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Kolonialwaren in Tübingen


In mehreren Blogbeiträgen werden wir uns in nächster Zeit mit der kolonialen Stadtgeschichte befassen. Am Anfang steht der Kolonialwarenhandel. Heute soll geklärt werden, welche Bedeutung den Kolonialwaren in der Stadtgesellschaft zukam und welche Fragen dies aufwirft. Im zweiten Teil geben wir trotz spärlicher Quellenlage erste Antworten und skizzieren die Entwicklung des Tübinger Kolonialwarenhandels.


Werbeanzeige aus der Tübinger Chronik Jg. 45 Nr. 2, Donnerstag, den 3. Januar 1889.
Werbeanzeige aus der Tübinger Chronik Jg. 45 Nr. 2, Donnerstag, den 3. Januar 1889.

Bio und fair trade wird gerne gekauft, wenn man es sich leisten kann. Das Interesse an Herkunft und Produktionsbedingungen von Lebensmitteln ist nicht neu, doch standen im Kaiserreich bewusste Kaufentscheidungen unter ganz anderen Vorzeichen: Damals ging es um Kolonialwaren und um die Unterstützung der deutschen Kolonialwirtschaft.

 

Die Literatur zum Kolonialwarenhandel füllt Bücherregale. Produktion, Welthandel und Warenströme sind gut erforscht; für die Konsumption kann dies nicht gleichermaßen behauptet werden. Lange standen die Kolonial- und Handelsmetropolen des British Empire im Mittelpunkt einer oft mehr theoriegeladenen als faktenreichen Fachliteratur. Für analytische Lichtblicke aus der deutschen Geschichtswissenschaft sorgte das „Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte“ mit einem Sonderheft zu Kolonialwaren für Europa und der Berliner Historiker Joachim Zeller mit einer Besprechung des „Deutschen Kolonialhauses“ in der Lützowstraße in Berlin.[1]

 

Deutsche Kolonialzeitung, Public domain, via Wikimedia Commons.*
Deutsche Kolonialzeitung, Public domain, via Wikimedia Commons.*

Das stattliche Gebäude wies eine ausgefallene Architektur im orientalischen Stil mit Kuppel und kleinen Türmchen auf, an der Fassade prangerten in großer Inschrift die Namen der deutschen Kolonien. Das Versandhandelsgeschäft machte in den „Expeditionsräumen“ die Kolonialwaren post- und bahnfertig, unterhielt Geschäfts- und Lagerräume, eine kleine Maschinenhalle mit Abfüllanlagen und Kaffee-Röstmaschinen. Es befand sich dort auch eine Propagandaabteilung für die reichsweite Werbung und obendrein wurden Ethnographica zum Verkauf angeboten: „Schmuck der Herero aus Südwest“, „Massai-Speere“, „Hausgötzen aus Togo“ und Elfenbeinschnitzereien. Kolonialbücher, Kolonialatlanten und Spezialkarten, Fotos, Postkarten und Briefmarken mit kolonialen Motiven gehörten ebenso zum Sortiment.

 

Aber wie war es nun um dem Kolonialwarenhandel im deutschen Südwesten bestellt? Wie veränderte das deutsche Kolonialreich die Ernährungsgewohnheiten und Wertvorstellungen in Klein- und Mittelstädten? Welche Auswirkungen machten sich in Tübingen bemerkbar und was lässt sich überhaupt noch in Erfahrung bringen?

 

Da die Quellenlage schwierig ist, möchte ich zunächst um Hinweise bitten. Wer hat Anhaltspunkte für Aktenbestände, wer hat noch zerfledderte Reklame und Broschüren, beim wem lagert noch eine Kiste mit alten Quittungen? Im nächsten Blogbeitrag werde ich darüber informieren, was ich bisher herausfinden konnte. Zuerst aber ein kurzer Einblick ins Thema.

 

Der Kolonialwarenhandel war kein gesichtsloses Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage. Der Verzehr von Kaffee, Kakao, Tee, Zucker und Tabak ging mit dem Konsum von Weltanschauungen einher. Anschaulich kommt dies in den Worten des Schriftstellers Heinrich Seidel aus dem Jahr 1893 zum Ausdruck:

 

„Es ist etwas Grosses (…) wenn man bedenkt, dass, damit ich hier in aller Ruhe meinen Thee schlürfen und Du Deine Pfeife rauchen kannst, der fleissige Chinese in jenem fernen Lande für uns pflanzt und der Neger für uns unter der Tropensonne arbeitet. Ja, das nicht allein, die grossen Dampfer durchbrausen für uns in Sturm und Wogenschwall den mächtigen Ocean und die Karawanen ziehen durch die brennende Wüste. (…) Es schmeckt mir noch einmal so gut, wenn ich daran denke.“[2]

 

 

Die Bilder entstanden nicht nur im Kopf. Es gab eine sichtbare Präsenz imperialer Bilder, wie die Historikerin Joanna de Groot schreibt.[3] Dies zeigte sich durch Broschüren, Plakate, Illustrationen auf Verpackungen und Beipackzetteln. Hinzu kamen koloniale Propaganda, Vortragsankündigungen der Kolonialgesellschaften und Verkaufsgespräche: „Für den gnädigen Herrn oder die gnädige Dame heute vielleicht Kaffee aus Usamabara oder vom Kilimandscharo? Darf es Kamerun-Schokolade oder Kiautschou-Zigarren sein?“ Das Warenangebot appellierte an die patriotische Bürgerpflicht. Konsumenten konnten das deutsche Weltreich unterstützen. Der Einkauf hatte somit wenig mit dem gehetzten Füllen eines Einkaufwagens in einem Supermarkt von heute zu tun. Das Kolonialwarengeschäft lässt sich eher mit einem Eine-Welt-Laden vergleichen – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Statt internationaler Solidarität dominierten Überlegenheitsgefühl und Großmachtphantasien, statt einen kleinen Beitrag gegen prekäre Arbeitsbedingungen leisten zu wollen, wurden Ausbeutung und Unterdrückung als sichtbare Zeichen des kolonialen Erfolgs zelebriert. Zum Verkauf standen nicht nur Kolonialwaren, sondern die koloniale Ideologie wurde mit gekauft. Wir können uns Kolonialwarengeschäfte als Antithese der heutigen Eine-Welt-Läden vorstellen.

 

Ein Beitrag von Carsten Gräbel


Fußnoten:

[1] Für einen der besten deutschsprachigen Überblicke siehe das Sonderheft zu „Kolonialwaren für Europa“ des Jahrbuchs für Wirtschaftsgeschichte 1994/1 mit Studien zu Großhändlern im 17. und 18. Jahrhundert, zu Kaffee von der Erzeugung in Guatemala bis zum Verbrauch in Deutschland, der realen und symbolischen Bedeutung von Genussmitteln im neuzeitlichen Europa zur Rolle der Chinesen, Portugiesen und Holländer im Teehandel zwischen China und Südostasien sowie eine Übersetzung eines Aufsatzes von Sidney Mintz zur Beziehung zwischen Ernährung und Macht. Zu der vielleicht am lehrreichsten Produktgeschichte: Sidney Mintz: Die süße Macht. Kulturgeschichte des Zuckers. Frankfurt/New York 1987. Zu einem der größten Kolonialwaren- und Versandhäuser: Joachim Zeller: Das Deutsche Kolonialhaus in der Lützowstraße, in: Ders./Ulrich van der Heyden (Hrsg.): Kolonialmetropole Berlin: Eine Spurensuche. Berlin 2002, S. 84-93.

[2] Heinrich Seidel: Gesammelte Schriften: Bd. 1: Leberecht Hühnchen, Jorinde, und andere Geschichten. Leipzig 1893, S. 12-13, digital: [https://books.google.de/books?id=TQ4WAAAAYAAJ] Das Zitat ist dem Originalwerk entnommen. Der Hinweis auf diese Romanstelle verdanke ich folgendem Aufsatz: Nana Badenberg: Usamabara-Handel und Kamerun-Kakao im Kolonialwarenhandel, in: Alexander Honold und Klaus R. Scherpe (Hrsg.): Mit Deutschland um die Welt: Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit. Stuttgart/Weimar 2004, S. 94-105.

 

[3] Joanna de Groot: Metropolitan Desires and Colonial Connections: Reflections on Consumption and Empire, in: Catherine Hall/Sonya Rose (Hrsg.): At home with the empire: Metropolitan Culture and the Imperial World. Cambridge 2006, S. 166-190, vgl. besonders S. 177.

 

*Bild (letzter Zugriff 21.06.21, externe Links):

Deutsche Kolonialzeitung, Public domain, via Wikimedia Commons

File-URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fe/1903_Deutsches_Kolonialhaus_in_Berlin.png

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