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Schwieriger Start nach schwierigen Zeiten – Städtepartnerschaften am Beispiel von Tübingen und Aix en¬ Provence

Am 20. Oktober 1960 begründeten Tübingen und Aix-en-Provence eine von mittlerweile rund 2.200 deutsch‑französischen Städtepartnerschaften. Dabei wäre diese 1965 mit dem Europapreis des Europarats ausgezeichnete Partnerschaft fast nicht zustande gekommen. Nun jährt sich die Gründung dieser erfolgreichen und lebendigen Partnerschaft zum 62. Mal. Ehemals verfeindete Menschen haben ein langfristig erfolgreiches Projekt geschaffen. Dabei waren sie sich ihrer Vergangenheit und den gegenwärtigen Möglichkeiten bewusst und haben den Grundstein für eine erfolgreiche gemeinsame Zukunft gelegt.

Rotonde in Aix-en-Provence. Bild: Maren Brugger.
Rotonde in Aix-en-Provence. Bild: Maren Brugger.

Die Entstehung von deutsch‑französischen Städtepartnerschaften

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden in Deutschland zwischen 1948 und 1950 erste Städtepartnerschaften. Zwei Beispiele hierfür sind Hannover und Bristol sowie Bonn und Oxford. Diese Partnerschaften entstanden als Kanadier, Amerikaner und Engländer kommunale deutsche Vertreter in ihre jeweiligen Heimatländer einluden, um ihnen ihre auf Demokratie basierende Kommunalverwaltung zu zeigen. Zudem wurde auf die Initiative der schweizerischen Professoren und Autoren Hans Zbinden, Eugen Wyler und Adolf Gasser die Internationale Bürgermeisterunion für deutsch‑französische Verständigung (IBU) und der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) gegründet. In letzteren wurde die IBU 1985 organisatorisch eingegliedert. Das Ziel hierbei lag ebenfalls in der Etablierung der Kommune als Basis der Demokratie, um so einen weiteren Weltkrieg unmöglich zu machen. Durch die IBU entstand 1950 die erste deutsch‑französische Partnerschaft zwischen Ludwigsburg und Montbéliard.[1]

 

In den 1960er Jahren folgte eine regelrechte Welle an neuen Partnerschaften, bedingt durch die politischen Annährungen mit dem 1963 von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle unterschriebenen Elysee‑Vertrag. Diese Welle dauerte bis in die 1970er Jahre an. Die Intention bei der Gründung dieser Städtepartnerschaften war zum einen die Versöhnung mit einem ehemaligen Feind, zum anderen die Schaffung eines friedlichen Europas und neuer Chancen für die jüngere Generation. Daher beschränken sich diese Projekte inhaltlich nicht nur auf die Erinnerung und deren Aufarbeitung, sie waren auch an einer gemeinsamen Zukunft, an einer gemeinsamen europäischen Entwicklung, interessiert.[2]

Eine zweite große Welle von deutsch-französischen Städtepartnerschaften gab es ab Mitte der 1980er Jahre infolge des Mauerfalls und der Wiedervereinigung. Seitdem geht die Zahl jährlich neu beschlossener deutsch-französischer Partnerschaften deutlich zurück.[3]

Neckarfront in Tübingen. Bild: Maren Brugger.
Neckarfront in Tübingen. Bild: Maren Brugger.

Tübingen auf der Suche nach einer Partnerstadt

Bereits 1955 suchte die Stadt Tübingen auf Anregung der Universität hin eine französische Partnerstadt.[4] Es bestand zu diesem Zeitpunkt noch keine andere Städtepartnerschaft. Im August 1955 wandte sich der Leiter des städtischen Kulturamts an Jean-Marie Le Sage, den Direktor des Centre d’Études Françaises (des heutigen Deutsch-Französischen Kulturinstituts), bezüglich der Suche nach einer französischen Universitätsstadt. Dieses sollte ähnlich groß und bedeutend wie Tübingen sein. Le Sage zog sowohl Aix‑en‑Provence als auch Caen und Rennes in Erwägung. Letztere beiden waren im Gegensatz zu Aix bereits in Verhandlungen mit anderen Städten. Daher wandte sich Tübingens Oberbürgermeister Hans Gmelin im November 1955 an seinen Aixer Amtskollegen Henri Mouret, um eine mehrere Bereiche umfassende, freundschaftliche Verbindung aufzunehmen. Von Aixer Seite kam jedoch nicht viel Resonanz.

 

Als es 1959 noch keine Neuigkeit von Aixer Seite gab, schrieb Le Sage zu Beginn des Jahres dem Bürgermeister persönlich. In seinem Brief erklärte er, dass Tübingen eine Anfrage aus Cannes prüfe und man in Deutschland den Eindruck habe, Mouret selbst sei gegen eine Städtepartnerschaft.[5] Le Sage forderte zudem eine „definitive Stellungnahme, gleich welcher Art“[6]. Ende April 1959 erhielt Bürgermeister Mouret ein positives Votum des neuen Aixer Gemeinderates, woraufhin er die Möglichkeiten einer Städtepartnerschaft mit Tübingen prüfen ließ. Zwischenzeitlich gelang es Tübingen zudem mit dem schweizerischen Monthey eine Partnerstadt einzugehen.[7] Die Partnerschaft mit Aix wurde beschlossen und am 20./21. Oktober 1960 reiste eine Tübinger Delegation nach Aix‑en‑Provence, um die Partnerschaft in einer Zeremonie offiziell zu machen. Der Aixer Gegenbesuch in Tübingen fand am 18./19. Mai 1961 statt. In diesem Rahmen wurde auch Jean‑Marie Le Sage für seinen Einsatz zur Entstehung dieser Städtepartnerschaft gedankt.[8]

 

Unipartnerschaft

Wie bereits erwähnt, initiierte die Universität die Suche nach einer französischen Partnerstadt. Die Kooperation auf universitärer Seite mit Aix begann dadurch bereits vor der offiziellen Partnerschaft der beiden Städte. 1957 war die Partnerschaft etabliert. Sie wurde anlässlich ihres 50-jährien Bestehens sowohl mit einem Symposium als auch mit Besuchen beider Delegationen gefeiert und 2017 zum 60-jährigen Jubiläum mit einem speziellen Programm zelebriert.

Heute können Studierende beider Universitäten Geschichte sowohl an der Universität Tübingen als auch an der Aix‑Marseille Université studieren und so einen deutsch‑französischen Doppelabschluss im Rahmen des „Integrieren Deutsch-Französischen Studiengangs Geschichte“ erlangen, im Bachelor wie im Master.[9]

 

Die Partnerstadt als fester Bestandteil im städtischen Leben

Seit 62 Jahren besteht nun eine Partnerschaft, die fast nicht zustande gekommen wäre. Nach diesem komplizierten Start, sollte sich die Städtepartnerschaft zwischen Tübingen und Aix‑en‑Provence nun doch als ein Erfolgsprojekt herausstellen: 1965 wurden  beide Städte mit dem Europapreis des Europarates ausgezeichnet.[10] Das 50-jährige Partnerschafts-Jubiläum 2010 wurde mit mehr als 50 verschiedenen Veranstaltungen auf beiden Seiten des Rheins gefeiert und durch das EU-Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ von der Europäischen Kommission gefördert. [11]

 

Auch wenn die Städtepartnerschaft zwischen Tübingen und Aix‑en‑Provence einen schwierigen Weg bis zu ihrer Gründung hatte, ist sie ein großer Erfolg und ein lebendiger Mehrwert für die Bürger*innen. So merkte der Honorarkonsul der Republik Frankreich, Michael Mack, anlässlich des 60-jährigen Jubiläums 2020 an: „Die 60-jährige Partnerschaft zwischen Tübingen und Aix‑en‑Provence besteht den Test der Zeit mit großem Erfolg. […] Die zwei Universitätsstädte sind Schauplatz einer vielfältigen, manchmal überraschenden Partnerschaftsinitiative. Ob Schüler, Student, Kulturliebhaber oder Sportfan, es ist für jeden etwas dabei.“[12] Wir gratulieren zur 62-jährigen Städtepartnerschaft!

 

Ein Beitrag von Maren Brugger


Fußnoten:

[1] Pfundheller, Kai: „Städtepartnerschaften“, in: Handwörterbuch des politisches Systems der Bundesrepublik Deutschland, online einsehbar durch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), unter: https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/handwoerterbuch-politisches-system/202141/staedtepartnerschaften/ (29.09.2022).

[2] Vgl. Keller, Eileen: Les jumelages de collectivités territoriales – renforcer le sentiment citoyen européen. Une étude empirique, hg. von Bertelsmann Stiftung/Deutsch‑Französisches Institut, Gütersloh 2018, S. 21.

[3] Vgl. Keller, Eileen: Les jumelages de collectivités territoriales – renforcer le sentiment citoyen européen. Une étude empirique, hg. von Bertelsmann Stiftung/Deutsch‑Französisches Institut, Gütersloh 2018, S. 21.

[4] Vgl. https://www.tuebingen.de/500.html

[5] Vgl. Institut Culturel Franco-Allemand Tübingen (Hrsg.): 50 Jahre Institut Culturel Franco-Allemand Tübingen. 1946–1996. Tübingen 1996, S. 25.

[6] Institut Culturel Franco-Allemand Tübingen (Hrsg.): 50 Jahre Institut Culturel Franco-Allemand Tübingen. 1946–1996. Tübingen 1996, S. 25.

[7] Vgl. Website der Universitätsstadt Tübingen, Partnerstädte, unter: https://www.tuebingen.de/505.html (29.09.2022).

[8] Vgl. Institut Culturel Franco-Allemand Tübingen (Hrsg.): 50 Jahre Institut Culturel Franco-Allemand Tübingen. 1946–1996. Tübingen 1996, S. 25 f.

[9] Vgl. Website der Universität Tübingen, Integrierter Deutsch‑Französischer Studiengang Geschichte B.A./M.A. (TübAix) https://uni-tuebingen.de/fakultaeten/philosophische-fakultaet/fachbereiche/geschichtswissenschaft/studium/studienangebot/integrierter-deutsch-franzoesischer-studiengang-geschichte-bama-tuebaix/ (29.09.2022).

[10] Vgl. Website der Universitätsstadt Tübingen, Partnerstädte, unter: https://www.tuebingen.de/505.html (29.09.2022).

[11] Vgl. Website der Universitätsstadt Tübingen, Partnerstädte, Aix, unter: https://www.tuebingen.de/500.html#/523 (29.09.2022).

[12] Website des französischen Honorarkonsulats für Freiburg und Tübingen, unter: https://consulhon-france.eu/de/aktuelles/universitaetsprogramme-maerkte-und-petanque-die-vielfaeltige-partnerschaft-von-aix-en-provence-und-tuebingen/ (29.09.2022).

 

Literaturangaben:

Institut Culturel Franco-Allemand Tübingen (Hrsg.): 50 Jahre Institut Culturel Franco-Allemand Tübingen. 1946–1996. Tübingen 1996.

 

Keller, Eileen: Les jumelages de collectivités territoriales – renforcer le sentiment citoyen européen. Une étude empirique, hg. von Bertelsmann Stiftung/Deutsch‑Französisches Institut, Gütersloh 2018.

 

Website der Universität Tübingen, Integrierter Deutsch‑Französischer Studiengang Geschichte B.A./M.A. (TübAix) https://uni-tuebingen.de/fakultaeten/philosophische-fakultaet/fachbereiche/geschichtswissenschaft/studium/studienangebot/integrierter-deutsch-franzoesischer-studiengang-geschichte-bama-tuebaix/ (29.09.2022).

 

Website der Universitätsstadt Tübingen:

Aix-en-Provence: https://www.tuebingen.de/500.html (29.09.2022) und https://www.tuebingen.de/500.html#/523 (29.09.2020).

Gemeinschaftsschulen und Gymnasien, unter: https://www.tuebingen.de/26690.html#/1072/3434einrichtung1181 (29.09.2022).

Monthey: https://www.tuebingen.de/505.html (29.09.2022).

 

Website des französischen Honorarkonsulats für Freiburg und Tübingen, unter: https://consulhon-france.eu/de/aktuelles/universitaetsprogramme-maerkte-und-petanque-die-vielfaeltige-partnerschaft-von-aix-en-provence-und-tuebingen/ (29.09.2022).

 


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