ versetzt, ohne sich die einzelnen Exponate genau anschauen zu müssen. Raffiniert sind die Deckenfenster, die die Ebenen „Vergangenheit“ und „Gegenwart“ räumlich mit einer vertikalen Sichtachse verbinden. So verdeutlicht beispielsweise ein solches Fenster beim Thema Wirtschaft zeitlich übbergreifende Entwicklungen und historische Zusammenhänge.
Worauf die Schulen noch warten – Neue Medien und Multimedialität im Museum
Bereits in der Eingangshalle befindet sich auf dem Boden eine große digitale, begehbare Landkarte mit den Herrschaftsgebieten von 1790. So kann man sich dort einen ersten territorialen Überblick über den deutschen Südwesten verschaffen, bevor es richtig losgeht. Bei der Ausstellung wurde genau das richtige Maß getroffen, was den Einsatz von Technik und Multimedia betrifft. Besonders gut gefiel mir, dass die Medien und die Technik an die jeweiligen Zeiten angepasst sind. Mit fortschreitender Zeit werden nach und nach mehr Medien eingebunden und die Technik wird auch immer moderner. So arbeiten die Gestalter für die Revolutionszeit 1848/49 lediglich mit den Namen von Beteiligten, die an die Wand projiziert sind. Danach werden im Themenblock des Ersten und Zweiten Weltkrieges filmische Sequenzen gezeigt. In der „Gegenwart“ angekommen gibt es dann einen Touchscreen, über den man Objekte anwählen kann, um sich so Hintergrundinformationen zu holen. Durchgängig findet man in den verschiedenen Räumen einen Bildschirm an der Wand, der die Karte Deutschlands zeigt und mit einem Hebel an der Seite verstellbar ist. Je nach Zeit zeigt die Karte ein anderes Thema, wie Herrschaftsgebiete oder Wahlergebnisse. Die Technik ist überall unaufdringlich eingesetzt und ergänzt die analogen Objekte sinnvoll. Besonders pfiffig ist das beim Themenabschnitt „Schwarzwald“ gelöst. Dort sind Bildschirme und allerlei weitere Technik in einen, dem Schwarzwald nachempfundenen „Wald“ integriert. Um auf die Technik zugreifen zu können, muss man Baum-Installationen aufklappen.
Hands-On! Bei den Themen "Migration" und "Schwarzwald", Bilder: Maike Deutscher.
Stichwort Barrierefreiheit
Das Haus der Geschichte verfügt übber einen barrierefreien Zugang und Eingangstüren, die per Knopf elektrisch zu öffnen sind. Desweiteren sind im Museum Aufzüge vorhanden, um in die verschiedenen Ebenen der Ausstellung zu gelangen. Innerhalb der Ausstellung ist es, wie oben bereits erwähnt, jedoch etwas eng und manchmal gibt es kleine Absätze, die zu Hürden werden können. Durch die vielfältigen Exponate werden verschiedene Sinne angesprochen, was zur Inklusion beiträgt. So gibt es verschiedene Stationen, an denen man sich per Knopfdruck etwas anhören kann. Ein gutes Beispiel hierfür ist in der Abteilung „Ein- und Auswanderung“ in der Gegenwart zu finden. Dort gibt es überdimensional große Koffer, in die man sich hineinsetzen kann. Per Knopfdruck können die Geschichten von Ein- oder Auswanderern angehört werden. Die Exponattexte sind leider weder zweisprachig oder in einfachem Deutsch noch in Brailleschrift
verfasst. Das macht es für Blinde und nicht deutschsprechende Menschen unmöglich, leserisch mehr über die Objekte zu erfahren. Es besteht aber die Möglichkeit, mit einem Mediaguide, der die Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch anbietet, durch die Ausstellung zu gehen. Sitzmöglichkeiten gibt es wenige, was aber wahrscheinlich damit zusammenhängt, dass diese die Räume noch enger machen würden. Im Übergangsbereich von der „Nachkriegszeit“ in die „Gegenwart“ befinden sich mehrere Sitzmöglichkeiten, von denen aus man auf den Landtag – also auf die politische Gegenwart – schauen kann.
Und für wen lohnt sich ein Ausstellungsbesuch?
Kurz gesagt, die Ausstellung ist sehenswert. In jedem Fall lohnt es sich, für einen Besuch Zeit mitzubringen. Gerade für junge Menschen ist mit Sicherheit auch der vielfältige Medien-Einsatz ansprechend. Schulklassen können auf anschauliche Art und Weise ihr frisch erlerntes Wissen vertiefen und durch neue Eindrücke erweitern. Positiv ist außerdem, dass man auch auf eigene Faust losgehen kann und nicht zwangsläufig eine Führung braucht, da alles gut erklärt ist. An einigen Sonntagen gibt es aber Familienführungen, die für jüngere Kinder geeignet sind. Ansonsten empfehle ich die Ausstellung für Jugendliche ab 14 Jahre. Wichtig zu erwähnen ist, dass das Museum für alle Interessierten gleichermaßen geeignet ist und nicht nur historisch Vorgebildete auf ihren Geschmack kommen. Fazit: Die Ausstellung ist zum einen ein multimedialer Lernort, bietet aber auch beste Voraussetzungen für einen abwechslungsreichen und informativen Sonntagnachmittag.
Eine Rezension von Maike Deutscher
Anmerkung:
1) Der Blog verschreibt sich der Verwendung einer gendersensiblen Sprache. Die Autorin hat sich entschieden, auf gendersensible Schreibweisen zu verzichten.
Das Wichtigste auf einen Blick:
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 Uhr bis 18 Uhr
Preise: Erwachsene 5 €, ermäßigt 2,50 €, Familie groß: 5 €, Familie klein: 2,50 €, Schüler: frei
Adresse: Konrad-Adenauer-Straße 16 (an der Kulturmeile Stuttgart)
Anfahrt: Das Haus der Geschichte ist vom Stuttgarter Hauptbahnhof in etwa einer Viertelstunde zu Fuß erreichbar. Die Stadtbahnhaltestelle "Charlottenplatz" (U5, U6, U7, U12, U15, U21, U24) liegt etwa fünf Gehminuten vom Museum entfernt. Bitte beachten Sie: Wegen Bauarbeiten bei der Landesbibliothek ist der Zugang zum Haus der Geschichte bei Ausstieg an der Haltestelle "Charlottenplatz" nur noch über die Urbanstraße möglich. Die Stadtbahnhaltestelle "Staatsgalerie" (U1, U2, U9, U14) liegt ebenfalls etwa fünf Gehminuten vom Museum entfernt.
Parken: Parkhaus in unmittelbarer Nähe (unter dem Gebäude)
Website: https://www.hdgbw.de/, dort finden Sie einfach und übersichtlich alle nötigen Zusatzinformationen.
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