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Ausstellung: Welterbe des Mittelalters. 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau – eine einzigartige Zusammenführung mittelalterlicher Schriftzeugnisse (1/2)


Abb. 1: Der Codex Egberti (Widmungsbild). (C) Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier.* Per Klick vergrößerbar.
Abb. 1: Der Codex Egberti (Widmungsbild). (C) Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier.* Per Klick vergrößerbar.

Im Jahr 724 gründete der Wanderbischof Pirmin (um 670 bis 753) das erste Kloster auf der Bodenseeinsel Reichenau unweit von Konstanz. Während der Herrschaft Karls des Großen erhielt das Kloster unter der Leitung von Abt Waldo den Status einer Königsabtei und entwickelte sich zu einem kulturellen und geistigen Zentrum. Durch den Austausch von Handschriften in ganz Europa gelangte die Reichenau zu ihrer jahrhundertelangen Bedeutung über den Bodenseeraum hinaus. Zu den bekannten Persönlichkeiten der Reichenau zählt Walahfrid Strabo (wohl 807–849), Mönch, Dichter und Gelehrter sowie Verfasser des ‚Hortulus‘, eines Gartengedichts über Heil- und Zierpflanzen, und Mitverfasser des St. Gallener Klosterplans. Die bekanntesten Handschriften aus dem Inselkloster entstanden in der Zeit Ottos III. (reg. 983–1002), wie der Codex Egberti (Abb. 1), ein Hauptwerk der ottonischen Buchmalerei und UNESCO-Weltdokumentenerbe, was die Relevanz als Produktionsstätte im Auftrag von Königen und Kaisern deutlich macht.

Anlässlich des Jubiläums der Klostergründung vor 1300 Jahren findet in Konstanz vom 20. April bis zum 20. Oktober 2024 die Große Landesausstellung „Welterbe des Mittelalters – 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“ im Archäologischen Landesmuseum in Konstanz statt, die hier im ersten Teil besprochen wird. Der zweite Teil – eine Woche später verfügbar – widmet sich dann den Ausstellungen vor Ort auf der Reichenau.

 

1300 Jahre in einer Ausstellung

1300 Jahre Klostergeschichte in einer einzigen Ausstellung auf zwei Stockwerken aufzubereiten, ist keine leichte Aufgabe. Dem Ausstellungsteam um Prof. Dr. Eckart Köhne (Direktor des Badischen Landesmuseums) und Dr. Olaf Siart (Wissenschaftlicher Projektleiter) ist dies mit Bravour gelungen. Die Ausstellung beginnt mit einer historischen und geographischen Einführung zum Kloster- und Mönchsleben. Über die Entstehung von Handschriften als Hauptaufgabe der Benediktinermönche wird eine Brücke zu den ausgestellten Exponaten geschlagen.

Die rund 250 Exponate der Ausstellung geben auf ca. 900 m2 ein Abbild der Produktion und der Bedeutung des Klosters. Sie ermöglichen den Besucher*innen ein visuelles Erlebnis, das sie auf die mittelalterliche Reichenau entführt. Der erste Eindruck mag Besucher*innen überwältigen, doch wird jede*r durch die thematischen Schwerpunkte am Ende fündig und die Ausstellung mit einem großen Wissenszuwachs verlassen.

Abb. 2: Büsten-Reliquiar des Heiligen Bischofs Zeno von Verona aus dem Marienmünster in Radolfzell. (C) Badisches Landesmuseum.*
Abb. 2: Büsten-Reliquiar des Heiligen Bischofs Zeno von Verona aus dem Marienmünster in Radolfzell. (C) Badisches Landesmuseum.*

Am Beginn steht ein Überblick über das Klosterleben im Bodenseeraum und bekannten Persönlichkeiten wie Pirmin und Walahfrid. Der erste thematische Schwerpunkt ist das Klosterleben im Allgemeinen, der es den Besucher*innen ermöglicht, Anknüpfungspunkte zu finden und der Wissensgrundlagen für den weiteren Verlauf schafft. Im nächsten Abschnitt werden die Kirchen und das Kloster auf der Reichenau beleuchtet, mit ihren Schutzanlagen, Glasmalereien und dem St. Gallener Klosterplan. Ein weiteres Thema ist die Reichenau als heilige Insel, wobei zahlreiche verschiedene Reliquien wie das Büsten-Reliquiar des Hl. Zeno (Abb. 2), eines bedeutenden Bischofs von Verona im 4. Jh., gezeigt werden, die den Einfluss bis nach Italien verbildlichen. Dazu gehören auch Reliefplatten sowie Handschriften. Im Bereich Liturgie und Klosterleben erfahren die Besucher*innen mehr über die liturgischen Fundamente und deren Umsetzung, was wiederum durch die Exponate unterstrichen wird.

 

Der Höhepunkt: die Prachthandschriften

Einen weiteren Fokus der Ausstellung bildet die Schreibarbeit der Mönche im Skriptorium: Von der Wachsplatte über das Layout bis hin zu den Schreibutensilien lässt sich die Entstehung einer Handschrift von Anfang bis Ende nachvollziehen, um im Folgenden die Prachthandschriften in ihrer Gänze erfassen zu können. Aus konservatorischen Gründen können nicht alle Handschriften für die Dauer der Ausstellung gezeigt werden. Bis zum 21. Juli waren etwa der Codex Egberti (vgl. Abb. 1) und das Possay-Evangelistar zu sehen. Seitdem lässt sich neu der Gero-Codex oder das Limburger Evangeliar bewundern (vgl. Bilder im Slider). Auch wenn hochauflösende Fotos der Exponate über App und Website verfügbar sind, übertrifft nichts die Erfahrung, den abgedunkelten Raum zu betreten und die Jahrhunderte alten Originale in Augenschein nehmen zu können und durch die verschiedenen Blickrichtungen die Textur, den Zustand und das Schimmern des Goldes erfassen zu können. Dieser Höhepunkt der Ausstellung ermöglicht ein tiefgreifenderes Verständnis für die Bekanntheit und Bedeutung der Reichenau auf diesem Gebiet.

Nach diesem reich bebilderten Schwerpunkt versäumt es die Ausstellung nicht, die Wissenskultur in den Geistes- und Naturwissenschaften sowie deren Verbreitung hervorzuheben. Mit der Verbreitung und Vernetzung des Klosters in ganz Europa schließt die Ausstellung, jedoch nicht ohne die Besitzverhältnisse und den Einfluss von Klöstern wie der Reichenau kritisch zu hinterfragen.

Fazit

Der Ausstellung gelingt es auf sehr überzeugende Weise, 1300 Jahre Klostergeschichte auf der Reichenau greifbar und für jedermann – ob für Expert*innen oder die interessierte Öffentlichkeit –  verständlich zu vermitteln. Besonders hervorzuheben sind hierbei Auswahl, Vielfalt und Qualität der Exponate, die die Bedeutung der Klosterinsel als Weltkulturerbe unterstreichen.

Mit dem erworbenen Wissen der Ausstellung endet das Erlebnis aber nicht. Nun lohnt es sich – wie es auch von den Kurator*innen gedacht ist – selbst auf die Reichenau zu gehen und dort die Kirchen, das Münster und die Schatzkammer zu entdecken. Ob man auf der Reichenau oder in Konstanz beginnt, in jedem Fall lohnt sich ein Besuch!

Welche Besonderheiten auf der Insel selbst auf die Besucher*innen warten und welchen Mehrwert App und Ausstellungskatalog bieten, könne Sie nächste Woche in Teil 2 dieses Beitrags lesen.

 

Ein Beitrag von Lea Schnabel und Maren Brugger


Informationen rund um die Ausstellung:

- Ausstellungsdauer: 20.04 bis 20.10.2024

- Ort: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Benediktinerplatz 5, 78467 Konstanz

- Öffnungszeiten: Montag geschlossen, Dienstag bis Sonntag und Feiertage: 10 bis 18 Uhr

- Eintrittspreise: 14 Euro (ermäßigt 11 Euro), Kinder 6-17 Jahre: 5 Euro, Familien: 33 Euro

- Jubiläumsticket Reichenau: Museum Reichenau, Schatzkammer und Inselbus: 12 Euro (ermäßigt 9 Euro), Kinder 6-17 Jahre: 

   6 Euro

- Kombi-Ticket: Ausstellung in Konstanz, Museum Reichenau, Schatzkammer und Inselbus: 23 Euro (ermäßigt 20 Euro), Kinder

   6-17 Jahre: 11 Euro

- Für Führungen, Informationen und Veranstaltungen auf der Insel Reichenau: www.reichenau-tourismus.de

 

Weiterführende Informationen und Material zur Ausstellung:

- Homepage der Ausstellung: https://www.ausstellung-reichenau.de/ (externer Link)

- Ausstellungsflyer: https://www.ausstellung-reichenau.de/fileadmin/Welterbe_des_Mittelalters_-_Broschuere_WEB.pdf

  (externer Link)

- Begleitband zur Ausstellung: Badisches Landesmuseum, Karlsruhe (Hg.): Welterbe des Mittelalters. 1300 Jahre Klosterinsel

   Reichenau. Regensburg 2024, 591 Seiten: Illustrationen und Karten.

- Tagungsband: Wolfang Zimmermann, Olaf Siart und Marvin Gedigk (Hrsg.): Die Klosterinsel Reichenau im Mittelalter.

   Geschichte, Kunst, Architektur. Regensburg 2024, 351 Seiten, Illustrationen.

- App: „Reichenau. Der Guide zum Welterbe des Mittelalters“, verfügbar im PlayStore und App Store.

- Podcast: „Mönchsgeflüster – Klostergeschichten aus dem Mittelalter“, vgl. Homepage: https://www.ausstellung-reichenau.de/#c16136 (externer Link)

- Weitere Korrespondenzausstellungen in Karlsruhe, vgl. Homepage: https://www.ausstellung-reichenau.de/#c15725

  (externer Link) und Konstanz (Familienausstellung), vgl. Homepage: https://www.ausstellung-reichenau.de/#c15990

  (externer Link)

 

*Bilder aus dem Pressedossier der Sonderausstellung:

- Abb. 1: Codex Egberti (Widmungssbild), Trier, Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier / Stadtarchiv Trier, Hs. 24, fol. 2r,

   UNESCO-Weltdokumentenerbe ©Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier, Foto: A.D. Runke.

- Abb. 2: Ausstellungsimpression, Büsten-Reliquiar des Heiligen Bischofs Zeno von Verona aus dem Marienmünster in 

   Radolfzell, Bodenseeraum, um 1480 (?), Radolfzell am Bodensee, Katholische Kirchengemeinde © Badisches

   Landesmuseum, Foto: ARTIS – Uli Deck.

- Slider Bild 1: Evangelistar von Poussay, Paris, Bibliothèque nationale de France, Manuscrits Latin 10514, Buchdeckel vorn ©

  Bibliothèque nationale de France.

- Slider Bild 2: Majestas Domini, Gero-Codex, Kloster Reichenau, vor 969, Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt Cod.

  1948, fol. 5v, UNESCO-Weltdokumentenerbe © Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Foto: Arne Kienzl.

- Slider Bild 3: Limburger Evangeliar aus dem ehemaligen Kloster Limburg an der Haardt (Landkreis Bad Dürkheim),

  Reichenau (Nachfolge Liuthar-Gruppe), Anfang des 11. Jahrhunderts, Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek

  Köln, Cod. 218, fol 18v © Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln, Cod. 218, fol. 18v.


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