Pia Preu leitet die Einrichtung „Lernort Geschichte“, die Führungen, Workshops und Projekte zur Geschichte Stuttgarts für Kinder und Jugendliche anbietet. Was ihr am meisten Spaß macht im Bereich Demokratie- und historisch politischer Bildung, welche Herausforderungen sich ihr dabei stellen und welche neuen Projekte anstehen, erzählt sie uns im Interview.
Was hast Du studiert und worauf lag Dein Schwerpunkt im Studium?
Ich habe im Master Geschichte studiert und im Bachelor Kunstgeschichte, Philosophie und Geschichte in Tübingen und Stuttgart. Mein Schwerpunkt lag im Master vor allem auf Mittelalterlicher Geschichte und Geschichte der Frühen Neuzeit.
Was genau ist „Lernort Geschichte“ und welche Inhalte bietet ihr an?
„Lernort Geschichte“ ist eine Einrichtung der Stuttgarter Jugendhausgesellschaft (stjg, Anm. der Redaktion). Wir machen Angebote wie Führungen und Workshops zur NS-Geschichte Stuttgarts, Spiele und Projekte im Bereich Demokratiebildung und historisch-politischer Bildung. Wir haben ein Team von Ehrenamtlichen, organisieren Fortbildungen, vernetzen uns in der Stuttgarter Stadtgesellschaft und sind Ansprechpartner, vor allem für Kinder- und Jugendarbeit. Für Kinder, weil wir ein Ganztagesschul-Programm haben und für Jugendliche, weil wir direkt in Jugendhäuser gehen. Wir haben aber auch öffentliche Programme, bei denen Jugendliche spielerisch Demokratie lernen können.
Wie ist das, jetzt im Beruf mit ganz anderen Themen als im Studium zu tun zu haben?
Ich habe bereits im Studium als Ehrenamtliche angefangen, bei „Lernort Geschichte“ zu arbeiten, weil ich an einem Seminar teilgenommen habe, das von „Lernort Geschichte“ mitorganisiert war – zu Erinnerungskultur und Gedenkstättenpädagogik. Im Zuge dessen wurde ich gefragt, ob ich mitmachen möchte bei Führungen und habe das dann drei Jahre lang gemacht. Parallel habe ich auch noch im „Hotel Silber“ (Museum der ehemaligen Gestapo-Zentrale in Stuttgart, Anm. der Redaktion) und im Haus der Geschichte (Baden-Württemberg, Anm. der Redaktion) Führungen gemacht. Außerdem habe ich auch noch bei einem Verlag gearbeitet für die Enzyklopädie der Neuzeit und die „Der Neue Pauly Supplemente“. Ich habe dann aber gemerkt, dass die Verlagsarbeit mir zu wenig am Menschen ist, dass ich diesen pädagogischen Ausgleich brauche. Vor allem während des Studiums, bei dem Texte produziert werden und viel Hirnarbeit geleistet werden muss. Man weiß ja auch nie, wo es dann hingeht nach dem Studium. Deswegen bin ich sehr vielseitig aufgestellt. Für mich war das die beste Entscheidung, diese Vermittlung und Vernetzung schon im Studium aufzubauen.
Was ist Dir besonders wichtig bei der historischen Vermittlungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen?
Mir ist es wichtig, dass dieser Funke an Begeisterung, den ich für die Themen habe, auf die Kinder und Jugendlichen überspringt. Dass sie sich reindenken, verorten können, dass sie einen Bezug zu dem Ort herstellen. Am schönsten finde ich, wenn es dann so nachhaltig wirkt, dass sie zum Beispiel in zehn Jahren sagen: “Boah, da habe ich mal das gesehen und das gemacht, das fand ich so spannend!“ Das kenne ich auch von mir selbst damals. Solche Projekte ermöglichen Zugänge, die im Schulalltag einfach nicht geboten werden können. Deswegen ist es für mich sehr wichtig, mit Schüler*innen auch an die Orte zu gehen und sich auszutauschen und partizipativ Programme zu gestalten, denn das ist nachhaltiger als Frontalunterricht im Klassenzimmer. Das sagen auch die Jugendlichen.
Und wie sieht so ein Arbeitstag bei Dir aus?
(lacht) Chaos! An einem Tag, an dem auch Programm stattfindet, beginnt der Tag um 9 Uhr. Um 12 Uhr geht es zurück ins Büro. Dann E-Mails abarbeiten, gucken, welche Anfragen als nächstes anstehen, für Projekte telefonieren, Termine ausmachen, Anträge schreiben für Projekte, Meetings mit Kooperationspartner*innen, …
Also schon einiges an Schreibtischarbeit?
Wenn man jetzt nicht gerade auf Fortbildung ist oder sich einen Vortrag anhört oder bei einer Besprechung ist mit anderen, dann ja. Deswegen mache ich auch so gerne selbst noch die Programme, auch wenn es dann oft knapp wird. Die Schreibtischarbeit macht halt sonst niemand anderes. Aber es ist mir schon echt wichtig, dass ich mir das als Ausgleich bewahre.
Welche Kompetenzen aus dem Studium kannst du in Deinem Arbeitsalltag anwenden?
Strukturiertes Arbeiten, schnell Inhalte erfassen, wenn ich beispielsweise Texte lese. In meinem Studium waren die Exkursionen das Tollste. Diese Freude an Exkursionen, selbst etwas gezeigt bekommen und anderen etwas zeigen, das habe ich mir hier zum Beruf gemacht: Geschichte erfahrbar machen.
Hast du Tipps für Studierende, was man bereits im Studium machen könnte hinsichtlich Berufsperspektiven?
Ich gebe ihnen den Tipp, bei uns als Ehrenamtliche zu arbeiten (lacht)! Wir sind total angewiesen auf Studierende, die schon mal Berufserfahrung sammeln wollen. Am besten sammelt man Berufsperspektiven, indem man sich breit aufstellt und sich verschiedene Bereiche anschaut. Es gibt härtere Wege und einfachere Wege. In der Wissenschaft gibt es einfach viel weniger Stellen. Im Bereich der politischen Bildung gibt es mehr Förderung und mehr Möglichkeiten, beispielsweise bei der Landeszentrale für politische Bildung. Wenn man die Möglichkeit hat, eine Hilfskraftstelle anzunehmen, würde ich das auch auf jeden Fall machen, weil man so bei ganz unterschiedlichen Projekten mitmachen kann. Die Netzwerke, die man während des Studiums knüpft, die werden später helfen, einen Job zu bekommen.
Was macht Dir am meisten Spaß bei Deiner Arbeit bei „Lernort Geschichte“?
Das Tollste ist, dass wir große Freiräume bekommen, die Programme so zu gestalten, dass es den Jugendlichen Bock macht und uns auch. Ich finde, das gibt es sonst bei keiner anderen Einrichtung. Ich finde es auch toll, dass wir so ein junges Team sind. Wir sind alle motiviert, wir mögen uns und treffen uns gerne, sind gerne im Austausch und können gemeinsam etwas bewegen. Dieses Wir-Gefühl ist eines meiner Highlights. Mir macht es auch total Spaß, direkt mit Kindern und Jugendlichen zusammenzuarbeiten, diese Begeisterung zu wecken für Geschichte. Vielleicht ist ja auch mal ein*e Historiker*in der nächsten Generation dabei.
Welche Herausforderungen stellen sich bei Deiner Arbeit in der Geschichtsvermittlung?
Zum einen gibt es Konkurrenzen, wir müssen immer die Nische beachten, in der wir uns befinden. Im Rahmen der ehrenamtlichen Tätigkeiten würde ich oft gerne mehr bieten können, aber manchmal muss ich mich auch gegen eine Person entscheiden; dafür Verantwortung zu übernehmen, ist manchmal herausfordernd. Bei der stjg sind wir der einzige Fachbereich, der sich allein mit Demokratiebildung und historisch-politischer Bildung befasst und sind so ein bisschen die „Exoten“. Für mich ist das eine Herausforderung, uns sichtbar zu machen. Trotzdem bietet die stjg viele Möglichkeiten für Fortbildungen. Ohne jemals pädagogische Seminare gemacht zu haben, arbeite ich jetzt im pädagogischen Bereich. Hier ist die stjg toll, weil es viele Weiterbildungsmöglichkeiten gibt. So habe ich es geschafft, mich auch pädagogisch aufzustellen und ich fühle mich viel sicherer als noch vor einem Jahr, als ich hier angefangen habe.
Welche Projekte stehen denn als nächstes an?
Wir machen bald ein Kolonialismus-Projekt zu kolonialer Geschichte und Erinnerungskultur hier in Stuttgart. Das ist ein sehr großes Projekt. Nächstes Jahr machen wir auch partizipative Stadtentdeckungstouren mit Deutsch-Vorbereitungsklassen in einfacher Sprache. Außerdem gibt es jedes Halbjahr ein Ganztagesschul-Programm, die „Stadtdetektive“, bei dem Kinder im Grundschulalter an die historisch-politische Bildung spielerisch herangeführt werden. Im Sommer kommt noch ein Projekt zu Zwangsarbeit in Stuttgart. Meine Kollegin Lucija wird ein Empowerment-Tanz-Projekt gestalten und eine neue Vortragsreihe mit dem Stadtjugendring.
Vielen Dank für das Interview!
Ein Interview von Mia Paulus
Interview vom 25.11.2022, Stuttgart.
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