„Otto von Bismarck (1815-1898), Reichskanzler von 1871 bis 1890, bekämpfte Katholiken und Sozialisten und führte dennoch die fortschrittlichsten Sozialgesetze der Welt ein. Vielen gilt er als Wegbereiter des deutschen Kolonialismus.“[1] So kurz und bündig beschreibt der Berliner Tagesspiegel in einem Beitrag den ersten Kanzler des Deutschen Reiches, der in seinem politischen Wirken Licht und Schatten vereinte. Wie also geht man mit der Erinnerung an diese relevante, aber nicht unumstrittene Persönlichkeit der deutschen Geschichte um?
Bismarckverehrung: Türme und Feuersäulen
Schon zu Lebzeiten wurde der ehemalige Reichskanzler Otto von Bismarck mit zahlreichen Denkmalen geehrt. Nach seinem Tod erreichte die Verehrung des ‚eisernen Kanzlers‘ bis dahin ungekannte Ausmaße.[2] Die Deutsche Studentenschaft rief nach Bismarcks Tod 1898 einen Architekturwettbewerb aus, um einen Entwurf für eine Feuersäule zu seinen Ehren zu prämieren. Den Wettbewerb, für den 320 Vorschläge eingereicht wurden,[3] gewann 1899 der Dresdner Architekt Wilhelm Kreis mit seinem Konzept ‚Götterdämmerung‘. Auch der 1907 errichtete Tübinger Bismarckturm entstand nach diesem Entwurf, der insgesamt 47 Mal umgesetzt wurde, unter anderem auch in Stuttgart.[4]
Die Türme waren ursprünglich nicht als begehbare Aussichtspunkte gedacht, sondern sollten zur Entzündung von Feuern an bestimmten Gedenktagen dienen, allgemein üblich war hierfür Bismarcks Geburtstag am 1. April oder, anknüpfend an traditionell-volkstümliches Brauchtum, zur Sonnwendfeier.[5] Zugang hatte daher meist nur ein Brandmeister.
Es waren über 400 Bismarcktürme und -Feuersäulen geplant. Bis 1934 wurden ca. 240 Bauten errichtet. Heute finden sich noch knapp 170 dieser Bauwerke im In- und teilweise auch im Ausland.[6] 1921 ließ der „Bund Deutscher Turnvereine in Chile“ bei Concepción in Chile einen Bismarckturm errichten und 2004 wurde nachgewiesen, „dass der Bismarck-Turm auf Cap Nachtigal in Kamerun noch steht.“[7] Auch von den Standbildern, Büsten und Gedenksteinen, die es gab, ist ein Teil verschwunden, ein anderer aber noch erhalten. Meist waren die Bauwerke durch die Spenden von Privatpersonen finanziert.
Bismarck deutschlandweit
Im Internet und in der Literatur finden sich Listen der noch bestehenden Denkmale Otto von Bismarcks. Teilweise sind die Bauwerke dem Verfall überlassen, zum Teil werden oder wurden sie auch in den vergangenen Jahren restauriert.
Aktuell wird Deutschlands größte Bismarck-Statue in Hamburg saniert. Im Zuge der Sanierung gewann die Diskussion nach dem Umgang mit der 34 Meter hohen Statue an Fahrt.[8] Dies zeigt sich auch darin, dass eine andere Bismarck-Staue in Hamburg mit roter Farbe übergossen wurde.[9]Auch andernorts finden sich einerseits Initiativen, die sich für den Erhalt und die Sanierung von Bismarckdenkmalen einsetzten, auf der anderen Seite auch Akteur*innen, die eine Entfernung der Denkmale oder einen kritischeren Umgang mit den Bauwerken fordern.[10]
Bismarck in Tübingen
Auch in Tübingen gab bzw. gibt es mehrere Orte, die mit der Erinnerung an Otto von Bismarck in Verbindung stehen. Ein Relief an der Fassade des Bonatzbaus (https://www.historischer-augenblick.de/bismarck/), ein noch zu Lebzeiten Bismarcks errichteter Gedenkstein auf dem Österberg, der vermutlich nach dem Zweiten Weltkrieg entfernt wurde,[11] die Bismarckstraße und den Bismarckturm an der höchsten Stelle des Schlossberges.
Der 1907 erbaute und eröffnete Tübinger Bismarckturm wurde von der Tübinger Studentenschaft finanziert. Erst 1971 wurde er der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Nach mehreren Bränden und Vandalismus verschlossen, erfolgte 1999 eine Sanierung des Turms im Zuge derer die Feuerschale, in der ursprünglich an Gedenktagen das Feuer entfacht wurde, entfernt wurde.[12] Bis 2014 konnte der Schlüssel des Turms bei der Stadtverwaltung entliehen werden, dann war der Turm erneut für sechs Jahre nicht mehr betretbar.
Durch das Engagement des 2020 neu gegründeten Vereins Tübinger Turmfreunde e.V. konnte der Bismarckturm im September 2020 wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der Initiator Bjørn Franke stellt klar, dem Verein gehe es um den Erhalt eines besonderen Ortes in Tübingen, vor allem für Kinder und Jugendliche. Im Bewusstsein, dass Otto von Bismarck historisch kritisch zu betrachten ist, haben die Vereinsmitglieder ehrenamtlich eine Ausstellung erstellt, die Bismarck einordnet und auch aufzeigt, warum eine Erinnerung an den ersten deutschen Reichskanzler vielschichtig sein muss. Die Ausstellung ist im Eingangsbereich des Turms angebracht. Der Verein setzt sich für eine kritische Vermittlung der Geschichte des Turms ein – und somit auch indirekt für dessen Erhalt.
Heute bedarf es weder der Heroisierung noch der Dämonisierung Bismarcks, sondern der kritischen Auseinandersetzung. Der Bismarckturm ist nicht mehr Zeichen der Verehrung, sondern ein Zeichen seiner Zeit – das nun nicht nur wieder besichtigt werden kann, um die Aussicht über Tübingen zu genießen, sondern auch einen kritischen Blick auf den Namensgeber wirft.
Der Schlüssel zum Turm kann bei den Tübinger Turmfreunden entliehen werden (externer Link, letzter Zugriff am 02.02.21).
Dank:
Wir danken den Tübinger Turmfreunden e.V. für die freundliche Erlaubnis ihr Bildmaterial zu nutzen und Herrn Bjørn Franke für die Unterstützung und Beantwortung unserer Fragen.
Literatur:
Lappenküper, Ulrich (Hrsg.): Das Bismarck-Problem in der Geschichtsschreibung. Biographische Perspektiven seit 1970. Paderborn 2017.
Schmoll, Friedemann: Verewigte Nation. Studien zur Erinnerungskultur von Reich und Einzelstaat im württembergischen Denkmalkult des 19. Jahrhunderts. Tübingen und Stuttgart 1995.
Seele, Sieglinde: Lexikon der Bismarck-Denkmäler. Petersberg 2005.
Weiterführende Artikel (externe Links, letzter Zugriff am 02.02.2021):
Historiker über Bismarck: Politisches Kalkül statt Rassismus. Veröffentlicht 20.06.2020. https://www.welt.de/regionales/hamburg/article209953451/Historiker-ueber-Bismarck-Politisches-Kalkuel-statt-Rassismus.html 01.02.2021.
Farbattacke auf Bismarckdenkmal in Berliner Tiergarten. Veröffentlicht 17.07.2020 https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/streit-um-kolonialgeschichte-farbattacke-auf-bismarck-denkmal-im-berliner-tiergarten/26014906.html 30.12.2020.
Erste Konzepte für das Hamburger Bismarck-Denkmal. Veröffentlicht 07.12.2020. https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Erste-Konzepte-fuer-Hamburger-Bismarck-Denkmal,bismarckdenkmal220.html 30.12.2020.
Fußnoten (externe Links, letzter Zugriff 02.02.2021):
[1] Vgl.: Farbattacke auf Bismarckdenkmal in Berliner Tiergarten. Veröffentlicht 17.07.2020 https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/streit-um-kolonialgeschichte-farbattacke-auf-bismarck-denkmal-im-berliner-tiergarten/26014906.html 30.12.2020.
[2] Vgl.: Seele, Sieglinde: Lexikon der Bismarck-Denkmäler. Petersberg 2005, S. 15f.
[3] Vgl.: Schmoll, Friedemann: Verewigte Nation. Tübingen 1995, S. 322.
[4] Vgl.: Ebd., S. 322.
[5] Vgl.: Ebd., S. 324.
[6] Vgl.: Seele, Sieglinde: Lexikon der Bismarck-Denkmäler. Petersberg 2005, S. 14ff.
[7] Ebd.: S. 16.
[8] Vgl.: Erste Konzepte für das Hamburger Bismarck-Denkmal. Veröffentlicht 07.12.2020. https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Erste-Konzepte-fuer-Hamburger-Bismarck-Denkmal,bismarckdenkmal220.html 30.12.2020.
[9] Vgl.: Historiker über Bismarck: Politisches Kalkül statt Rassismus. Veröffentlicht 20.06.2020. https://www.welt.de/regionales/hamburg/article209953451/Historiker-ueber-Bismarck-Politisches-Kalkuel-statt-Rassismus.html 01.02.2021.
[10] Vgl.: Farbattacke auf Bismarckdenkmal in Berliner Tiergarten. Veröffentlicht 17.07.2020. https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/streit-um-kolonialgeschichte-farbattacke-auf-bismarck-denkmal-im-berliner-tiergarten/26014906.html 30.12.2020.
[11] Vgl.: Seele, Sieglinde: Lexikon der Bismarck-Denkmäler. Petersberg, S. 388.
[12] Vgl.: Ebd., S. 387.
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