Interview mit Nico Nolden


Im Arbeitsalltag des Hamburger Historikers Nico Nolden dreht sich viel um digitale Spiele. „Pft, ein Zocker!“, mag sich da der eine oder die andere leise denken. Weit gefehlt. Im Gespräch mit historischer-augenblick.de erzählt Nolden, wie er sich in der akademischen Forschung und Lehre, aber auch in Projekten mit Museen, Produktionsfirmen und auf seinem Blog mit dem Thema auseinandersetzt. An der Universität Hamburg hat er ein Game-Lab mitaufgebaut, an der Leibniz Universität Hannover konzipiert er gerade ein VR-Lab und entwirft gemeinsam mit Studierenden digitale Vermittlungsstrategien für das Europäische Hansemuseum und die Gedenkstätte Ahlem. Ein Gespräch über Public History in der Lehre und über Games in der Geschichtswissenschaft.


Bild: Thorsten Logge.
Bild: Thorsten Logge.

Hallo Nico. Woher kommt deine Leidenschaft fürs Gamen?

Kennst du den Begriff „Backseat-Gamer“? (lacht.) Das sind diejenigen, die hinter den eigentlichen Spielern sitzen und nur zuschauen dürfen. So einer war ich. Meine Eltern waren überhaupt nicht technik-affin. Also war ich immer der, der hinten dran saß und nur ab und an selbst spielen durfte. Ich könnte mir vorstellen, dass mein Hang zur beobachtend-analytische Perspektive aus dieser Zeit kommt.

 

Und was interessiert dich als Forscher an dem Feld?

Am meisten angetan hat es mir schon immer die Wechselwirkung zwischen Handeln und Reaktion in digitalen Spielen. Denn es gibt ja weit mehr Spiele als die Blockbuster- und Shooter-Games, die immer in der Presse sind. Ich finde es wirklich faszinierend, was dieses Medium leisten kann: Multiperspektivität, Zeitsprünge, Personifizierungen – und Atmosphäre und Körperlichkeit. Beispielsweise sorgt der Sound beim Laufen über unterschiedliche Untergründe dafür, dass du dich im historischen Raum verkörpert fühlst – so transportieren Spiele auch ein Gefühl für die Masse von Objekten. Dann zum Beispiel frage ich mich: Wie historisch plausibel ist das eigentlich, wie dieser transsilvanische Wald im 17. Jahrhundert klingt und was macht das mit uns?

 

Deine Dissertation trägt den Titel „Geschichte und Erinnerung in Computerspielen“. Du hast mit deiner Arbeit zu historischen Wissenssystemen in digitalen Spielen ein junges Forschungsfeld mit vermessen. Warum sind Games relevant?

Die Geschichtswissenschaft versetzt sich mit ihrer Fixierung auf Text und Bild bislang nur schleppend in die Lage, diese digitalen Medien und Methoden sinnvoll zu gebrauchen und zu rezensieren. Wenn sie das aber nicht kann, wenn sie nicht begriffen hat, wie diese Medien funktionieren, kann sie auch Studierende nicht ausbilden darüber zu urteilen, welcher Umgang historisch plausibel ist und welcher ungeeignet.

 

Deshalb brauchen wir klare Kategorien, nach denen wir historische Inszenierungen einschätzen und strukturieren können. Meine Dissertation hat dafür einen Vorschlag entwickelt. Und auch geschichtskulturelle Fragen müssen in Bezug auf digitale Spiele gestellt werden: Wie entwickeln sich Spiele? Welches Bild der Gesellschaft geben sie wieder? Welche Subkulturen beeinflussen sie? Wie beeinflussen sie Geschichtsdarstellungen im Film – und wie werden die Gewohnheiten von Filmen und anderen Medien beeinflusst? Provokant formuliert könnte man sagen: Neue Forschungsfelder wie dieses müssen an dem alten Baum der Geschichtswissenschaften entlangwachsen, wie Efeu, um ihn von außen zu zerdrücken.

 

Warum sollte der Baum denn durch diesen „Efeu“ zerdrückt werden? Was für Veränderungen wünscht Du Dir?

Ich halte die akademische Geschichtswissenschaft mittlerweile für nicht reformierbar. So wurden beispielsweise für die Public History Junior-Professuren eingerichtet, die jetzt riesige Probleme haben, sich gegen die epochalen Ausrichtungen zu behaupten und sich zu verstetigen. Dabei wäre ihr Beitrag zur Geschichtswissenschaft essenziell: Public History erforscht nicht nur über schulische Kontexte hinaus mediale Darstellungsformen, sondern entwickelt wissenschaftliche Methoden, um diese Formen weiterzuentwickeln. Ähnlich steht es um die Digitale Geschichtswissenschaft, die noch immer als eine Disziplin betrachtet wird, die irgendwie nebenher betrieben werden könnte.

 

Mein Ziel ist, dass wir vielleicht in 30 Jahren erleben, dass jemand als Doktorarbeit ein Videospiel einreichen kann und dazu eine wissenschaftliche Begleitdokumentation verfasst – und beides dann auch noch adäquat archiviert wird. Dadurch werden Monografie und Artikel ja nicht weniger wichtig für die Wissenschaft, sondern nur um weitere Instrumente bereichert. Ich glaube, wir beschneiden uns seit 50 Jahren in einer Auswahl der medialen Sorten, in welchen man Geschichte sinnvoll bearbeiten kann.

 

Was verstehst du unter Public History und wo verortest du sie im Vergleich zur Geschichtsdidaktik?

Der klassische Vorwurf der Didaktik lautet ja: „Das haben wir schon in den 1970ern gemacht!“ Aber der Hauptunterschied liegt für mich darin, dass die Didaktik an einer Pädagogischen Hochschule auf den Unterrichtskontext und außerschulische Lernorte zielt. Und das macht die Public History, wie ich sie verstehe, nicht nur. Didaktik ist ein wichtiges Hilfsmittel für die Public History, und so greife ich gerne auf den Profis aus der Didaktik zurück. Aber es gibt eben so viele Dinge, die nicht intendiert passieren.

 

… an was denkst du da genau?

Gerade bei Videospielen ist es ja oft so, dass viele fragen: Wie kommt es zu diesem ganzen historischen Hype? Warum haben ein Drittel aller Bestseller historische Kontexte und spielen in einem historischen Szenario? Das wird ja nicht bewusst zu Bildungszwecken angelegt, sondern das ist etwas, das sozusagen beiläufig geschehen ist.

 

Ein Beispiel dafür ist die Nutzung von Instagram durch junge Frauen, die sich schminken wie Holocaust-Opfer und dann aus dieser Biographie heraus ihre Geschichte erzählen, sich profilieren und das teilweise sogar kommerzialisieren. Das ist ziemlich delikat, aber der Punkt ist doch: es passiert ganz viel Nicht-Intendiertes, das nicht notwendigerweise von der Fachdidaktik behandelt wird, weil die sich eben mit Unterrichtskontexten und außerschulischen Lernorten beschäftigt. Und da sehe ich mein Tätigkeitsfeld. Ich bin kein Didaktiker und maße mir nicht an, in deren Feld zu wildern. Aber es sind andere Felder offengelassen worden, von deren Erforschung letztlich auch wieder die Didaktik profitieren kann. Da würde ich dann fragen: Was macht die unterschiedliche Darstellungsweise mit dem historischen, aber vielleicht auch mit dem wissenschaftlichen Inhalt?

 

Und wie erklärst du einem Didaktiker den Mehrwert von Video-Games?

Mir geht es da vor allem um die historischen Handlungsräume, die in solchen Spielen viel greifbarer werden. Man befindet sich meistens in Szenarien, die räumlich dargestellt werden – häufig gemeinsam mit anderen Spielenden. Darin bringt uns das Spiel dazu, Probleme zu erkennen und an Lösungen orientiert zu handeln. Bei Formaten wie „Minecraft” entwickeln Spielende dann selbst Aufgaben und lösen diese dann allein oder kollaborativ. Das ist im geschichtsdidaktischen Kontext natürlich hochspannend und für die Vermittlung wirklich fruchtbar: Da entsteht ein ganz neuer Dreh für Doing History, also für die Frage, was an den Handlungen dann historisch sein kann. Der wiederum denkt die Konzepte von Living History und des Reenactment noch weiter.

 

Angenommen, du würdest heute Spieleentwickler*innen beraten: Welches Format würdest du ihnen ans Herz legen?

Ich habe eine große Leidenschaft für sehr unterschiedliche Spielformen.

Besonders wünschen würde ich mir ein Online-Rollenspiel, das viele Menschen dazu anregt, gemeinsam etwas mit erzählter Geschichte zu machen.

 

So ähnlich wie „The Secret World“, das ich in der Doktorarbeit untersucht habe. Dieses Spiel würde ich als eine Art Höhepunkt der Experimente mit Geschichte unter Online-Rollenspielen sehen: Haltungen der Spielfiguren waren multiperspektivisch, es verknüpfte nicht nur die Geschichte verschiedener Epochen und war Weltregionen übergreifend angelegt. Es warf stets die Frage auf, was die historische Wissenschaft macht und in welchem Verhältnis dazu volksmündliche Überlieferungen stehen. Wie häufig in Online-Rollenspielen entstanden generationenübergreifende Foren, ganze Vereinsstrukturen, in denen aber hier hochspannende Diskussionen zu historischen Inhalten geführt wurden. Durch die technische Lösung einer serverübergreifenden Spielwelt traf ich als Spieler auch auf Spielende aus anderen Regionen des Globus. So setzt sich eine ganz besondere Art von Erinnerungskultur in Gang. Faszinierend! Davon hätte ich gern wieder mehr.

Die Kraft, die solche Spiele durch das menschliche Handeln entwickeln, mit der sie geschichtliche Alternativen aufzeigen, darin sehe ich einen großen Mehrwert für historische Inszenierungen. Ich treffe auch auf immer mehr Spieleentwickler*innen, die genau das als einen Marktvorteil sehen – und gern mit mir über Konzepte grübeln.

 

Wir bedanken uns für deine Zeit und das Interview!

 

Ein Beitrag von Anna Valeska Strugalla

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