„Sketch History“ als Anregung für das historische Denken
Die ZDF-Serie „Sketch History“ ist weit mehr als Comedy in historischen Kostümen. Viele Szenen werfen ernste Fragen auf und fordern zu Reflexion und Positionierung heraus. Die alltägliche Geschichtswahrnehmung wird einem Stresstest unterzogen – und nebenbei auch einem ganzen Fernsehgenre der Spiegel vorgehalten. Jetzt kommt das Format ins Kino.
„Ich hau’ dir deinen beschissenen Lorbeerkranz in deine blöde Fresse, du dumme Römersau, du!“ Dieses charmante Kompliment knallt Gaius Julius Cäsar im Feldherrenzelt Brutus und einem Begleiter an den Kopf. Offenbar schlummerten schon im bekanntesten aller römischen Herrscher die Gene des großen deutschen Schauspielers Klaus Kinski – zumindest, wenn man der ZDF-Serie „Sketch History“ glauben darf. Allein schon in diesem Sketch, dem meistgesehenen Video der Sendung auf YouTube, zeigen sich viele typische Merkmale jener Show, die von 2015 bis 2019 im ZDF ausgestrahlt wurde. Das Konzept der Sendung ist einfach, aber bestechend: Ein festes Ensemble aus bekannten Schauspieler*innen schlüpft in alle erdenklichen Rollen und weiß in jeder historischen Begebenheit etwas Absurdes zu entdecken, scharfzüngig moderiert von Bastian Pastewka – und mehrfach nominiert und ausgezeichnet. Am 16. Juni 2022 kommt nun erstmals ein Spin-off der Serie unter dem vielversprechenden Titel „Die Geschichte der Menschheit – leicht gekürzt“ auf die große Leinwand.
Die Parodie des Klaus Kinski durch den berüchtigten Max Giermann ist einer der einfallsreichen Running Gags, die zu den didaktischen Elementen der Sketch-Serie gehören. Warum musste Cäsar gewaltsam sterben? Es ist eines von vielen Rätseln der Geschichte, die wohl nie ganz gelöst werden. „Sketch History“ legt hier nun eine Theorie vor, die so absurd ist, dass sie jeglicher Verklärung des erhabenen Cäsar den Boden entzieht: der vergötterte Feldherr als ärmlicher Choleriker, der seine Mitmenschen in den Wahnsinn treibt und sie so noch zu seiner Ermordung anstachelt. Zugleich führt die Szene dem geneigten Publikum aber auch vor Augen, dass die historische Überlieferung tatsächlich Lücken haben könnte, die die Lösung solcher Rätsel verhindern: persönliche Rivalitäten, geheime Sympathien, verschwiegene Peinlichkeiten.
Die Aushöhlung von Mythen und Legenden gehört generell zu den großen Stärken von „Sketch History“. So weiß die Sendung genau, dass die Trojaner den Trick mit dem Holzpferd in Wahrheit genau durchschauten; aber „da diese Geschichte den Griechen zu Recht unfassbar peinlich ist, erzählen sie sie bis heute einfach anders“. Knapp zusammengefasst: Sieger schreiben die Geschichte. Auch die kreativ-obszöne Umdeutung des „Gangs nach Canossa“ dreht die aufgepumpte Heldengeschichte einmal ganz auf links und räumt auf mit der Verehrung großer Männer. Die klangvollen letzten Worte Cäsars werden erstmals in ihrer vollen Länge präsentiert – „Ihr könnt mich alle mal am Arsch lecken! Auch du, mein Sohn Brutus!“ –, was sie völlig zu Recht von sämtlichem Glanz der märchenhaften Meistererzählung befreit. Zwar gibt es auch Pointen ohne historische Aussage [1] – etwa in Form von Kalauern oder Alltagssituationen in historischem Setting –, doch diese sind vor allem eine willkommene Auflockerung zwischen den anspruchsvollen Szenen.
Ein weiterer bewährter Running Gag ist der unbeholfene „Schnupperpraktikant“, den ebenfalls Max Giermann verkörpert. Seine tölpelhaften Fehlgriffe werden zur Erklärung für die großen historischen Wendungen: Nicht nur Hitlers aussichtsloser Zweifrontenkrieg geht auf sein Konto, auch Napoleons krachende Niederlage bei Waterloo hat er zu verantworten. Ein weiterer Hinweis auf die Unmöglichkeit erschöpfender historischer Erklärungen – gar eine Anspielung auf so etwas wie Schicksal?
„Tatsächlich wurde auch großer Wert darauf gelegt, geschichtliche Fakten korrekt wieder zu geben“, berichtet uns Ensemblemitglied Carsten Strauch, der bereits an der Entwicklung der Serie beteiligt war. Doch eine „gewisse Verfälschung“ sei im Sinne des Humors natürlich manchmal gewollt. In der Tat versteht es „Sketch History“, solide auf bekannten Daten und Fakten aufzubauen – um dann genau dort den Finger in die Wunde zu legen, wo die Überlieferung lückenhaft, phantastisch oder rätselhaft wird. Damit folgt die Serie – möglicherweise sogar unbeabsichtigt – anerkannten didaktischen Prinzipien. Indem gekonnt ein historischer Kontext mit Erscheinungen der Moderne in einen überdeutlichen Kontrast gesetzt wird, werden nicht nur Alteritätserfahrungen geradezu provoziert, sondern es wird auch vor Augen geführt, dass eine Geschichtsbetrachtung ohne Werturteil unvollständig ist. Vortreffliche Beispiele für diesen Anspruch sind etwa eine „Pressekonferenz“ zum Richtfest des Kölner Doms (1400 tödliche Unfälle seit Baubeginn – „Dat is eine sehr jute Schnitt“), die Waschanlage für Ritterrüstungen („Jetzt hab’ ich hier ’nen fetten Kratzer! Wie soll ich denn so morgen mit auf den Kreuzzug nach Jerusalem gehen?“) oder die Anwerbung neuer Kreuzritter („Ihr glaubt eben nicht an unseren Gott. Und deswegen kann man streng genommen schon sagen, dass ihr Ungläubige seid. Also aus unserer Sicht.“). Überall fordert die Kluft zwischen unterschiedlichen Wertesystemen zur eigenen Positionierung heraus.
Auch für das didaktische Prinzip der Multiperspektivität bietet das Sketchformat ideale Rahmenbedingungen: Der kreative Ansatz ermöglicht es, auch Akteure zu Wort kommen zu lassen, denen die etablierte Geschichtsschreibung keine Bühne gewährt. Raubritter oder Gladiatoren dürfen hier Bedenken wegen des Arbeitsschutzes anbringen, Soldaten den Expansionismus Alexanders des Großen hinterfragen oder ein Eunuch dem Pharao sein Leid klagen. „Ich mag die Underdogs und gebe ihnen gerne eine Stimme“, sagt Carsten Strauch, der häufig in solche Rollen schlüpft. Während in solchen Szenen jedoch einerseits greifbar wird, wie viele Grausamkeiten längst der Vergangenheit angehören, werden auch vermeintliche Errungenschaften der Moderne geschickt aufs Korn genommen – etwa wenn kein einziger Ritter der Tafelrunde den Kassenwart geben will, Jesus mit Rechtsschutzfragen behelligt wird oder „Trockenbau Kasallek aus Berlin“ die ägyptischen Pyramiden nur auf Vorkasse errichtet. Noch mehr Bezüge zu heutigen Menschheitsfragen verspricht Strauch für den neuen Kinofilm: „Man kann sich zum einen wirklich amüsieren und viel Spaß haben (viele Szenen sind sehr, sehr lustig geworden), gleichzeitig gibt es auch eine tiefer gehende Ebene, auf der sich der Film mit sehr relevanten Themen auseinandersetzt und einen kritischen Blick auf den Zustand der Menschheit wirft.“
Tatsächlich sieht Utz Klöppelt, Geschichtslehrer und Betreiber des Blogs Geschichte 21, auch Potentiale für den Geschichtsunterricht: „Für einen Einstieg in eine Unterrichtsreihe können wir ein zum Inhaltsbereich passendes Sketch zeigen und unsere Schülerinnen und Schüler raten lassen, wo Anachronismen dargestellt werden, wo Zeitgemäßes karikiert wird. Am Ende der Reihe oder Sequenz kommen wir auf die Antworten zurück und gleichen sie mit dem Gelernten ab.“ Besonders bissige Sketche kann sich Klöppelt ideal zur Bildung von Werturteilen am Ende eines Themas vorstellen: „Denn manchmal – und dies ist mitunter intendiert – bleibt einem beim zweiten Nachdenken das Lachen im Halse stecken.“ Der Tübinger Lehrer Michael Jaesrich findet solche Modelle ebenfalls denkbar, weist aber auch darauf hin, dass eine genaue Analyse der Szenen hohe zeitliche Anforderungen stellt und der Einsatz entsprechend bewusst erfolgen sollte: „Das Medium beinhaltet schließlich gleich zwei Ebenen, die humoristische und die historische.“ Darsteller Carsten Strauch jedenfalls gefällt der Gedanke, die Serie in der Schule zu nutzen: „Das war nicht die ursprüngliche Intention, aber natürlich freut es uns sehr, wenn das passiert.“ Auch er kann sich gut vorstellen, „über einen humorvollen Ansatz den Einstieg in ein Thema zu bekommen und danach dann tiefer einzusteigen, wenn dadurch das Interesse geweckt ist, sich mit den tatsächlichen Fakten auseinander zu setzen“.
Schließlich vermag das Format auch die Medienkompetenz zu schulen: Denn neben der Dekonstruktion historiographischer Motive ist die Serie auch eine Parodie auf ihr eigenes Medium, das Fernsehen. Mit „ZDF-History“ hatte man ein großes Vorbild direkt im eigenen Haus. Alle erdenklichen Konventionen des Geschichtsfernsehens zieht „Sketch History“ durch den Kakao: Die immer gleichen Filmfragmente des hetzenden Goebbels, der letzten Tage im Bunker oder des leiernden Walter Ulbricht werden variantenreich entstellt. Die obligatorische Einblendung eines historischen Datums wird als das gezeigt, was sie zuweilen längst ist: eine prätentiöse Chiffre für „sehr lang her“ („Köln, 700 v. FC (1248 n. Chr.)“ oder „Judäische Wüste östlich von Hebron, kurz vor Christus“). Und die pflichtgemäße Beglaubigung des Stoffes durch Zeitzeug*innen offenbart sich in ihrer ganzen Bedeutungslosigkeit, wenn beliebige Figuren aus den Sketchen – ganz gleich, ob sie inzwischen 2000 Jahre alt sein müssten oder noch im Sketch ermordet wurden – putzmunter in einem Fernsehstudio ihre Ansichten zum Besten geben.[2] Auch hier könnte also bei der richtigen Aufbereitung Lernpotential für Schüler*innen liegen; immerhin ist Medienbildung ein Kernanliegen der Bildungspläne. Um eine besonders intensive Auseinandersetzung mit dem Medium Film anzuregen, schlägt Utz Klöppelt sogar vor, mit Klassen einen eigenen Sketch zu drehen. Die Ausstattung müsse heute kein Problem mehr sein: „Einige Schulen verfügen bereits über Greenscreen-Einrichtungen, Tablets und Apps für die Produktion und Bearbeitung von Filmen.“
Verschiedene intertextuelle Bezüge runden das Format ab: Die spritzig animierten Übergänge zwischen den Sketchen sind ebenso eine Hommage an das Vorbild Monty Python wie sämtliche Szenen mit Jesus oder den Rittern der Tafelrunde. Überhaupt wurde mit dem Format eine große britische Tradition historischer Sketchcomedy aufgegriffen. Und sogar die Titelmusik ist eine Anspielung – nämlich auf „2001: Odyssee im Weltraum“, dessen Hauptthema „Also sprach Zarathustra“ nach Richard Strauss hier in der funkigen Abwandlung von Eumir Deodato zum Einsatz kommt.[3]
All diese Facetten dürfte nun auch der neue Film vereinen, der die „Geschichte der Menschheit“ in eine Rahmenhandlung einbettet: Aliens finden auf der Voyager-Sonde die legendäre Datenplatte mit allen wichtigen Informationen über die Menschheit. Der Film verspricht neben dem bewährten Ensemble unzählige namhafte Gäste, darunter Carolin Kebekus, Ulrich Tukur und Christoph Maria Herbst.[4] Die Trailer kündigen zudem ein Wiedersehen mit „Klaus Kinski“ und „Trockenbau Kasallek“ an. Besonders wichtig ist Carsten Strauch aber auch, was sich hinter den Kulissen getan hat: „Auf produktionstechnischer Seite wurde der Aufwand noch mal deutlich erhöht, so dass wir der großen Leinwand wirklich gerecht werden. Das sieht schon alles nach großem Kino aus.“ Und er will sogar weitere Projekte dieser Art nicht ausschließen: „Es könnte sein, dass es nicht das letzte Wiedersehen war, aber dazu darf ich momentan noch nichts verraten.“
Gute Nachrichten also für alle Fans intelligenter Geschichtsvermittlung! Denn „Sketch History“ ist keine platte Comedyshow, die historische Kulissen nur als Staffage bemüht. Vielmehr unterstreicht das kunstvolle Erscheinungsbild den professionellen Anspruch dieses Formats: Im besten Sinne von Satire dient der Humor als Trägerstoff für ein kritisches Bewusstsein, das beim Durchdenken der Pointen ganz von selbst erwacht. Durch den konsequenten, aber dennoch abwechslungsreichen Bruch mit verstaubten Überlieferungen und eingefahrenen Sehgewohnheiten wird deutlich, welche Probleme und Grenzen der gängige Umgang mit Geschichte hat. Der vielzitierte Anspruch von Leopold von Ranke, nur zu „sagen, wie es eigentlich gewesen“, der auch heute noch zuweilen die Prämisse historischer Wahrnehmung zu sein scheint, wird in seine Schranken gewiesen – indem völlig hemmungslos gezeigt wird, dass es doch auch anders gewesen sein könnte. Das entlarvt so manche Vermutung der Geschichtsschreibung wirklich als reine Vermutung. Nicht zuletzt wirft der satirische Ansatz zuverlässig Fragen auf, die bestechend greifbar machen, dass Geschichte niemals ohne eigenes Wertefundament betrachtet werden kann. „Sketch History“ ist ein brillantes Instrument, um die Gesellschaft zu einem reflektierten Umgang mit Geschichte anzuregen.
Ein Beitrag von Johannes Thiede
Aktuell sind mehrere Folgen von Sketch History in der ZDFmediathek abrufbar.
Wir danken Carsten Strauch für die interessanten Einblicke sowie Utz Klöppelt und Michael Jaesrich für die didaktische Einschätzung!
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Literatur:
Viehoff-Kamper, Evelyn/Viehoff, Reinhold: Sketch History als Meta‑(Media)‑History. Scherz, Satire, Ironie – und tiefere Bedeutung?, in: Spiel – Neue Folge. Eine Zeitschrift zur Medienkultur 3 (2017), S. 125–147
Fußnoten:
[1] Vgl. auch Viehoff-Kamper/Viehoff, S. 143–145.
[2] Zum ganzen bisherigen Absatz vgl. Viehoff-Kamper/Viehoff, S. 126–141. Jener Beitrag vertritt allerdings die These, „Sketch History“ beschäftige sich „ausschließlich mit Geschichte, wie sie im gegenwärtigen Fernsehen und im Film prominent erzählt wird“ (S. 144). Warum wir einen viel breiteren Anspruch des Formats sehen, wurde bereits deutlich.
[3] Vgl. Viehoff-Kamper/Viehoff, S. 127–133 und 142.
[4] Vgl. https://www.filmstarts.de/kritiken/284867.html (Abruf 2. Juni 2022).
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