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Kloster, Königsschloss, Parlament – Eine kleine Geschichte Bebenhausens im 20. Jahrhundert.


Die mittelalterliche Klosterkirche mit ihrem prachtvollen gotischen Dachreiter ist einer der architektonischen Höhepunkte Bebenhausens. Bild: Max Witzler.
Die mittelalterliche Klosterkirche mit ihrem prachtvollen gotischen Dachreiter ist einer der architektonischen Höhepunkte Bebenhausens. Bild: Max Witzler.

 

 

Mitten im Schönbuch liegt das pittoreske Bebenhausen, Tübingens kleinster und gleichzeitig größter Stadtteil. Wer den Ort ansteuert, erkennt bereits von Weitem: Die Architektur des Dorfes ist vom Mittelalter geprägt. Bekannt ist die idyllische Ortschaft vor allem für ihr gut erhaltenes Zisterzienserkloster. Angesichts des beeindruckenden mittelalterlichen Erbes wird allerdings oft übersehen, dass Bebenhausen im vergangenen Jahrhundert mehrfach landesgeschichtliche Bedeutung erlangte: Unter anderem als Wohnort des letzten Königspaars von Württemberg und Parlamentssitz des nur kurzlebigen Landes Württemberg-Hohenzollern.  


In den Beiträgen dieses Blogs begegnet er uns immer wieder: der Schönbuch. Baden-Württembergs erster Naturpark stellt eines der beliebtesten Naherholungsgebiete des gesamten Stuttgarter Ballungsraums dar. Inmitten der malerischen Landschaft aus Bachtälern und Wäldern erhebt sich der gotische Dachreiter einer Klosterkirche, deren Geschichte sich bis in das 12. Jahrhundert zurückverfolgen lässt[1]. Sie bildet das Zentrum der einzigen Ortschaft, die vollständig innerhalb des Naturparks Schönbuch liegt. Mit nur 333 Einwohnerinnen und Einwohnern stellt sie zudem Tübingens einwohnerärmsten, aber gleichzeitig auch flächengrößten Stadtteil dar: Die Rede ist von Bebenhausen. Nur wenige Kilometer nördlich der geschäftigen Tübinger Altstadt gelegen, wirkt dieses mittelalterliche Kleinod wie eine Oase der Ruhe. Nicht ohne Grund verbrachte der ehemalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger hier bevorzugt seine Ferien. Weitere prominente Persönlichkeiten, wie etwa die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard, machten den idyllischen Ort gar zu ihrem Wohnsitz. Einer der schillerndsten Bewohner Bebenhausens war sicherlich der letzte König von Württemberg, Wilhelm II., der seinen Lebensabend im königlichen Jagdschloss verbrachte. 25 Jahre nach dessen Tod tagte in den Mauern des alten Klosters dann der Verfassungskonvent des neugeschaffenen Landes Württemberg-Hohenzollern und etablierte das kleine Dorf als Sitz des Landtags. Diese Episoden verdeutlichen, dass Bebenhausen auch im 20. Jahrhundert eine bewegte Geschichte erlebte, die vor dem Hintergrund des reichen mittelalterlichen Erbes oft in Vergessenheit gerät. In Bebenhausen fließen Linien der neueren württembergischen Landesgeschichte zusammen, die man angesichts der geringen Größe des Ortes kaum erwarten würde. Dieser Beitrag widmet sich deshalb der interessanten Zeitgeschichte Bebenhausens und möchte diese im Folgenden anhand zweier landesgeschichtlicher Höhepunkte vorstellen.

 

Eines der schönsten Panoramen von Bebenhausen bietet sich nach einem kurzen Fußmarsch entlang des Rittwegs, vom Tübinger Stadtteil Waldhäuser-Ost aus kommend. Bild: Max Witzler.
Eines der schönsten Panoramen von Bebenhausen bietet sich nach einem kurzen Fußmarsch entlang des Rittwegs, vom Tübinger Stadtteil Waldhäuser-Ost aus kommend. Bild: Max Witzler.

 

Das Panorama Bebenhausens erinnert an das Setting eines Fantasy-Films: Inmitten eines von Wäldern gesäumten Talkessels steht eine von Wehrmauern und Fachwerkhäusern umgebene mittelalterliche Klosteranlage. Aus einer Urkunde vom 1. Juni 1187 geht hervor, dass bereits zu dieser Zeit ein Kloster existiert haben muss, dem nun von Herzog Friedrich von Schwaben Rechte verliehen wurden[2]. Als Zisterzienserkloster entwickelte es sich „im späten Mittelalter zu einem der reichsten Klöster Württembergs“[3]. Bis ins 16. Jahrhundert hinein wurde die Anlage immer weiter ausgebaut, ehe die Bautätigkeit schließlich im Zuge der Reformation zum Erliegen kam. Unter Ulrich I. von Württemberg wandelte sich das Kloster 1534 dann zu einer evangelischen Klosterschule, die 1807 nach Maulbronn umzog. Im selben Jahr wurde das Klosteramt aufgehoben, womit ein Verfall der Anlage einsetzte. Dies entsprach aber durchaus dem Geschmack und den ästhetischen Ansprüchen jener Zeit. Bebenhausen entwickelte sich in der Folge zu einem beliebten Ausflugsziel für die Künstler, Dichter und Denker der Tübinger Romantik.

 

Jagdschloss und Alterssitz der Könige von Württemberg

Vor dem endgültigen Verfall oder gar dem Abriss wurde das Kloster durch die Entscheidung der württembergischen Könige bewahrt, aus Bebenhausen ein Schloss für ihre üppigen Hofjagden zu machen. Die Lage der Ortschaft in den wald- und wildreichen Gebieten des südlichen Schönbuchs hatten sie schon im Mittelalter zu einem beliebten Ausgangspunkt für die Jagdgesellschaften der jeweiligen Landesherren werden lassen. Das gesamte 19. Jahrhundert hindurch zogen sich die Umbaumaßnahmen im ehemaligen Kloster, sodass König Karl bis 1880 nur zwei Privaträume zur Verfügung standen[4]. Auf seine Initiative hin wurde das Schloss deshalb erweitert und zu einem komfortablen und standesgemäßen Herrschaftssitz im Stil des Historismus ausgebaut. Damit ebnete Karl auch den Weg für seinen Nachfolger Wilhelm II., der die Jagd im Schönbuch schätzte und sich mit seiner Gattin Charlotte zu Schaumburg-Lippe häufig im Schloss aufhielt.

 

Der Eindruck, den Bebenhausen zu dieser Zeit auf seine Besucher gemacht haben muss, lässt sich anhand eines Briefes des preußischen Diplomaten Philipp zu Eulenburg erahnen. Dieser berichtete Kaiser Wilhelm II. von dem ersten Besuch des neuen württembergischen Königspaars: Nach einem gemeinsamen Essen in Tübingen fuhr die Gesellschaft „durch ein weites, bucheneingefaßtes Tal nach Bebenhausen. Wie ein Bild aus dem Mittelalter stieg nach halbstündiger Fahrt der wunderbare Gebäudekomplex des alten Klosters, sich etwas über die grüne Talsohle erhebend und von verschiedenen Türmen aller Art gekrönt, vor uns auf. […] König Wilhelm, der nur einmal flüchtig das Kloster als Gast seines Onkels sehen durfte, nahm mit der Königin ohne Sentimentalität davon Besitz, um die Hirsche des Reviers mit Krieg zu überziehen“[5] Mit Krieg endete auch Wilhelms Amtszeit als letzter  württembergischer König. Während des Ersten Weltkriegs hatte der in der Öffentlichkeit stets als bescheidener und volksnaher „Bürgerkönig“ auftretende Herrscher seinen progressiven Ruf unterstrichen. So lehnte er etwa den „uneingeschränkten U-Boot-Krieg“ der kaiserlichen Marine ab und verteidigte noch am 9. November 1918 die parlamentarische Regierungsform seines Königreichs[6]. Von der Dynamik der Novemberrevolution wurde er dann allerdings gänzlich überrascht und sah sich noch am selben Tag dazu gezwungen, sein Palais in Stuttgart für immer zu verlassen.

 

Gedenktafel für König Wilhelm II. und Königin Charlotte von Württemberg im Schloss Bebenhausen. Bild: Max Witzler.
Gedenktafel für König Wilhelm II. und Königin Charlotte von Württemberg im Schloss Bebenhausen. Bild: Max Witzler.

Trotz seiner unverkennbaren Überwältigung angesichts des raschen politischen Wandels betonte der scheidende König, „der freien Entwicklung der Verhältnisse des Landes“ nicht entgegenstehen zu wollen[7]. Am 30. November 1918 verzichtete er daher als letzter deutscher Monarch auf seine Krone. Von nun an residierte er als „Herzog von Württemberg“ im Schloss Bebenhausen, dessen Nutzung ihm, gemeinsam mit einer jährlichen Rente, von der neuen Regierung zugesichert wurde. Die restliche Lebenszeit Wilhelms verbrachte das ehemalige Monarchenpaar größtenteils in Friedrichshafen und dem Schönbuch. Dort kamen sie auch ihren neuen staatsbürgerlichen Pflichten nach, indem sie beispielweise als erste Wähler Bebenhausens ihre Stimme zur Wahl der verfassungsgebenden Landesversammlung am 12. Januar 1919 abgaben[8]. Am 2. Oktober 1921 starb Wilhelm schließlich in Bebenhausen. Seine Witwe Charlotte überlebte ihn um 25 weitere Jahre, die sie zurückgezogen im Schloss verbrachte, ehe sie im Sommer 1946 ebenfalls dort verstarb. Mit ihrem Tod endete Bebenhausens Kapitel als Ruhesitz des letzten württembergischen Königspaars. Allerdings wurde dem alten Kloster schnell eine neue Funktion zugewiesen. Nur ein Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stand das Land abermals vor einer bedeutenden Transformationsphase, und Bebenhausen sollte hierfür eine wichtige Rolle spielen.

 

Sitz des Landtags von Württemberg-Hohenzollern

Im Jahr nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur und nur wenige Monate nach dem Tod der letzten Monarchin von Württemberg wurden in Bebenhausen die Weichen für die parlamentarische Neuordnung für Teile Südwestdeutschlands gestellt. Im November 1946 kam im vakanten Schloss die „Beratende Landesversammlung“ zusammen, deren Teilnehmer eine Verfassung für das neue Land Württemberg-Hohenzollern ausarbeiteten[9]. Dieses befand sich mit seiner Hauptstadt Tübingen in der französischen Besatzungszone. Im Mai 1947 zog dann auch der neugewählte Landtag in Bebenhausen ein, was dem beschaulichen Dorf landesweite Relevanz einbrachte. So wurden unter anderem Briefmarken veröffentlicht, auf denen die Klosterkirche abgebildet war. Grund genug für die Bewohner*innen, stolz auf die neugewonnene Bedeutung ihres Ortes zu sein und den Betrieb des Parlaments tatkräftig zu unterstützen. Die enge Kooperation zwischen den Bebenhausener*innen und den Abgeordneten ist insofern bemerkenswert, als die Kapazitätsgrenzen des kleinen Örtchens während der Sitzungswochen einigen „Stresstests“ unterzogen wurden. So mussten die Parlamentarier nicht nur versorgt, sondern auch im Dorf untergebracht werden. Bereits 1952 endete die kurzlebige Phase des „Bebenhausener Parlaments“ wieder. Schon während der verfassungsgebenden Versammlung 1946 waren viele Delegierte der Meinung gewesen, dass die Teilung Württembergs nur eine vorübergehende Lösung darstellen könne. Entsprechende Tendenzen wurden von der französischen Besatzungsmacht zwar vorerst unterbunden, die Unzufriedenheit mit diesem Status nahm auf deutscher Seite aber nicht ab. Dies ist unter anderem daran erkennbar, dass sich die Tübinger Landesregierung zunächst lediglich als „Staatssekretariat“ und die Minister als „Landesdirektoren“ bezeichneten[10]. Als es am 9. Dezember 1951 zu einer Volksabstimmung kam, stimmten 91,6 Prozent der Tübinger Wahlberechtigten für den Zusammenschluss zu einem neuen, noch namenlosen, Südweststaat: dem späteren Baden-Württemberg. In Konsequenz bedeutete dies aber auch das Ende der Landeshauptstadt Tübingen und der Landtagssitzungen in Bebenhausen.

 

Während der hier vorgestellten Episoden war Bebenhausen stets eine eigenständige Ortschaft. Erst im Juni 1974 wurde die „Perle des Schönbuchs“ in Tübingen eingemeindet.

 

Ein Beitrag von Max Witzler 


Fußnoten:

[1] Lorenz 2000, S. 201.

[2] Sydow 1995, S. 23.

[3] Spieth 2015, S. 179–181.

[4] Y 1995, S. 256.

[5] Zu Eulenburg 2017, S. 100 f.

[6] Schukraft 2007, S. 232.

[7] Zitiert in: Weber und Wehling 2007, S. 82.

[8] Haug 2013, S. 36.

[9] Haug 2013, S. 60.

[10] Setzler et al. 2006, S. 196.

 

Verwendete Literatur:

Zu Eulenburg, Philipp (2017): Höfische Erlebnisse, Altenmünster: Jazzybee Verl.

Haug, Hans (2013): Im Schatten des Klosters. Das Dorf Bebenhausen; eine Ausnahmeerscheinung unter den Dörfern Württembergs. 1. Aufl. Tübingen: Silberburg-Verl.

Lorenz, Sönke (2000): Pfalzgraf Rudolf I. von Tübingen, der Stifter von Bebenhausen. Bausteine zu einer Biographie. In: Barbara Scholkmann und Sönke Lorenz (Hg.): Von Cîteaux nach Bebenhausen. Welt und Wirken der Zisterzienser. Tübingen: Attempto ([Veröffentlichungen des Alemannischen Instituts Freiburg i. Br, Nr. 67]), S. 201–232.

Schukraft, Harald (2007): Kleine Geschichte des Hauses Württemberg. 2. Aufl. Tübingen: Silberburg-Verl.

Setzler, Wilfried; Schönhagen, Benigna; Binder, Hans-Otto (2006): Kleine Tübinger Stadtgeschichte. 1. Aufl. Tübingen: Silberburg-Verl.

Spieth, Arndt (2015): Kreuz und quer durch Tübingen. Die schönsten Stadtwanderungen, die besten Adressen. 1. Aufl. Tübingen: Silberburg-Verl.

Sydow, Jürgen (1995): Probleme der Geschichte Bebenhausens. In: Wilfried Setzler (Hg.): Das Zisterzienserkloster Bebenhausen. Beiträge zur Archäologie, Geschichte und Architektur. Stuttgart: Theiss (Beiträge zur Tübinger Geschichte, Bd. 6), S. 23–42.

Weber, Reinhold; Wehling, Hans-Georg (2007): Geschichte Baden-Württembergs. Orig.-Ausg. München: Beck (Beck'sche Reihe).

Y, Rainer (1995): Bebenhausen, Jagdschloss der württembergischen Könige. In: Wilfried Setzler (Hg.): Das Zisterzienserkloster Bebenhausen. Beiträge zur Archäologie, Geschichte und Architektur. Stuttgart: Theiss (Beiträge zur Tübinger Geschichte, Bd. 6), S. 242–266.

 

Weiterführende Literatur und Links:

In der neueren Forschung wird der „Bürgerkönig“ Wilhelm II. differenzierter betrachtet. Siehe hierzu:

Ernst, Albrecht (2015): Im Lichte neuer Quellen: Wilhelm II. – der letzte König von Württemberg. Katalog zur Ausstellung. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.

 

Rauch, Udo; Zacharias, Antje; Besch, Dorothea (2002): Sieben Jahre Landeshauptstadt. Tübingen und Württemberg-Hohenzollern, 1945 bis 1952. Tübingen: Kulturamt (Tübinger Kataloge, Nr. 61).

https://www.tuebingen.de/bebenhausen .

 


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