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Stuttgart erinnert an den Nationalsozialismus Teil 2: Späte Erinnerung an die Opfer der Justiz


In der Stuttgarter Urbanstraße erinnert ein weiteres Mahnmal an die Opfer der NS-Zeit. Hunderte von Menschen sind hier der NS-Justiz zum Opfer gefallen. Eine Gedenkstätte für dieses Verbrechen wurde allerdings erst Jahre später errichtet – im Jahr 2019. 


Bild: Beyza Gücyeter.
Bild: Beyza Gücyeter.

Die Außenmauer des heutigen Justizgebäudes wird bereits seit dem 13. Juni 1994 von folgendem Schriftzug überzogen:

 

„Den Opfern der Justiz im Nationalsozialismus zum Gedenken. Hunderte wurden hier im Innenhof hingerichtet. Den Lebenden zur Mahnung“.

 

Wer die Opfer waren und warum sie hingerichtet wurden geht aus dem Schriftzug nicht hervor. Überraschenderweise erwies es sich als schwer, diese erste Gedenktafel aufstellen zu lassen. Die Forderung um eine angemessene Gedenkstätte blieb lange Zeit ungehört. Es erforderte an erster Stelle das Engagement Einzelner: Allen voran setzte sich der ehemalige Verwaltungsrichter Fritz Endemann ab 1989 dafür ein, den Opfern der NS-Justiz ein Mahnmal zu widmen. Ganze fünf Jahre dauerte es, bis sich die ständigen Bemühungen Endemanns schließlich auszahlten und 1994 eine Gedenktafel an der Außenmauer des Justizgebäudes angebracht wurde. Diese war enttäuschenderweise jedoch so unauffällig und allgemein gehalten, dass man dem Verwaltungsrichter zufolge „wenig damit anfangen“ konnte.[1] Der zu jener Zeit amtierende Landesjustizminister Ulrich Goll und das Ministerium seien an der Forderung eines angemessenen Denkmales schlicht nicht interessiert gewesen, versucht Endemann die damaligen Ereignisse zu erklären. Erst mit dem Wechsel des Justizministers ganze 17 Jahre später wendete sich 2011 das Blatt. Durch die Hilfe Rainer Stickelbergers, des neuen Justizministers, gelang es Endemann 2013 auch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Franz Steinle und Landgerichtspräsidentin Claudia Horz für die Sache begeistern zu können. Nun entstanden erste Gespräche über ein Konzept der verspäteten Erinnerungsstätte. Ab 2016 beteiligte sich auch das Haus der Geschichte Baden-Württemberg an dem Projekt. Drei Jahre später erhielten die 423 Opfer am 29. Januar 2019 ihre Identität zurück. Auf drei vor dem Justizgebäude errichteten Stelen finden sich sowohl Name, Alter, Beruf, Urteil, verurteilendes Gericht als auch das Datum der Hinrichtung wieder. Zudem wurde im Justizgebäude der Urbanstraße eine Dauerausstellung zur NS-Justiz eröffnet, die unter anderem über das System der nationalsozialistischen Geschichte aufklärt.                    

Bild: Beyza Gücyeter.
Bild: Beyza Gücyeter.

Täter wurden nie verurteilt

In der Urbanstraße wurden Häftlinge aus ganz Südwestdeutschland und dem Elsass hingerichtet. Von 1942 bis 1944 wurden teilweise bis zu 20 Hinrichtungen pro Tag vollzogen. Am 12. September 1944 wurde das Justizgebäude bei einem Bombenangriff fast komplett zerstört. Die Hinrichtungen gingen jedoch in Bruchsal weiter. Aufgrund der großen Zerstörung gingen Akten und sonstiges Archivmaterial des Oberlandgerichts Stuttgart weitgehend verloren, was eine spätere Anklage der Beteiligten erschwerte.[2]

Rund 100 dieser Hinrichtungen wurden nachweislich von Hermann Cuhorst, dem ehemaligen Senatspräsidenten des Oberlandgerichts und Vorsitzenden des Sondergerichts in Stuttgart, angeordnet. Aufgrund mangelnder Beweise wurde Cuhorst 1947 zunächst freigesprochen, zu einem späteren Zeitpunkt allerdings zu sechs Jahren Arbeitslager verurteilt. Neben Hermann Cuhorst fällten auch seine Stellvertreter Alfred Bohn, Adolf Payer, Max Hegele, Erwin Eckert, Max Stuber und Hermann Azesdorfer Todesurteile. Allerdings wurde keiner von ihnen für die von ihnen begangenen Verbrechen verurteilt, da die Schuld größtenteils Cuhorst zugesprochen wurde. Sie konnten so erneut in den Justizdienst eintreten.[3]

 

Fazit

Während sich das Verbrechen an der Menschheit im Nationalsozialismus bald 100 Jahre jährt, ist die ständige Erinnerung an die Vergangenheit nach wie vor von großer Bedeutung. Denn die Gefahr, dass die Ereignisse jener Zeit in Vergessenheit geraten, steigt mit der Anzahl der vergangenen Jahre. Aus diesem Grund sind Mahnmäler an öffentlichen Plätzen wie in Stuttgart oder Berlin ein wichtiger Teil der Erinnerungskultur. Jedoch sollte gleichzeitig sichergestellt werden, dass diese gepflegt und geschützt werden. Darüber hinaus gilt es, auf die Gedenkstätten auf verschiedene Arten aufmerksam zu machen, sodass Passant*innen schon beim Vorbeilaufen erkennen können, dass die Denkmäler den Opfern des Holocaust und deren überlebenden Angehörigen gewidmet sind. Es handelt sich hierbei um einen bis heute anhaltenden Prozess der Schuldbewältigung. Es gilt, eine gemeinsame, öffentliche Form des Erinnerns zu schaffen und die Opfer des Holocaust angemessen und respektvoll zu würdigen. Wenn letzteres nicht gewährleistet werden kann, sind der Sinn und die Funktion solcher Gedenkstätten als Mahnung an gegenwärtige und kommende Generationen fraglich.

 

Ein Beitrag von Beyza Gücyeter


Fußnoten:

[1] Vgl. Stenzel, Oliver: Verschleppte Erinnerung, in: KONTEXT: Wochenzeitung, 27.06.2018, URL: https://www.kontextwochenzeitung.de/zeitgeschehen/378/verschleppte-erinnerung-5170.html (abgerufen am 09.03.2022).

[2] Vgl. NS-Justiz 1933–1945: in: Oberlandesgericht Stuttgart, o. D., https://oberlandesgericht-stuttgart.justiz-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Gericht/NS-Justiz+1933-1945 (abgerufen am 09.03.2022).

[3] Vgl. Bade, Sabine: Lang verzögert: Mahnmal und Dauerausstellung zur NS-Justiz im Stuttgarter Landgericht, in: seemoz - Online Magazin am Bodensee, 08.03.2019, https://www.seemoz.de/kultur/lang-verzoegert-mahnmal-und-dauerausstellung-zur-ns-justiz-im-stuttgarter-landgericht/ (abgerufen am 09.03.2022).

 

Literatur:

Bade, Sabine: Lang verzögert: Mahnmal und Dauerausstellung zur NS-Justiz im Stuttgarter Landgericht, in: seemoz - Online Magazin am Bodensee, 08.03.2019, URL: https://www.seemoz.de/kultur/lang-verzoegert-mahnmal-und-dauerausstellung-zur-ns-justiz-im-stuttgarter-landgericht/ (abgerufen am 09.03.2022).

Deutsche Welle (www.dw.com): „Yolocaust“ greift respektlose Mahnmal-Besucher an, in: DW.COM, o. D. URL:, https://www.dw.com/de/yolocaust-greift-respektlose-mahnmal-besucher-an/a-37186335 (abgerufen am 09.03.2022).

NS-Justiz 1933–1945: in: Oberlandesgericht Stuttgart, o. D., URL: https://oberlandesgericht-stuttgart.justiz-bw.de/pb/,Lde/Startseite/Gericht/NS-Justiz+1933-1945 (abgerufen am 09.03.2022).

Schöll, Torsten: Mahnmal wird als Toilette missbraucht, in: Stuttgarter Zeitung, 11.05.2020, URL: https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stauffenbergplatz-in-stuttgart-mahnmal-wird-als-toilette-missbraucht.14b45998-ebea-4bea-ac3d-d14502cb3620.html (abgerufen am 09.03.2022).

Stenzel, Oliver: Verschleppte Erinnerung, in: KONTEXT:Wochenzeitung [sic!], 27.06.2018, URL: https://www.kontextwochenzeitung.de/zeitgeschehen/378/verschleppte-erinnerung-5170.html (abgerufen am 09.03.2022).


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Kommentare: 1
  • #1

    Kerzen �️ und Blumen zur Erinnerung (Montag, 13 Februar 2023 19:53)

    Auf einem nicht öffentlichen Grund. Ist es schwierig eine Proaktive NS Erinnerungsarbeit lebendig zu gestalten. Die Ausstellung im Landgericht ist wie bei soviele NS Gesinnungslosigkeit der NS Vergangenheit eine Verhöhnung der Opfer und seiner Nachkommen. Die Götter der NS Justiz und seine Täter wurden immer geschützt. Und nun die Nachkommen der NS Täter. Weil bis heute mit Hilfe der Justiz…. Viel Eigentum und Besitz in falschen Händen ist

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