In ganz Deutschland stehen sie – Nationaldenkmäler Kaiser Wilhelms I., erbaut nach seinem Tod Ende des 19. Jahrhunderts in der Hochphase des deutschen Nationalismus und Imperialismus. Das Reiterstandbild war im 19. Jahrhundert eine beliebte Form der monumentalen Kaiserverehrung, das wohl größte befindet sich heute noch – oder wieder – am sogenannten „Deutschen Eck“ in Koblenz. Im Zuge der nationalen Konsolidierung wurden auch in zahlreichen Städten des Deutschen Reichs kolossale Reiterstandbilder des ersten Kaisers als „national-monarchische [...] Denkmäler“[1] aufgestellt.
In diesem ‚Denkmal-Boom‘ ist auch das Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem Karlsplatz in Stuttgart 1898 entstanden. Das überdimensionale Reitermonument, das im Übrigen lediglich eine „Sparversion“ des ursprünglich geplanten Denkmals darstellt, wurde bereits öfter kritisiert und spätestens seit den weltweiten Protesten gegen die imperiale und koloniale Vergangenheit im Jahr 2020 immer wieder zur Zielscheibe von Farbangriffen und Verhüllungen.[2] Als räumliches Symbol eines aggressiven Nationalismus und imperialen Größenwahns befinden sich dieses und viele weitere Nationaldenkmäler mittlerweile im Zentrum gesellschaftlicher Aushandlungen über den Umgang mit der Vergangenheit.
Das Monument Kaiser Wilhelms I. ist zwar bei weitem das größte, aber nicht das einzige Reiterstandbild in Stuttgart. Während der württembergischen Monarchie, die von 1806 bis 1918 währte, wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts Monumente dieser Art aufgestellt, um in erster Linie an die regionalen Landesherren und deren Vorgänger zu erinnern. Während im Falle der Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmäler die Zivilgesellschaft mittlerweile die Aufgaben der Kontextualisierung und Hinterfragung durch subversive Aktionen übernimmt, so scheinen die in Form gegossenen ehemaligen Herrscher Württembergs heute sichtbar und unsichtbar zugleich – irgendwie vergessen, aber doch noch Zeugnis einer monarchischen Vergangenheit. Drei davon stehen an prominenten Stellen im Stuttgarter Stadtraum. Zwei der Reiterstandbilder zeigen den württembergischen König Wilhelm I., ein weiteres Herzog Eberhard im Barte. Ein Standbild des Königs, aufgestellt im Innenhof des alten Museums der Bildenden Künste, verschwindet regelrecht im Lärm der direkt angrenzenden Bundesstraße. Der Standort lädt inzwischen nicht mehr zum Verweilen ein, sondern erscheint eher als Durchgangsweg zur neuen Staatsgalerie. Das Abbild Herzog Eberhards steht zwar im Zentrum der Stadt, ist aber nur dann zu sehen, wenn man den Innenhof des Alten Schlosses betritt und ist somit in gewisser Hinsicht „versteckt“.
Das andere Reiterstandbild König Wilhelms I. vor dem Kursaal in Bad Cannstatt hingegen wird nicht so sehr durch seine Umgebung übertönt, sondern eher in sie integriert. So wird das Blumenbeet
rund um das Denkmal regelmäßig frisch bepflanzt – zuletzt vom Gartenbauverein Bad Cannstatt e.V. Zum 150-jährigen Jubiläum wurde das Gründungsjahr des Vereins – zufällig das Jahr der deutschen
Reichsgründung – 1871 in das Beet gepflanzt. Sieht man das Reiterstandbild lediglich von einer Seite, so entsteht der Eindruck, die feierliche Bepflanzung beziehe sich auf die Gründung des
Deutschen Reichs, ist dieses Jubiläum doch präsenter als das des Gartenbauvereins Bad Cannstatt. Nur wenn man das Denkmal komplett umrundet, erschließt sich der eigentliche Grund der feierlichen
Bepflanzung. Beinahe könnte man meinen, die Monarchie existiere hier nach wie vor – oder zumindest ein gewisser Stolz auf vergangene Zeiten. Auch wenn diese Parallele mehr oder weniger subtil
anmutet, lässt sich doch die Frage stellen, welche Rolle die anachronistischen Denkmäler von Kaisern und Königen im öffentlichen Raum heute einnehmen. Den städtebaulichen und sozialen Wandel der
letzten Jahrhunderte haben sie überdauert. Sie alle zeichnen sich durch eine typisch heroisch-idealisierte Bildsprache aus – erhaben auf einem Sockel, zu Pferd, militärisch gekleidet in Rüstung
oder Uniform. Sowohl die Ästhetik als auch die dargestellte Person und ihr Amt wirken aus der Zeit gefallen.
Reiterstandbilder verkörpern fürstliche Erhabenheit und militärische Größe. Viele stehen noch immer in Großstädten weltweit als Manifestationen imperialen Machtanspruchs oder nationalen Selbstverständnisses. Marc Aurel, Louis XIV. oder auch Kaiser Wilhelm I. – ihnen allen wurden eines oder gar mehrere gewidmet. Einige dieser Denkmäler gerieten im Laufe der Jahrhunderte durch Revolutionen oder wie zuletzt im Zuge der Aufarbeitung des imperialistischen Zeitalters in Verruf. Jedoch gibt es auch Reitermonumente, die trotz ihrer Größe und Sichtbarkeit auf öffentlichen Plätzen weder Ablehnung noch die ursprünglich intendierte Würdigung erfahren. Wen und was stellen sie dar? Und welche Geschichten erzählen sie?
Ein Beitrag von Mia Paulus
Hier weiterlesen: Das (un-)sichtbare Denkmal [Teil 2]
Literatur:
Hunecke, Volker: Fürstliche Reiterstandbilder in Europa (16. – 19. Jahrhundert). In: Martin Wrede (Hrsg.): Die Inszenierung der heroischen Monarchie. Frühneuzeitliches Königtum zwischen ritterlichem Erbe und militärischer Herausforderung. München 2014, S. 236-265.
Peschel, Patricia: Der Stuttgarter Hofbildhauer Johann Ludwig von Hofer (1801 – 1887). Werkmonographie. Stuttgart/Leipzig 2009.
Vomm, Wolfgang: Reiterstandbilder des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland. Zum Verständnis und zur Pflege eines traditionellen herrscherlichen Denkmaltyps im Historismus. Zugl.: Inaugural-Dissertation Universität zu Köln. Bergisch Gladbach 1979.
Ders.: Reiterstandbilder des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Deutschland. Ortsalphabetischer Katalog. Bergisch Gladbach 1979.
Fußnoten:
[1] Thomas Nipperdey: Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert. In: Ders.: Gesellschaft, Kultur, Theorie: Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte. Göttingen 1976, S. 136.
[2] Vgl. Oliver Stenzel: Der schweigende Kaiser. Kontext: Wochenzeitung, 21.07.2021. https://www.kontextwochenzeitung.de/zeitgeschehen/538/der-schweigende-kaiser-7613.html [27.09.2021].
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