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Blogreihe „Eine Globalgeschichte Schwabens in sieben Objekten“ – Einleitung

Heinrich, Roy Frederic, 1881-1943, in: Cabinet of American illustration (Library of Congress).
Heinrich, Roy Frederic, 1881-1943, in: Cabinet of American illustration (Library of Congress).

Ein Projekt entsteht

Wo fängt Globalgeschichte an? Folgt man dem landläufigen Verständnis, so findet sie weit weg und vor allem woanders statt. Was hat sie dann aber mit uns zu tun? Kann man das „Globale“ finden, wenn man „gräbt, wo man steht“?[1]

 

Im Wintersemester 2022/2023 haben wir, eine Gruppe von Geschichtsstudierenden, am Beispiel Schwabens erprobt, wie man Globalgeschichte vor Ort schreiben kann. Schwaben ist die Region, in der wir leben und studieren und ganz gleich, ob wir von hier kommen oder sogenannte „Neigschmeckte“ sind – ein wenig Beschäftigung mit der Region und ihrer Geschichte scheint geboten für den*die angehende*n Historiker*in. Aber wie das „Globale“ vor Ort finden? Auf in die Uni-Bibliothek zur Ausleihe einschlägiger Grundlagenwerke und aktueller Aufsätze? Oder besser gleich ins Hauptstaatsarchiv Stuttgart? Oder kann man Globalgeschichten Schwabens vielleicht auch anders schreiben als über das klassische Studium von Text(quellen)?

 

Wir haben ausprobiert, wie konkrete Objekte uns helfen können, globale Geschichten der Region zu rekonstruieren und anschaulich zu machen. Dazu mussten wir uns zunächst mit den Grundlagen der Globalgeschichte und der Provenienzforschung vertraut machen, wobei uns Spezialist*innen aus dem Museum der Universität (MUT) und dem Stadtmuseum sowie unsere Dozentin Frau Professor Brauner zur Seite standen. Als vielversprechende Objekte gefunden waren, begann die eigentliche Recherche. Wie heißt mein Objekt genau? Woher kommt es? Aus welchen Materialien besteht es? Wie haben sich seine Funktionen und Gebrauchsweisen, wie hat es sich selbst im Laufe der Zeit verändert? Und am wichtigsten: Welche Geschichte kann es über die Region und deren Bezug zur Welt erzählen? Ganz ohne einen Blick ins Buch, so mussten wir dabei feststellen, kommt man auch beim Erforschen von Objektgeschichten nicht aus.

 

Zuletzt ging es ans Schreiben: Wie schreibt man über ein Objekt? Und wo liegt der Unterschied zwischen dem Schreiben von Geschichte und Geschichten? Zum Ende des Semesters waren schließlich sieben Objektgeschichten fertig – bereit zur Veröffentlichung auf „Historischer Augenblick“.

Globalgeschichte – neue Zugänge zu einer Region

Globalgeschichte ist nicht die Geschichte der ganzen Welt, sondern vielmehr eine bestimmte Perspektive auf die Welt und ihre Geschichte. Globalhistoriker*innen fragen nach Verbindungen und Verflechtungen und hinterfragen Grenzen und Identitäten, nationale Erzählungen und eurozentrische Sichtweisen – und genau dabei kann ihnen der Blick auf Objekte helfen.[2]

Um den Geschichten von Objekten zu folgen, ihre Herkunft und Herstellung, aber auch ihre Reisewege und unterschiedliche Gebrauchs- und Wirkungsweisen zu untersuchen, gilt es, übliche Grenzziehungen hinter sich zu lassen: Objektgeschichten machen weder an Staatsgrenzen noch an historischen Zäsuren Halt. Genau deshalb sind sie für Globalhistoriker*innen so interessant: Objektgeschichten können helfen, Verbindungen und Verflechtungen zwischen Orten und Menschen sichtbar zu machen. Sie zeugen von freiwilliger wie unfreiwilliger Mobilität, von Warenströmen und Handelsketten, sie können Produkt wie Faktor in kulturellen Austauschprozessen und ökologischen Transfers (gewesen) sein.[3]

 

Mit Objekten Geschichte(n) erzählen

Menschen lieben Dinge! Dinge, so heißt es, zeugen von der Vergangenheit, machen sie in den Augen vieler gar ein Stück weit „lebendig“. Was Dinge aber bezeugen, ist keineswegs offensichtlich. Die Dinge sprechen nicht. Ihre Geschichten und Bedeutungen können wir nur mithilfe von kritischer Analyse und Kontextualisierung zu rekonstruieren versuchen. Wie eine Textquelle kann auch ein Objekt kein vollständiges Bild einer Zeit vermitteln, sondern verweist auf bestimmte Kontexte und Erfahrungen. Nimmt man die Geschichte eines Objekts ernst, so lassen sich zugleich wandelnde Gebrauchsweisen und Bedeutungen rekonstruieren. Es gibt nicht den Sinn eines Objekts. Vielmehr kann ein und dasselbe Ding zu unterschiedlichen Zeiten Verschiedenes bedeuten – und genau deshalb können Objektgeschichten historischen Wandel so anschaulich machen.

 

Objektgeschichten oder Objektbiographien erfreuen sich bereits seit den 1980er Jahren großer Beliebtheit in den Geschichts- und Kulturwissenschaften.[4] Neil MacGregor, seines Zeichens Direktor des British Museums, hat gar versucht, Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten zu schreiben.[5] Während er Objektgeschichten dabei vor allem als eingängiges Erzählformat für ein breites Publikum einsetzt, verstehen andere Wissenschaftler*innen Objektgeschichten dezidiert als Methode und als methodische Herausforderung. Im Januar 2023 eröffnete etwa das Werkbundarchiv – Museum der Dinge in Berlin die Sonderausstellung The Story of My Life, welche die „Objektbiografie als Analysemethode und kommunikative Praxis“ thematisiert.[6]

 

Objekte existieren in den unterschiedlichsten Formen und Größen und können aus den verschiedensten Materialien bestehen. Ein natürlicher Rohstoff wie ein Stück Kohle ist ebenso ein Objekt wie eine kunstvoll geschnitzte Elfenbeintafel oder sogar ein Archivgebäude. Dies sind nur drei Beispiele der unterschiedlichen Objekte, mit denen wir uns im Seminar befasst haben. So verschieden wie die Objekte selbst sind auch ihre Aufbewahrungsorte heute. Einige der Objekte sind in Museen ausgestellt oder liegen in Sammlungen, andere befinden sich sprichwörtlich auf der Straße, so etwa ein Werbeaufkleber. Und genauso unterschiedlich sind auch die Geschichten, die man mit ihnen/durch sie erzählen kann.

 

Schwaben – ein (Kultur-)Raum?

Warum aber Globalgeschichte vor Ort als Globalgeschichte Schwabens? Zu Beginn erschien uns Schwaben als einer dieser Begriffe, die alle (oder zumindest viele) verstehen und gebrauchen, aber die kaum jemand präzise definieren kann. „Schwaben bezeichnet kein Bundesland und kein Territorium mit festen Grenzen.[7] Sehr wohl aber ist der Begriff verbunden mit Klischees und Stereotypen, mit Identitäten und Abgrenzungen.

Wie kann man mit einem solchen Begriff wissenschaftlich arbeiten? Sollten wir nicht lieber eine Globalgeschichte Baden-Württembergs versuchen? Das Bundesland existiert erst seit 1952 in wohlbestimmten Grenzen. Damit wäre eine definierte Einheit gewonnen, aber auch historische Tiefe verloren: Kann man diesen Begriff vor der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sinnvoll verwenden oder wäre eine Globalgeschichte Baden-Württembergs notgedrungen eine Geschichte, die erst 1952 beginnt? Weitere Bezugsgrößen, die sich als Alternative anboten, wie das Herzogtum Schwaben und das Königreich Württemberg, sind ebenfalls auf eine bestimmte und vergleichsweise begrenzte Zeitspanne festgelegt. Südwestdeutschland wäre als analytischer Begriff geeignet, erweist sich jedoch bei genauerem Hinsehen ebenfalls als unscharf, insbesondere für die Zeit vor dem 19. und 20. Jahrhundert.[8]

 

Schlussendlich haben wir uns doch für Schwaben entschieden, nicht aus Alternativlosigkeit, sondern gerade wegen der Unschärfe, der historischen Tiefe und der Wandelbarkeit dieser Bezeichnung. Mit dem Begriff Schwaben wurde und wird Zugehörigkeit beschrieben, behauptet und zugewiesen, von Menschen wie Räumen – im Spätmittelalter ebenso wie heute.[9] Vielleicht lassen sich so gerade anhand von Klischees wie jenem des ordnungsliebenden, geizigen und heimatverbundenen Schwabens Identitäten am wirkungsvollsten hinterfragen?[10] „Heimat“, so zeigt sich in jedem Fall, hat immer schon etwas mit dem „woanders“ zu tun. Graben, wo man steht, und in der Welt ankommen – auch unsere eigene Geschichte kann Teil von Globalgeschichte sein.

 

Die nachfolgende Karte veranschaulicht das – subjektive – Bild Schwabens, welches im Rahmen unseres Projekts „Eine Globalgeschichte Schwabens in sieben Objekten“ entstand. Sie macht deutlich, dass unsere Objekte vor allem auf den Großraum Stuttgart, Ulm und den Schwarzwald verweisen. Auffällig ist, dass Ulm die östliche Grenze darstellt und wir uns nicht Richtung Oberschwaben, Bodensee und Bayrisch Schwaben vortasteten.


Weiterführende Literatur:

Adamson, Glenn / Giorgio Riello: Global Objects. Contention and Entanglement, in: Maxine Berg (Hg.): Writing the History of the Global. Challenges for the 21st Century, Oxford (OUP) 2013, S. 177–193.

Conrad, Sebastian: Globalgeschichte. Eine Einführung, München (C.H. Beck) 2013.

Gänger, Stefanie: „Lokal“. Bemerkungen zur Sprache der neueren Welt- und Globalgeschichte, in: Gabriele Lingelbach (Hg.): Narrative und Darstellungsweisen der Globalgeschichte (Schriften des Historischen Kollegs), Berlin/Boston (Oldenbourg) 2022, S. 179–188.

Gerritsen, Anne / Giorgio Riello (Hg.): The Global Lives of Things: The Material Culture of Connections in the First Global Age, London (Routledge) 2016.

Graf, Klaus, Das „Land“ Schwaben im späten Mittelalter, in: Peter Moraw (Hg.): Regionale Identität und soziale Gruppen im deutschen Mittelalter, Berlin (Duncker & Humblot) 1992, S. 127–164.

Hennig, Nina: Art. Objektbiographie, in: Stefanie Samida et al. (Hg.): Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen – Konzepte – Disziplinen, Stuttgart/Weimar (J.B. Metzler) 2014, S. 234–236.

Komlosy, Andrea: Globalgeschichte. Methoden und Theorien, Wien/Köln/Weimar (UTB) 2011.

Lang, Frank / Olaf Siart: Schwaben ausstellen, in: Die Schwaben: Zwischen Mythos und Marke (Ausst.kat. Stuttgart 2016/7), Stuttgart 2016, S. 19–27.

Ludwig, Andreas: The Story of my Life. Objektbiografie als Konzept, Methode und Genre (Rezension), in H-Soz-Kult, 11.02.2023, https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/reex-133610 (05.06.2023).

MacGregor, Neil: A History of the World in 100 Objects, London (Penguin) 2010.

Mertens, Dieter: Spätmittelalterliches Landesbewußtsein im Gebiet des alten Schwaben, in: ders., Humanismus und Landesgeschichte: ausgewählte Aufsätze, hg. von Dieter Speck und Birgit Studt, Stuttgart (Kohlhammer) 2018, S. 745–810.

Paulmann, Johannes, Regionen und Welten. Arenen und Akteure regionaler Weltbeziehungen seit dem 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 296 (2013), S. 660–699.

Quarthal, Franz: Warum wir „Schwaben“ sind. Die Entstehung eines Stammesbildes im Laufe der Geschichte, in: Schwäbische Heimat 2017/2, S. 150–160, URL: https://doi.org/10.53458/sh.v68i2.1635  (14.04.2023).

Rutz, Andreas, Zwischen Globalisierungsdiskursen und neuer Heimatrhetorik. Herausforderungen für die Landesgeschichte im 21. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 39 (2021), S. 17–36.

Wenzlhuemer, Roland: Globalgeschichte schreiben. Eine Einleitung in sechs Episoden, Konstanz/München (UTB) 2017.

 

Fußnoten:

[1] Vgl. auch Stefanie Gänger: „Lokal“. Bemerkungen zur Sprache der neueren Welt- und Globalgeschichte, in: Gabriele Lingelbach (Hg.): Narrative und Darstellungsweisen der Globalgeschichte (Schriften des Historischen Kollegs), Berlin/Boston (Oldenbourg) 2022, S. 179–188, bes. 183–187.

[2] Vgl. zur Einführung u.a. Sebastian Conrad: Globalgeschichte. Eine Einführung, München (C.H. Beck) 2013; Andrea Komlosy: Globalgeschichte. Methoden und Theorien, Wien/Köln/Weimar (UTB) 2011; Roland Wenzlhuemer: Globalgeschichte schreiben. Eine Einleitung in sechs Episoden, Konstanz/München (UTB) 2017.

[3] Vgl. z.B. Glenn Adamson / Giorgio Riello: Global Objects. Contention and Entanglements, in: Maxine Berg (Hg.): Writing the History of the Global. Challenges for the 21st Century, Oxford (OUP) 2013, S. 177–194; Anne Gerritsen / Giorgio Riello (Hg.): The Global Lives of Things: The Material Culture of Connections in the First Global Age, London (Routledge) 2016.

[4] Siehe z.B. Nina Hennig: Art. Objektbiographie, in: Stefanie Samida et al. (Hg.): Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen - Konzepte - Disziplinen, Stuttgart/Weimar (J.B. Metzler) 2014, S. 234–236 und Peter Braun: Objektbiographie. Ein Arbeitsbuch, Weimar 2015, mit praktischen Hinweisen zum Verfassen von Objektgeschichten.

[5] Neil MacGregor, A History of the World in 100 Objects, London (Penguin) 2010, dt. Übersetzung 2011 (C.H. Beck).

[6] Vgl. dazu Andreas Ludwig: The Story of my Life. Objektbiografie als Konzept, Methode und Genre, Rezension, in H-Soz-Kult, 11.2.2023, https://www.hsozkult.de/exhibitionreview/id/reex-133610 (28.05.2023).

[7] Frank Lang / Olaf Siart, Schwaben ausstellen, in: Die Schwaben: Zwischen Mythos und Marke (Ausst.kat. Stuttgart 2016/7), Stuttgart 2016, S. 19–27.

[8] Vgl. aber den anregenden Aufsatz von Johannes Paulmann, Regionen und Welten. Arenen und Akteure regionaler Weltbeziehungen seit dem 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 296 (2013), S. 660–699.

[9] Vgl. Dieter Mertens, Spätmittelalterliches Landesbewußtsein im Gebiet des alten Schwaben, in: ders., Humanismus und Landesgeschichte: ausgewählte Aufsätze, hg. von Dieter Speck und Birgit Studt, Stuttgart 2018, S. 745–810; Klaus Graf, Das „Land“ Schwaben im späten Mittelalter, in: Peter Moraw (Hg.), Regionale Identität und soziale Gruppen im deutschen Mittelalter, Berlin 1992, S. 127–164. Siehe auch Franz Quarthal, Warum wir „Schwaben“ sind. Die Entstehung eines Stammesbildes im Laufe der Geschichte, in: Schwäbische Heimat 2017/2, S. 150–160, URL: https://doi.org/10.53458/sh.v68i2.1635 (14.04.2023).

[10] Vgl. Andreas Rutz, Zwischen Globalisierungsdiskursen und neuer Heimatrhetorik. Herausforderungen für die Landesgeschichte im 21. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 39 (2021), S. 17–36.

 

*Hinweis: Die Karte gibt vielfach nur Näherungswerte an. Zudem stimmt das historische Allada etwa nicht ganz mit dem heutigen überein, die Region "Ostindien" ist durch einen Ort repräsentiert.

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