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Allgegenwärtig und doch übersehen? Die Attempto-Palme der Universität Tübingen


Abb. 1: Graf Eberhard in der Stiftskirche. Foto: Rafael Toussaint, CVMA Freiburg, CC BY-NC 4.0.*
Abb. 1: Graf Eberhard in der Stiftskirche. Foto: Rafael Toussaint, CVMA Freiburg, CC BY-NC 4.0.*

Die Attempto-Palme scheint in Tübingen allgegenwärtig zu sein - vom Logo auf Werbungen für Veranstaltungen über Produkte des Unishops bis hin auf den Platz vor der Neuen Aula ist sie überall zu sehen. Doch was verbindet die Universität Tübingen mit dieser Palme? Worauf ist sie zurückzuführen? Wie kam es dazu, dass die Palme zum festen Bestandteil des Universitätslogos wurde? Und weshalb lohnt sich eine Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte?

 

Der Ursprung der Attempto-Palme

Für die Bekanntheit der Palme ist Graf Eberhard im Bart (1455–1496), einer der beiden Namensgeber der Universität Tübingen, verantwortlich; seitdem ist die Palme Teil der Universität. In der Burse, die spätestens zwischen 1478 und 1480 Universitätsgebäude wurde, finden sich heute noch Palmenmuster, die zu Eberhards Lebzeiten entstanden sind.[1] Ebenfalls bis heute erhalten ist die Glasmalerei in der Stiftskirche (vgl. Abb. 1), die Eberhard knieend zeigt, rechts und links von ihm eine Palme. Es ist eine der ältesten bis heute erhaltenen Darstellungen der Palme.

Warum überhaupt eine Palme? Diese Frage ist bisher nicht endgültig geklärt. Es gibt keine schriftlichen Befunde aus der Zeit Eberhards, die entweder die Wahl der Palme erklären oder den Zeitpunkt nennen, ab dem sie zum Symbol der Universität wurde.[2] Eine populäre  Deutung  bringt  die  Palme  mit  Eberhards  Pilgerfahrt  nach  Jerusalem  im  Jahr 

Abb. 2: Die Palme auf dem Uracher Torbogen. Bild: NearEMPTiness, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.**
Abb. 2: Die Palme auf dem Uracher Torbogen. Bild: NearEMPTiness, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons.**

1468 in Verbindung. Unter anderem die Universität selbst führt diese Erklärung auf ihrer Homepage an.[3] Neben den fehlenden schriftlichen Beweisen spricht ein nach der Pilgerfahrt für Eberhard angefertigter Betstuhl aus dem Jahr 1472 gegen diese Annahme. Dieser ist zwar mit dem Wahlspruch Attempto versehen, anstelle von Palmen sind jedoch Rosen abgebildet.[4]

Die emeritierte Ägyptologin Ingrid Gamer-Wallert vermutet den Ursprung der Palme in Italien. 1474, vor seiner Hochzeit mit Barbara Gonzaga im selben Jahr, besuchte Eberhard deren Heimat Italien.[5] Da die älteste erhaltene Palmendarstellung zeitlich mit der Hochzeit Barbaras und Eberhards zusammenfällt, könnte der vorherige Italien-Aufenthalt und die dort zu dieser Zeit dominante Bildsprache der Renaissance Eberhard zu dem Palmenmotiv inspiriert haben. Als sich Eberhard zur Brautwerbung in Mantua, der Stadt Vergils, aufhielt, dürfte er dort die Siegespalmen einer Gemäldereihe über den Triumphzug Caesars erblickt haben. Die Symbolik dieser Palme – Klugheit, Rechtschaffenheit, Gerechtigkeitsliebe, Friedfertigkeit, Religiosität, Liebe zu den Wissenschaften und Eifer für den christlichen Glauben[6] - dürfte er dorther abgeleitet haben. Ein Argument hierfür wäre, dass der Uracher Torbogen beim Einzug von Eberhards Braut Barbara die Palme zeigte (vgl. Abb. 2). Zudem ist die Palme auch auf in den ersten Ehejahren erworbenen Büchern zusammen mit dem Allianzwappen des Paares zu sehen.[7] Es sei im italienischen Adel üblich gewesen, persönliche Impresen ergänzend zum ererbtem Wappen zu wählen, welche sich durch ein Bild mit einer Wortdevise „persönlich auf dem Träger oder ein wichtiges, von ihm geplantes Unternehmen bezogen“.[8] Fest steht, dass die Palme ein solches Symbol Eberhards war, gleich dem Corporate Design der Uni Tübingen.[9]

Abb. 3: Der Palmensaal im Residenzschloss Bad Urach.  Bildnachweis: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Steffen Hauswirth.***
Abb. 3: Der Palmensaal im Residenzschloss Bad Urach. Bildnachweis: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Steffen Hauswirth.***

Anders als bei dem heutigen Logo der Universität war die Palme immer mit dem lateinischen Attempto versehen (vgl. Abb. 3). Oft mit „ich wag’s“ übersetzt,[10] ist der Wahlspruch Eberhards wohl mit dessen Beschluss der Universitätsgründung in Verbindung zu bringen.[11] Gamer-Wallert plädiert jedoch für eine Übersetzung mit „ich versuch’s“, „ich erprobe, prüfe es“ oder „ich unternehme, strebe es an“.[12] Die Verbindung von Palme und Attempto wirft wieder Fragen nach der Wahl der Palme auf: Der Archivar Wolfgang Urban führt diese Kombination   auf   ein   denkbares   Wortspiel

Abb. 4: "Attempto" und die Palme vor der Neuen Aula der Universität Tübingen. Bild: Maren Brugger. Vergrößerbar per Klick.
Abb. 4: "Attempto" und die Palme vor der Neuen Aula der Universität Tübingen. Bild: Maren Brugger. Vergrößerbar per Klick.

zurück, wonach die Palme für die Handfläche, ebenfalls lat. palma, stehe und das „Anpacken“ unterstreiche. Für derartige bildliche Homonyme in der Kunst gibt es jedoch keinerlei Belege.[13] Gamer-Wallert sieht die Palme auch als ein Siegessymbol, das als eine Garantiebekräftigung für das „Anpacken“ gelesen werden könnte. Bis heute hat Attempto mit seiner Übersetzung „ich wag’s“ jedenfalls als Motto der Tübinger Universität Bestand (vgl. Abb. 4).[14]

 

Vom Wappen zur Corporate Identity

Was wir heute als Logo der Uni kennen, ist das Werk des Künstlers HAP Grieshaber.[15] Aus dem Wunsch heraus, eine Corporate Identity (CI) zu haben, entschied sich das Präsidium der Universität 1999 für das heutige Motiv.[16] Für eine Neuauflage der Attempto-Palme wurden verschiedene Entwürfe eingereicht, der Holzschnitt HAP Grieshabers erhielt den Zuschlag.[17] Dieser wurde bereits 1977 für Werbemaßnahmen zum 500-jährigen Jubiläums der Universität genutzt, damals noch mit dem Attempto Schriftzug.[18] Rektor Eberhard Schaich begründete die Wahl der Palme als Universitätslogo wie folgt (1999):

 

„Sie [die Palme] ist unkonventionell gegenüber den bei anderen Universitäten üblichen Siegeln oder Wappen; sie belegt wegen ihrer historischen Verwurzelung zum Gründer der Universität die über 500-jährige Tradition der Universität; sie zeigt zugleich in der Ausgestaltung als ‚Grieshaber-Palme‘ Modernität und Ausrichtung auf die Zukunft; sie ist als allen universitären Einrichtungen gemeinsames Element identitätsstiftend.“[19]

 

Eine Diskussion um und die Attempto-Palme?

Im Zuge der Debatte um den Universitätsnamen forderte der Studierendenrat (StuRa) 2020, neben dem Namen der Universität auch Motto und Logo, also die Palme mit Wahlspruch, zu streichen.[20] Auch die Kommission bezog sich auf die Palme: „Das Jubiläum von 1977 war mit einer bewusst initiierten „corporate identity“ unter der Devise der neugestalteten Palme und dem Motto Attempto verbunden – eine klare Identifizierung mit und Rückbesinnung auf den Universitätsgründer Eberhard im Bart.“[21]

In der abschließenden Pressemitteilung der Universität wird die Attempto-Palme mit keinem Wort erwähnt. In Anbetracht dessen, dass die Befürworter*innen des jetzigen Universitätsnamens damit argumentierten, dass es sich um einen historischen Namen und damit keine Ehrung handle,[22] hätte die Attempto Palme mehr Aufmerksamkeit in dieser Diskussion bedurft. Denn die „klare Rückbesinnung auf den Universitätsgründer Eberhard im Bart“, wie sie der ehemalige Rektor Eberhard Schaich anpries, zeige, dass sie eben nicht historisch gewachsen, sondern keine 30 Jahre alt sei.

Ob 2027 das 550-jährige Jubiläum der Universität zum Anlass für eine „differenzierte Auseinandersetzung mit dieser Tradition“ genutzt wird, wie es sich die Kommission wünscht,[23] wird sich zeigen.

 

Ein Beitrag von Till Sandhöfner

Fußnoten:

[1] Vgl. Gamer-Wallert, Ingrid: Graf Eberhards Palme. Vom persönlichen Zeichen zum Universitätslogo. Tübingen, 2003, S. 39.

[2] Vgl. Gamer-Wallert, Graf Eberhards Palme. S. 60.

[4] Vgl. Gamer-Wallert, Graf Eberhards Palme, S. 61.

[5] Vgl. Ebd., S. 64.

[6] Vgl. Ebd., S. 65.

[7] Vgl. Ebd., S. 62.

[8] Ebd., S. 63.

[9] Vgl. Ebd, S.29, 39, 46.

[10] Vgl. Gamer-Wallert, Graf Eberhards Palme, S. 67.

[11] Vgl. Gamer-Wallert, Graf Eberhards Palme, S. 64.

[12] Gamer-Wallert, Graf Eberhards Palme, S. 67.

[13] Vgl. Gamer-Wallert, Graf Eberhards Palme, S. 64 f.

[14] Vgl. Website der Universität Tübingen. URL: https://uni-tuebingen.de/universitaet/profil/geschichte-der-universitaet/ (12.10.2023).

[15] Vgl. Ebd S. 17.

[16] Vgl. Gamer-Wallert, Graf Eberhards Palme, S. 13.

[17] Vgl. Ebd, S. 13.

[18] Vgl. Ebd, S. 17.

[19] Rechenschaftsbericht des Rektors der Eberhard Karls Universität Tübingen Professor Dr. Dr. h.c. Eberhard Schaich über die Amtszeit vom 18. Juli 1999 bis 30. September 2000. Rechenschaftsberichte, Band 89, S. 103.

[20] Website des StuRas der Universität Tübingen. URL: https://www.stura-tuebingen.de/eberhard_karl/ (11.10.2023).

[21] Hirbodian, Gutachten, S. 22-23.

[22] Vgl. Website:  https://www.stura-tuebingen.de/uniname/ (11.10.2023)

[23] Vgl. Hirbodian, Gutachten, S. 23.

 

 

Bilder:

*Abb. 1: Graf Eberhard auf einer Glasmalerei in der Stiftskirche. Foto: Rafael Toussaint, CVMA Freiburg, CC BY-NC 4.0. Permalink: https://corpusvitrearum.de/id/F1728.

**Abb. 2: Der Palmensaal in Bad Urach. Bild: NearEMPTiness, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons. URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Attempto-Palme_in_Bad_Urach.JPG.*

***Abb. 3: Bildnachweis: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Steffen Hauswirth. Format angepasst.

Abb. 4: "Attempto" und die Palme vor der Neuen Aula der Universität Tübingen. Bild: Maren Brugger.

 

Nachweise:

Gamer-Wallert, Ingrid: Graf Eberhards Palme. Vom persönlichen Zeichen zum Universitätslogo. Tübingen 2003.

Grieshaber, HAP: Die Palme Attempto. In: ATTEMPTO 57/58, 1976, S. 48–51.

Hirbodian, Sigrid (Hrsg.): Gutachten über die historische Dimension des Namens „Eberhard Karls Universität Tübingen“. Tübingen 2020.

Jaesrich, Michael, Eberhartus barbatus. Graf-Eberhard-Konstruktionen über die Jahrhunderte. In: Tübinger Blätter 104, Tübingen 2018, S. 47–51.

Pressemitteilung der Universität Tübingen vom 21.07.2022. URL: https://uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen/pressemitteilungen/archiv/archivfullview-pressemitteilungen/article/name-eberhard-karls-universitaet-tuebingen-bleibt/  (13.11.2023).

Rechenschaftsbericht des Rektors der Eberhard Karls Universität Tübingen Professor Dr. Dr. h.c. Eberhard Schaich über die Amtszeit vom 18. Juli 1999 bis 30. September 2000. In: Rechenschaftsberichte, Band 89.

Roth, Rudolf von (Hrsg.): Urkunden zur Geschichte der Universität Tübingen aus den Jahren 1476 bis 1550, Tübingen 1877.

Website der Universität Tübingen. URL: https://uni-tuebingen.de/universitaet/profil/geschichte-der-universitaet/ (11.10.2023).

Website des StuRas der Universität Tübingen: https://www.stura-tuebingen.de/eberhard_karl/ (11.10.2023).


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