Das DOMiD: Interview mit Dr. Caroline Authaler

Lesezeit ca. 4 Minuten


Migration – ein in den letzten Jahren stark diskutiertes Thema. Die von vielen als „Flüchtlingskrise“ bezeichnete Migrationsbewegung von 2015 hat Deutschland und seine Bevölkerung wie sonst nur selten politisch beschäftigt. Dabei blieb eine reflektierte Sicht auf vergangene Migrationsbewegungen und die lange Geschichte der Migration oftmals aus. Das Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. (kurz DOMiD) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Migration und den Wandel der Migrationsgesellschaft in Deutschland zu dokumentieren. Dabei ist die Perspektive der Migrant*innen zentral. Die Historikerin und Projektleiterin Dr. Caroline Authaler leitet am DOMiD das Vermittlungsprojekt „Gemeinsam unterwegs? Geschichte(n) der Migrationsgesellschaft“. Im Interview berichtet sie uns von ihrem beruflichen Werdegang von der Beschäftigung mit der (verdrängten) deutschen Kolonialgeschichte bis hin zur häufig vernachlässigten Migrationsgeschichte und welch wichtige Aufgabe das DOMiD deshalb in Deutschland einnimmt. 


Bild: Caroline Authaler, DOMiD.
Bild: Caroline Authaler, DOMiD.

Was haben Sie studiert und worauf haben Sie sich dabei spezialisiert?

Ich habe Geschichte, Politikwissenshaft und Romanistik studiert. Die Verflechtungsgeschichte zwischen Afrika und Europa, insbesondere die Kolonialgeschichte, wurden zu meinen Spezialgebieten, zu denen ich meine Doktorarbeit geschrieben habe. Mein Interesse für die Kolonialgeschichte wurde durch die komplexe Erinnerungskultur bzw. das öffentliche Vergessen derselben herausgefordert. Entdeckt habe ich das Thema erst während meines Erasmus-Semesters in Bologna. Durch ein Praktikum in Kamerun, im Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung, durfte ich die komplexe, teilweise widersprüchliche (geteilte) Erinnerungskultur zwischen Kamerun und Deutschland kennenlernen. Ich war bestürzt über die Ignoranz der eigenen Kolonialgeschichte in Deutschland, sowie die Arroganz, mit der diese kleingeredet wird und die komplexe Erinnerungskultur Kameruns ausgeblendet wird. Dabei hat sie konkrete Auswirkungen auf die Gegenwart, etwa auf Migrationsprozesse zwischen beiden Ländern. Daher ist es ein wichtiger Antrieb meiner Arbeit als Historikerin, das Wissen über die verdrängte Geschichte zu mehren und damit auf die öffentliche Erinnerung einzuwirken. 

 


Sie arbeiten am Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V. – kurz DOMiD.
Wie sind Sie zu dieser Anstellung gekommen?

Ich habe mich – ganz klassisch – auf eine Stellenanzeige beworben. Inhaltlich war die Arbeit bei DOMiD eine Fortführung meiner Arbeit in Forschung und Geschichtsvermittlung, denn die Kontinuitäten der Kolonialgeschichte prägen die deutsche Migrationsgesellschaft und ihre Geschichte. DOMiD wurde 1990 gegründet, um die Geschichte(n) von Migrant*innen öffentlich sichtbar zu machen, diese in die Narrative der deutschen Geschichte einzuschreiben und zu vermitteln.   
 


Was sind Ihre Aufgaben bei DOMiD und wie verläuft Ihr Arbeitsalltag?
Bei DOMiD leite ich das Vermittlungsprojekt „Gemeinsam unterwegs? Geschichte(n) der Migrationsgesellschaft“, das von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Integration und Flüchtlinge gefördert wird. Als Projektleiterin muss ich das große Ziel vor Augen haben und die Projektteile und Vermittlungsformate darauf zuschneiden, immer im Austausch mit meinem inzwischen fünfköpfigen Team, der Geschäftsführung, dem Vorstand und nicht zuletzt mit den Geldgebern. Dabei geht es auch um das Managen von Ressourcen: Zeit, Budget und die Ressourcen der Projektmitarbeiter*innen müssen geplant und im Blick behalten werden. Zu den genuinen Historiker*innen-Aufgaben gehört inhaltliche Arbeit wie etwa das Verfassen von konzeptuellen Texten und das Entwerfen von Veranstaltungsideen. Mich dafür in mein Büro zurückzuziehen und zu lesen, gehört zu meinen Highlights, gerade weil dies im bewegten Arbeitsalltag nicht immer einfach ist. So oft es geht entwickle ich selbst Vermittlungsformate wie Workshops oder eine mobile Ausstellung. Dabei bin ich viel im Kontakt mit Kooperationspartnern aus Wissenschaft, Bildung und Kultur. Mein Arbeitsalltag ist sehr kommunikativ und abwechslungsreich.
 


Was sind Ihre persönlichen Highlights bei der Arbeit für DOMiD?

Konzeptionelles Arbeiten, Gespräche mit Zeitzeug*innen und wenn ich selbst vermitteln kann, z.B. in Workshops oder bei Führungen durch das Depot von DOMiD. Dadurch mitzuerleben, was es für Menschen bedeutet, die Geschichte ihrer Familie in Objekten wiederzuerkennen und zu realisieren, dass diese Geschichten es wert sind, im Museum gezeigt zu werden, ist eine große Motivationsquelle. 
 


Welchen Tipp können Sie Geschichtsstudierenden für ihr späteres Berufsleben geben? 
Verfolgt die aktuellen gesellschaftlichen Debatten. Geschichte hat sehr viel mehr mit der Gegenwart zu tun, als es manchen scheint. Jedoch müssen wir dies oft erst erklären. Es hilft daher enorm, sich selbst über den Sinn des Fachs im Klaren zu sein. Über die (Mit)Arbeit in sozialen, kulturellen oder politischen Projekten könnt Ihr Themen finden, die Euch motivieren und vor allem Fähigkeiten erlangen, die über die historischen Methoden hinausgehen. Oft ist es genau die Kombination aus historischer Perspektive und konkreten Fertigkeiten, die Euch für Arbeitgeber interessant machen.

 

Einblick in das geplante Museum. Bild: krafthaus/ DOMiD-Archiv, Köln.
Einblick in das geplante Museum. Bild: krafthaus/ DOMiD-Archiv, Köln.

 

Auf der Website von DOMiD steht: „[…] die Geschichte der Einwander*innen erhielt weder in der historischen Wissenschaft noch in Museen oder Archiven besondere Aufmerksamkeit.“ Daraus ergibt sich die Frage: Warum ist es gerade in der heutigen Zeit wichtig, sich mit der Geschichte der Migration in Deutschland zu beschäftigen?
Es war natürlich vor 30 Jahren genauso wichtig, sich mit der Migrationsgeschichte Deutschlands zu befassen. Auch damals wurde Menschen mit Migrationsgeschichte regelmäßig die Zugehörigkeit zur hiesigen Gesellschaft abgesprochen und Menschen wurden durch rassistische Gewalt getötet. Damals aber galt noch das politische Diktum, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Migration wurde im politischen Diskurs daher als ein vorübergehendes Thema behandelt, was sich u.a. am problematischen Begriff der „Gastarbeiter“ zeigt. Vielleicht kann man sagen, dass es heute dringlicher denn je ist, die Migrationsgeschichte als einen genuinen Teil der Geschichte dieser Gesellschaft zu behandeln, eben weil dies viel zu lange versäumt wurde. Darüber hinaus gibt es auch aktuelle Entwicklungen. Wir haben eine neue gesellschaftliche Realität, in der etwa in unseren Großstädten jedes zweite Neugeborene einen sogenannten Migrationshintergrund hat.  Gleichzeitig sitzt im Bundestag nun eine rechtsextreme Partei, die diese Realität ablehnt. 

 

 

Ihre persönliche Einschätzung: Inwieweit hilft die Arbeit von DOMiD dabei, die Akzeptanz größerer Migrationsbewegungen nach Deutschland, gerade im Hinblick auf die sogenannte „Flüchtlingskrise“, auszubauen? 
Mit Blick auf die Geschichte ist es eine wichtige Aufgabe von DOMiD, die wissenschaftliche Erkenntnis, dass Migration schon immer die deutsche Gesellschaft geprägt hat, an möglichst viele gesellschaftliche Gruppen zu vermitteln. Wenn wir schon über Quantitäten sprechen – was ich grundsätzlich nicht für besonders hilfreich halte – sind direkt nach dem Zweiten Weltkrieg viel mehr Menschen in das Gebiet des heutigen Deutschlands gekommen als 2015 und 2016. Zu jeder Zeit in der deutschen Geschichte hat sich die Gesellschaft immer wieder gewandelt durch Migration und die Einflüsse, die sie dadurch erhalten hat. Migration ist eine gesellschaftsprägende Kraft. Wenn dieses Wissen in der Gesellschaft im öffentlichen Diskurs zum Allgemeinwissen zählt, dann kann aktuelle Migration entdramatisiert werden, weil sie nicht mehr als etwas Außergewöhnliches oder Krisenhaftes, sondern schlicht als Normalfall wahrgenommen wird. 
 


Mit welchen Themen beschäftigt sich das DOMiD aktuell und inwieweit betrifft die Corona-Pandemie – auch im Hinblick auf verhinderte Migration an den EU-Grenzen – Ihre Arbeit? 

Die Corona-Pandemie ist in der Tat ein wichtiges Thema, das auch in der DOMiD-Sammlung abgebildet werden soll. Die Pandemie wirkt in unserer Migrationsgesellschaft sehr unterschiedlich. Migrant*innen sind bspw. überproportional in sog. systemrelevanten Berufen vertreten, die Bedeutung und genauso die Vulnerabilität bestimmter Gruppen, wie die der Arbeitsmigrant*innen in der Fleischindustrie, wird derzeit besonders sichtbar. Für DOMiD ist es wichtig, solche Geschichten zu dokumentieren und zu archivieren, damit künftige Generationen sich differenziert an die Pandemie und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen erinnern können.    Aktuell stehen vor allem die architektonischen und inhaltlichen Planungen für das künftige Migrationsmuseum im Zentrum der Arbeit von DOMiD. Nach 30-jähriger Arbeit haben Bund und Land 2019 die Mittel in die jeweiligen Haushalte eingestellt, um das „Haus der Einwanderungsgesellschaft“ (Arbeitstitel) zu errichten, ein zentrales Migrationsmuseum mit bundesweiter Ausstrahlkraft, das 2025 in Köln eröffnet werden soll.
 
Ich danke Dr. Caroline Authaler für das Interview.  

Ein Beitrag von Timo Mäule


Wegen der aktuellen Situation (COVID-19) erfolgte die Befragung per E-Mail. Ein Interview geführt mit Dr. Caroline Authaler, DOMiD, Stand: 30.06.2020. Alle Rechte vorbehalten.


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