· 

Der Erste Weltkrieg im Antikriegsfilm "Westfront 1918 – Vier von der Infanterie"


Bild: F. Weber (for more information, see Edwards, Gregory J., The International Film Poster [Columbus Books, 1985], pp. 36–37) Original rights holder: Nero-Film, Public domain, via Wikimedia Commons.*
Bild: F. Weber (for more information, see Edwards, Gregory J., The International Film Poster [Columbus Books, 1985], pp. 36–37) Original rights holder: Nero-Film, Public domain, via Wikimedia Commons.*

Nicht nur literarische Klassiker wie Remarques „Im Westen nichts Neues“ hinterfragten in der späten Weimarer Republik die Sinnhaftigkeit des Ersten Weltkriegs zusehends kritisch. Mit „Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“ schlug 1930 auch einer der ersten großen deutschen Tonfilme in eine ähnliche Kerbe und ist heute ein bedeutendes Stück deutscher Medien-, aber auch Kulturgeschichte.

 

In der frühen Nachkriegszeit wurden Krieg und soldatische Fronterfahrung vor allem in Werken wie Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ (erste Auflage 1920) nationalistisch und maskulin heroisiert, während nur wenige Ausnahmen – etwa die kriegskritischen Bilder des Malers Otto Dix – Leid und Schrecken des Krieges aufzeigten. Der Kampf um die Deutungshoheit der Kriegserfahrungen spitzte sich ab 1928 zu, als eine zunehmende Zahl kriegskritischer Romane erschien, deren Autoren ihre eigene Fronterfahrung zur Grundlage ihrer Erzählungen machten: Erich Marie Remarques „Im Westen nichts Neues“ (1928), Ludwig Renns „Krieg“ (1929) oder Edlef Köppens „Heeresbericht“ (1930). Einige Beispiele dieser Antikriegsliteratur wurden Bestseller und bereits kurz nach ihrem Erscheinen verfilmt.

 

Deutschlands erster großer Antikriegsfilm

Ein herausragendes Beispiel dieser Antikriegsfilme ist Georg Wilhelm Papsts (1885–1967) 1930 produzierter Film „Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“, der erste große deutsche Kriegsfilm als Tonfilmproduktion.[1] Auf Grundlage des Romans „Vier von der Infanterie“ von Ernst Johannsen (1929) erzählt der Film die Geschichte von vier einfachen Infanteristen, die während der letzten Kriegsmonate an einem unbenannten französischen Frontabschnitt gemeinsam ums Überleben kämpfen. Johannsen (1898–1977) war 1916 einberufen und 1917 als Funker nach Verdun beordert worden. Im Roman verarbeitet er neben seinen eigenen Kriegserfahrungen auch die weiterer Frontsoldaten und hinterfragt die Sinnhaftigkeit des Krieges. Der Film richtet den Blick auf den jeweiligen Kriegsalltag der Soldaten: Zwischen Artillerieangriffen und Heimaturlaub lernt das Publikum den lebensfrohen Studenten, den stets zu einem frechen Spruch aufgelegten Bayer, den hörigen Leutnant und den unerschütterlichen Karl kennen. Ihre individuellen Schicksale werden zusehends mit der anonymen Todesmaschinerie des Weltkrieges verbunden. In 97 Minuten prangert der Film Leid, Entbehrungen und Gewalt im Krieg an, welche auch die Kameradschaft als einzig positiven Wert immer weniger aufzufangen vermag. Bereits in den ersten Szenen werden die Bedingungen im Schützengraben karikiert. Nachdem die vier Infanteristen unter Beschuss der eigenen Artillerie geraten, wird der Student zu einem Meldegang in die Etappe geschickt, um den Beschuss einstellen zu lassen. Dort sieht der junge Soldat den vergleichsweise hohen Komfort der befehlshabenden Offiziere im Gegensatz zu den dürftigen Bedingungen an der Front. Die sich immer weiter zuspitzende Versorgungsnot der deutschen Armee im letzten Kriegsjahr wird früh deutlich. Als Karl auf Heimaturlaub geschickt wird, findet er zu Hause eine größtenteils kriegsmüde Bevölkerung vor, die in langen Schlangen vor Lebensmittelgeschäften auf Rationen wartet, nicht selten erfolglos. Die Wahrnehmung des Frontsoldaten, von der Heimat keine Unterstützung mehr zu erfahren, verstärkt der Film dadurch, dass Karl seine Frau mit einer Affäre antrifft. Aus der Kriegsmüdigkeit leitet der Film eine immer stärker werdende Sinnlosigkeit des Krieges ab. Wieder an der Front erfährt Karl zudem vom Tod des Studenten. Bei einer großen französischen Offensive mit Panzern, die wie alle Kampfhandlungen im Film letztlich erfolglos bleibt, werden Karl und der Bayer schwer verwundet, der Leutnant wird wahnsinnig und schreit vor einem Leichenhaufen unentwegt „Hurra“. Im Lazarett – einer beschädigten Kirche – stirbt Karl schließlich. Neben ihm liegt ein verwundeter französischer Soldat, der Karls Hand greift und sagt: „Feinde? Nein, Kameraden“, ehe der Film mit „Ende?!“ schließt.

 

Erfolgreich und umstritten zugleich

Bereits in seinem Premierenjahr war „Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“ erfolgreich und umstritten zugleich. Vor allem die kinematografische Inszenierung des Krieges besprachen zeitgenössische Rezensionen besonders positiv: Ein „technischer Sieg auch der Tobis“ und ein „künstlerischer Sieg des Regisseurs G. W. Pabst, seiner Darsteller und nicht zuletzt seiner Kammeraleute [sic]“ sei hier gelungen.[2] Trotz der künstlerischen Leistung und obwohl der Film die Darstellungen aus seiner Romanvorlage deutlich abmilderte,[3] stritten die Rezensenten der frühen 1930er Jahre vor allem über den Inhalt. Neben der zeitgenössisch populären Frage, ob die Darstellung realistisch sei, entstand vor allem eine Debatte darum, ob die Schrecken des Krieges derart schonungslos gezeigt werden dürften. Für die junge Generation, die den Krieg selbst nicht erlebt hatte, sei der Film unabdingbar, um „die Erinnerung an den Krieg um jeden Preis festzuhalten“,[4] befand die Frankfurter Zeitung. Drastischer waren die Urteile im politischen Deutungskampf um die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. „Der Film sollte all denen zwangsweise vorgeführt werden, die vom Stahlbad des Krieges faseln“, meinte der Vorwärts. Pabst habe mit seinem Film „die stärkste Waffe für alle, die nie wieder Krieg wollen“ geschaffen.[5] Auch andere Rezensionen hoben die große Bedeutung des Filmes für die Prävention weiterer Kriege hervor, etwa das Berliner Tageblatt, das den Wert von „Westfront 1918“ höher bemaß als den der Antikriegsliteratur.[6] Die Rote Fahne hingegen monierte die „ideologische Seichtheit“ von Pabsts Film, begrüßte aber die schonungslose Darstellung der Fronterfahrung „mit mutigem Realismus“ als „Schule des Sowjetfilms“.[7]

Wie bei der soldatischen Literatur scheiden sich auch beim zu dieser Zeit neuen Medium Tonfilm die Geister der Rezensenten entlang politischer Konfliktlinien. „Lieber Freund, Sie fragen, ob auch dieser Kriegsfilm als Werbung für Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung gedacht ist? Aber natürlich ist er das!“[8] So begann die Rezension von „Westfront 1918“ im Völkischen Beobachter, gefolgt von dem Vorwurf, die Filmemacher versuchten in den Händen des Judentums „die deutsche Wehrmüdigkeit zu vertiefen.“[9] Nach der Vorstellung des NSDAP-Parteiorgans würde sich der Film bald zur Probe der deutschen „Wehrmoral“ entwickeln. Auch in anderen rechtsextremen und deutschnationalen Zeitungen wie Der Angriff wurde „Westfront 1918“ als „üble“ und „unsittliche“ Instrumentalisierung des Kriegsübels für ideologische Zwecke scharf verurteilt.[10]

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten widerrief die Film-Oberprüfstelle bereits im April 1933 die Zulassung von „Westfront 1918“. Die Darstellung des Krieges sei „geeignet, den Willen des deutschen Volkes zur Verteidigung seiner Heimat und die wehrhafte Gesinnung des Volkes (…) zu untergraben.“[11] Das Verbot des Films war kein Einzelfall. Auch andere Weltkriegsfilme wie Lewis Milestones „Im Westen nichts Neues“ (USA, 1930) wurden im Deutschen Reich bereits 1933 verboten, weil die „einseitige, tendenziöse Darstellung des Krieges“ der „Wehrhaftmachung des Volkes“ und dem „nationalen Empfinden weitester Volkskreise“ schade.[12]

 

Was bleibt

„Westfront 1918 – Vier von der Infanterie“ setzte als Tonfilm Maßstäbe und entwickelte sich in den ersten Jahren nach seinem Erscheinen zu einem einflussreichen Werk im Kampf um die Deutungshoheit über den Ersten Weltkrieg in der späten Weimarer Republik. Wenngleich dem Film aus heutiger Sicht in allen Szenen anzumerken ist, dass er aus der Frühphase der Tonfilmproduktion stammt, zeichnet er ein gleichwohl modernes, kritisches Bild vom Ersten Weltkrieg. Damit fügt er sich in die Reihe herausragender kriegskritischer Kunstwerke, die in der Weimarer Republik auf Basis soldatischer Fronterfahrungsberichte entstanden sind. Im deutschen Fernsehen lief „Westfront 1918“ zum ersten Mal am 19. Dezember 1970. Die von der Deutschen Kinemathek und dem British Film Institute vorgenommene Restauration des Films im Jahr 2014 unterstreicht einmal mehr die anhaltende Bedeutung des Antikriegsfilms sowohl in medien- als auch kulturgeschichtlicher Hinsicht.

 

 

Ein Beitrag von Amrei Kienle und Bernhard Schnabel


Details zum Film auf einen Blick:

Titel: Westfront 1918 – Vier von der Infanterie

Genre: Antikriegsfilm

Länge: 97 Minuten

Erscheinungsjahr: 1930

Regie: G. W. Pabst

 

Nachweise:

Film-Oberprüfstelle: Zur Verhandlung über den Antrag der Thüringischen Regierung auf Widerruf der Zulassung des Bildstreifens: „Westfront 1918 (Vier von der Infanterie)“ der Nero-Film A.G. in Berlin durch die Filmprüfstelle Berlin, Berlin, 27.4.1933.

Kester, Bernadette: Filmfront Weimar. Representations of the First World War in German Films from the Weimar Period (1919-1933), Amsterdam 2002.

Kracauer, Siegfried: Westfront 1918. In: Frankfurter Zeitung Nr. 389–391, 27.5.1930.

Stiasny: Philipp: „Westfront 1918” und der Weltkriegsfilm der Weimarer Republik. In: LEMO. Lebendiges Museum Online, URL: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/kunst-und-kultur/westfront-1918-und-der-weltkriegsfilm-der-weimarer-republik.html (26.6.2023).

„Westfront 1918“. Capitol. In: Der Abend. Spätausgabe des „Vorwärts“ Nr. 241, 24.5.1930.

„Westfront 1918“. Ein pazifistischer Tonfilm. In: Feuilleton der Roten Fahne Nr. 122, 27.5.1930.

Westfront 1918. In: Völkischer Beobachter Nr. 185, 8./9./10.6.1930.

Wollenberg, Hans: Westfront 1918. In: Lichtbildbühne Nr. 124, 24.5.1930.

 

Fußnoten:

[1] Vgl. Stiasny: Philipp: „Westfront 1918” und der Weltkriegsfilm der Weimarer Republik. In: LEMO. Lebendiges Museum Online, S. 2, https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/kunst-und-kultur/westfront-1918-und-der-weltkriegsfilm-der-weimarer-republik.html (26.6.2023).

[2] Wollenberg, Hans: Westfront 1918. In: Lichtbildbühne Nr. 124, 24.5.1930.

[3] Vgl. Kester, Bernadette: Filmfront Weimar. Representations of the First World War in German Films from the Weimar Period (1919–1933), Amsterdam 2002, S. 132.

[4] Kracauer, Siegfried: Westfront 1918. In: Frankfurter Zeitung Nr. 389–391, 27.5.1930.

[5] „Westfront 1918“. Capitol. In: Der Abend. Spätausgabe des „Vorwärts“ Nr. 241, 24.5.1930.

[6] Vgl. Stiasny: „Westfront 1918”, S. 3.

[7] „Westfront 1918“. Ein pazifistischer Tonfilm. In: Feuilleton der Roten Fahne Nr. 122, 27.5.1930.

[8] Westfront 1918. In: Völkischer Beobachter Nr. 185, 8./9./10.6.1930.

[9] Ebd.

[10] Vgl. Stiasny: „Westfront 1918”, S. 3.

[11] Film-Oberprüfstelle: Zur Verhandlung über den Antrag der Thüringischen Regierung auf Widerruf der Zulassung des Bildstreifens: „Westfront 1918 (Vier von der Infanterie)“ der Nero-Film A.G. in Berlin durch die Filmprüfstelle Berlin, Berlin, 27.4.1933, S. 5.

[12] Ebd., S. 6.

 

Bild:

*F. Weber (for more information, see Edwards, Gregory J., The International Film Poster [Columbus Books, 1985], pp. 36–37) Original rights holder: Nero-Film, Public domain, via Wikimedia Commons.

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Westfront_1918_Weber_poster.jpg

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fc/Westfront_1918_Weber_poster.jpg


Infospalte


Bild: Auteur inconnu/Unknown author (BBC), Public domain, via Wikimedia Commons.
Bild: Auteur inconnu/Unknown author (BBC), Public domain, via Wikimedia Commons.

 

Verwandte Themen:

Geschichtslernen digital

 

Folge uns auf  Twitter:



Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Institut für Geschichtsdidaktik und Public History

Wir bieten Ihnen interessante Informationen und Wissenswertes über Geschichte in unserem Alltag und für die Schule: von Ausstellungsrezensionen über Unterrichtsmaterial bis hin zu Reise- und Fortbildungstipps. Alles was Geschichtsinteressierte begeistert – Klicken Sie sich schlau!