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Jugos im Abseits. Gastarbeiterfußball in Württemberg.

Mannschaftsfoto von Polet Ravensburg, Mitte der 1980er Jahre. Bild: Gojko Čizmić und Zdravko Olujić.
Mannschaftsfoto von Polet Ravensburg, Mitte der 1980er Jahre. Bild: Gojko Čizmić und Zdravko Olujić.

1971 gründete sich die Jugoliga[1], ein Wettbewerb exklusiv für Fußballvereine jugoslawischer Gastarbeiter[2] in Württemberg. Trotz Eingliederung in die Strukturen des Württembergischen Fußballverbandes (WFV) blieb die Jugoliga bis 1992 bestehen – ohne Möglichkeit auf eine Teilnahme im Spielbetrieb der deutschen Mannschaften. Das ist heute undenkbar. Wie kam es dazu?

 

Nach Abschluss des bundesdeutsch-jugoslawischen Anwerbeabkommens von 1968 kamen etwa 700.000 jugoslawische Gastarbeiter*innen in die Bundesrepublik, davon mehr als 200.000 Jugoslaw*innen allein nach Baden-Württemberg. Auf der Suche nach einer Freizeitbeschäftigung widmeten sich viele dem Fußball, denn außer gleichfarbigen Shirts, einem Ball und einer Wiese brauchte man weiter nichts. Zeitzeugen erinnern sich, wie aus gelegentlichen Freizeitkicks regelmäßige Termine wurden, wie sich langsam feste Mannschaften bildeten und sich Namen gaben. Dabei entlehnten sie sich nicht selten Industriezweigen wie Metalac (Metallarbeiter) Stuttgart-Zuffenhausen, sozialistischen Schlagwörtern wie Polet (Aufschwung) Ravensburg oder bekannten Vereinen wie Hajduk Schwenningen.

 

Bereits 1970 fanden im Stuttgarter Raum zwei privat organisierte Turniere statt, letzteres unter Mithilfe des Jugoslawischen Fußballverband (FSJ). Als dieser am 16. August 1970 den Deutschen Fußball-Bund (DFB) um Erlaubnis fragte, dem Sieger einen Pokal überreichen zu dürfen, zeigte man sich beim DFB irritiert.[3] Es sei eine private Veranstaltung, selbstverständlich dürfe man einen Pokal überreichen, hieß es in der Antwort am 14. September 1970.[4] Niemand beim DFB ahnte, dass der FSJ diese Erlaubnis als Blankoschein verstehen würde, um am 21. Februar 1971 einen eigenen Fußballverband mitsamt Liga auf dem Gebiet des Württembergischen Fußball zu gründen: die Jugoliga – ein kleines Stückchen Heimat in der Fremde.

 

Karte aller jemals in der Jugoliga aktiven Vereine in Württemberg. Bild: Čizmić, Gojko: Jugoliga Baden Württemberg [sic!] 1971 - 1992, Belgrad 2021, S. 84.
Karte aller jemals in der Jugoliga aktiven Vereine in Württemberg. Bild: Čizmić, Gojko: Jugoliga Baden Württemberg [sic!] 1971 - 1992, Belgrad 2021, S. 84.

Binnen weniger Wochen fanden sich 13 jugoslawische Gastarbeitervereine zusammen und spielten das Frühjahr in der damals „experimentellen Liga” eine Halbrunde aus. Saison für Saison wuchs die Liga rasant an. Zur Saison 1972/1973 war sie mit einer ersten Liga und zwei zweiten Ligen bereits zweigliedrig. Zum Höhepunkt der Jugoliga Anfang der 1980er Jahre nahmen mehr als 80 Mannschaften teil. Die Jugoliga war ein fester Bestandteil des Lebens jugoslawischer Gastarbeiter geworden: von Friedrichshafen bis Heilbronn, unterstützt vom FSJ und dem jugoslawischen Generalkonsulat in Stuttgart, und geduldet vom WFV.

 

Der DFB drängte den WFV, die Vereine in den regulären Spielbetrieb einzugliedern, wie es in der restlichen Bundesrepublik zu diesem Zeitpunkt Praxis war.[5] Doch der WFV riegelte konsequent ab: Gastarbeiter würden ohnehin wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Man sorge sich um die Pünktlichkeit der Zahlungseingänge durch ausländische Vereine. Und zuletzt seien 90 Minuten auf dem Fußballfeld noch lange keine Integration. Im Gegenteil: Der WFV zeigte sich aufgrund der aggressiveren Spielweise der „Jugos” besorgt, dass eine Eingliederung dem Zusammenleben gar schaden würde.[6]

 

1973 nahm der WFV nach langen Verhandlungen die Jugoliga doch unter das eigene Dach auf. Die Motivation lag allerdings darin, das Problem zweier konkurrierender Verbände auf demselben Gebiet zu lösen und den DFB zu beschwichtigen. Die Jugoliga blieb dennoch weiterhin exklusiv. Anstatt ein Zeichen zugunsten der Integration zu setzen, institutionalisierte der WFV die „Ghettoliga”, wie sie der Stuttgarter Jugoligaexperte Gojko Čizmić nennt, innerhalb der eigenen Strukturen.[7]

 

Doch in einer Sache ließ der WFV eine Art der Integration zu: Gastarbeiter*innenkinder galten nach zwei Jahren in der Jugendabteilung eines deutschen Vereins nicht als Ausländer und konnten später im Seniorenbereich für dieselben deutschen Vereine spielen. Der WFV nannte es „gewachsene Integration”[8]. Für die ursprüngliche Gastarbeitergeneration bestand keine solche Möglichkeit. Sie war etwa 20 Jahre in der Jugoliga gefangen.

 

Über die Bedeutung der Jugoliga während der 1970er und 1980er Jahre geben insbesondere Zeitzeugen interessante Einblicke. Die Jugoliga sei ein Ausbruch aus dem stark arbeitsorientierten Alltag der Gastarbeiter*innen gewesen. Weiter war sie zentral in der Vernetzung jugoslawischer Gastarbeiter innerhalb Württembergs, entweder durch gemeinsame Feste beider Mannschaften nach den Spielen oder Bekanntenbesuche in anderen Städten bei Auswärtsspielen. Zuletzt bot sie die Möglichkeit, die eigene Sprache und Kultur in der Fremde zu pflegen und die Bindung an die jugoslawische Heimat nicht zu verlieren; ein Aspekt, den insbesondere der Tübinger Historiker Ansbert Baumann in seinen Arbeiten zum „Nation-Building in der Fremde“ zu Recht betont.[9]

 

Gesellschaftliches Zusammensein nach einem Spiel, Stuttgart, Zeitpunkt unbekannt. Bild: Gojko Čizmić und Zdravko Olujić.
Gesellschaftliches Zusammensein nach einem Spiel, Stuttgart, Zeitpunkt unbekannt. Bild: Gojko Čizmić und Zdravko Olujić.

So rasch, wie die Jugoliga aus dem Boden spross, so schnell verschwand sie wieder. Ende der 1980er Jahre machten sich erste Auflösungserscheinungen bemerkbar. So erreichten die Spieler der Jugoliga Alter und Lebenssituationen, in denen regelmäßiges Fußballspielen nicht mehr möglich war. Zudem blieb Nachwuchs aus, denn dieser spielte lieber mit Schulfreunden in deutschen Vereinen. Darüber hinaus drängten Akteure aus der Politik, z. B. aus dem Leonberger Bürgermeisteramt, dem Stuttgarter Gemeinderat oder vom baden-württembergischen Städtetag, den WFV, die seit nunmehr 20 Jahren kritisierte und doch beibehaltene Praxis der gewollten Exklusivität aufzuheben. So durften Gastarbeitervereine ab 1991 am regulären Spielbetrieb des WFV teilnehmen. Zudem spiegelte sich der Zerfall Jugoslawiens im Sportgeschehen wider. Basierend auf ethnisch-nationalen Trennlinien wurden Freundschaften zu Feindschaften und jugoslawische Vereine lösten sich zugunsten kroatischer, serbischer und anderer national orientierter Vereine auf. Die Jugoliga, ebenso wie Jugoslawien, wurde Geschichte.

 

Heute ist Croatia Reutlingen einer der letzten aktiven Vereine der ehemaligen Jugoliga. Die Onlinepräsenz des Vereins erwähnt seine Ursprünge in der Jugoliga allerdings mit keinem Wort, als wolle man nicht damit assoziiert werden.[10] Dahingegen haben einige ehemalige Spieler angefangen, die Erinnerungen an die Jugoliga zu wahren. Der Stuttgarter Jugoligaexperte Gojko Čizmić hat ein Überblickswerk, der Reutlinger Fotograf Zdravko Olujić einen Fotoband in Eigenregie veröffentlicht.[11] Es bleibt nun an uns Historiker*innen und Geschichtsinteressierten, die Jugoliga nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

 

Ein Beitrag von Luka Babić


Fußnoten:

[1] Jugoliga war die Selbstbezeichnung der Liga, die von Zeitzeugen benutzt wurde. Deswegen wird die Jugoliga als Feldbegriff in diesem Beitrag genutzt.

[2] Es wird bewusst die maskuline Form benutzt, denn es waren ausschließlich Männer in der Jugoliga aktiv.

[3] Schreiben des FSJ an den DFB vom 16. August 1970, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStAS) P 38, Nr. 76.

[4] Schreiben des DFB an den FSJ vom 14. September 1970, HStAS P 38, Nr. 76.

[5] Vgl. Schreiben des Fußballverbandes Mittelrhein an den DFB vom 28. Februar 1971, HStAS P 38, Nr. 76; Darin beschreibt der Fußballverband Mittelrhein die positiven Erfahrungen bei der Eingliederung von Gastarbeitermannschaften in den regulären Spielbetrieb. Der WFV war ebenfalls Adressat dieses Schreibens, womit die ablehnende Argumentation des WFV früh Widerspruch durch einen anderen Regionalverband erfährt.

[6] Diese Einschätzung teilten auch die befragten Zeitzeugen.

[7] Interview mit Gojko Čizmić, Dezember 2019.

[8] Auszüge aus den Ausführungen des Verbandsvorsitzenden Franz Stuemper beim 20. Ordentlichen Verbandstag am 3. Juli 1982 in Sindelfingen, HStAS P38, Nr. 35-1.

[9] Vgl. BAUMANN, Ansbert: „Wir wollen einen sauberen jugoslawischen Fußball spielen.“ Die Jugoliga Baden-Württemberg – Nation-Building in der Fremde?, in: JACOB, Frank/FRIEDMAN, Alexander (Hg.): Fußball. Identitätsdiskurse, Politik und Skandale, Stuttgart 2020, S. 102-128.

[10] Vgl. https://www.sv-croatia-reutlingen.de, online, zuletzt aufgerufen am 5. Februar 2022.

[11] Olujić, Zdravko: Dobri nogometaši nekad i sad. Nogometna JU-Liga. Baden-Wurtimberg (sic) 1975-1992 [Gute Fußballer damals und jetzt. Die Fußball-JU-Liga. Baden-Württemberg 1975-1992], Selbstverlag; Čizmić, Gojko: Jugoliga Baden-Württmberg 1971.-1992., Belgrad 2021; Ferner betreibt Gojko Čizmić seit mehr als 10 Jahren auf Facebook die Seite „Jugoliga u Baden Württembergu (sic), auf der er Informationen und Bilder zu allen Vereinen der Jugoliga und ihrer Organisation sammelt, vgl. https://www.facebook.com/Jugoliga-u-Baden-Württembergu-248268535226151/, online, zuletzt aufgerufen am 16. Februar 2022.


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