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Digitale Geschichtsvermittlung: colonialrestitution.de


Wie gehen wir mit einem historischen Erbe um, das belastet und zugleich verbindet? Diese Frage stand im Zentrum der Summer School „With Namibia: Engaging the Past, Sharing the Future“ (externer Link), die Juli und Oktober 2022 in Zusammenarbeit mit dem Linden-Museum und der University of Namibia (UNAM) stattfand. Je zehn Studierende aus Tübingen und Windhoek kamen für das Projekt zusammen, um gemeinsam die komplexen Verflechtungen der deutsch-namibischen Kolonialvergangenheit zu beleuchten.

Abb. 1: Das Cover des aus der Summer School hervorgegangenen Sammelbandes. © Linden-Museum Stuttgart, Foto: Dominik Drasdow.
Abb. 1: Das Cover des aus der Summer School hervorgegangenen Sammelbandes. © Linden-Museum Stuttgart, Foto: Dominik Drasdow.

Wem gehören die Objekte heute, die während der Kolonialzeit in ethnologischen Museen und Universitäten gesammelt wurden? Wie kann das geteilte Erbe aufgearbeitet werden? Und wie lässt sich daraus eine postkoloniale Erinnerungskultur gestalten, die Raum für Dialog schafft? All diese Fragen bildeten den Kern der Debatten, die während der Summer School über Themen wie Restitution, Provenienzforschung und den Umgang mit Museumsbeständen aus unrechtmäßigen Kontexten geführt wurden.

Die Ergebnisse dieses einzigartigen Austauschprojekts fanden ihren Weg in den gleichnamigen Sammelband und die Webdokumentation colonialrestitution.de (vgl. Abb. 1, externer Link), die am 5. Dezember 2024 im Linden-Museum (externer Link) vorgestellt wurden. Ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie akademische Zusammenarbeit Grenzen überschreiten und historische Verantwortung neu denken kann.

 

Warum eine Webdoku?

Die Webdokumentation wurde von der Projektgruppe um Julia Göke, Jennifer Francke und Timo Mäule unter der Leitung von Prof. Dr. Bernd-Stefan Grewe (Institut für Geschichtsdidaktik und Public History, Universität Tübingen) entwickelt – mit einem klaren Ziel: komplexe historische Inhalte für ein breites Publikum auf Deutsch und Englisch zugänglich zu machen. Am Anfang des Projekts stand die Idee, die vielfältigen Erfahrungen der Summer School in einer Art Online-Blog zu dokumentieren.

Dabei setzt das interaktive Format einer Webdoku auf eine erzählerische Struktur, die es Nutzer*innen ermöglicht, sich intuitiv durch die multimedialen Inhalte zu bewegen, ohne von einer Masse an Informationen überschwemmt zu werden. Die Konzeption der Webdoku zielt dabei auch darauf ab, Bildungseinrichtungen ein didaktisches Werkzeug zum Einstieg in das Thema „Kolonialismus“ zu bieten.

 

Abb. 2: Screenshot aus der Webdoku. (C) colonialrestitution.de. Zum Vergrößern anklicken.
Abb. 2: Screenshot aus der Webdoku. (C) colonialrestitution.de. Zum Vergrößern anklicken.

Restitution: Ein emotionales Thema

Obwohl während der Summer School alle möglichen Aspekte der gemeinsamen deutsch-namibischen Kolonialvergangenheit diskutiert wurden, war es besonders die hitzige Debatte um die Rückgabe kolonialer Güter, die einen bleibenden Eindruck bei allen Beteiligten hinterließ. Wie Restitution funktioniert, welche Probleme und Chancen sie mit sich bringt, und was die Studierenden in Stuttgart und Windhoek über den Prozess der Restitution gelernt haben –  das bildet den  inhaltlichen Kern der Webdoku.

Die Kapitel beschäftigen sich unter anderem mit gescheiterten Restitutionen oder dem Umgang mit bereits restituierten Objekten. Auch historische Fehldarstellungen, wie die Verharmlosung des Überfalls auf das Lager von Hornkranz 1893, das in populären Internetquellen wie Wikipedia fälschlicherweise oft als „Gefecht von Hornkranz“[1] bezeichnet wird, werden in der Webdoku korrigiert (vgl. Abb. 2).

 

Einen weiteren inhaltlichen Schwerpunkt bildet die Frage nach der Rolle des Linden-Museums in den 1970er und 1980er Jahren. Ein Portrait beschäftigt sich mit dem ehemaligen Leiter Friedrich Kußmaul und der Frage, wie er auf Anfragen wegen einer möglichen Restitution reagierte. Da seine Briefe einige rassistische und abwertende Aussagen enthalten, kann die Darstellung seiner Meinung nicht ohne die Verwendung einer Triggerwarnung auskommen  (vgl. Abb. 3). Für die Auseinandersetzung um die koloniale Geschichte ist ein sensibler Umgang mit rassistischer Sprache wichtig, um auf problematische Begriffe oder Konzepte hinzuweisen, ohne sie zu reproduzieren. Das Vermeiden rassistischer Begriffe sollte eine Selbstverständlichkeit sein, ist aber für den Dialog mit Menschen insbesondere aus den ehemaligen Kolonien eine unvermeidbare Voraussetzung, wenn man diese mit viel Leid verbundene Geschichte gemeinsam aufarbeiten möchte.

Abb. 3: Triggerwarnung. (C) colonialrestitution.de.
Abb. 3: Triggerwarnung. (C) colonialrestitution.de.

Im Sinne des diskursiven Charakters der Summer School werden am Ende der Dokumentation einzelne Perspektiven zur Restitutionsdebatte in der Form von Video-Interviews gezeigt. Sie sollen dazu anregen, sich anhand des Gelernten eine eigene Meinung zur Frage "Was hältst du von Restitution?“ zu bilden (vgl. Abb. 4).

 

Abb. 4: Video-Interviews. (C) colonialrestitution.de. Zum Vergrößern anklicken.
Abb. 4: Video-Interviews. (C) colonialrestitution.de. Zum Vergrößern anklicken.

Digitale Geschichtsvermittlung

Mit colonialrestitution.de (externer Link) wurde ein umfangreiches Studienprojekt geschaffen, das zum Nachdenken über Kolonialgeschichte und Restitution anregen soll.

Im Zeitalter von digitalem Geschichtsrevisionismus auf sozialen Plattformen scheint es immer wichtiger, Nutzer*innen aufzuklären und zur kritischen Auseinandersetzung anzuregen, gerade wenn es um die Verharmlosung deutscher Kolonialverbrechen oder den Raub kolonialer Güter geht.

So dient die Webdoku in ihrer dynamischen, interaktiven Form nicht nur der kritischen Auseinandersetzung und der historischen Bildung, sie erzählt Geschichte und verleiht ihr einen lebendigen Charakter über das Ende der deutsch-namibischen Summer School hinaus.

 

Ein Beitrag von Jennifer Francke und Timo Mäule


Weiterführende Informationen rund um colonialrestitution.de und die Summer School:

- Sammelband der Summer School (externer Link): https://lindenmuseum.de/with-namibia/

- Blogbeitrag: Eindrücke aus Swakopmund im Rahmen der Summer School

- Blogbeitrag: Sturz der Curt von François-Statue in Windhoek

- Blogbeitrag: Knorr, die Benin-Bronzen und das Linden-Museum

- Black History in Baden-Württemberg (externer Link): https://www.blackhistoryinbw.org/

- Tagung (De-)Koloniale Schule. Curriculum - Classroom - Coaching, März 2024, URL: https://www.akademie-rs.de/programm/veranstaltungen/einzelansicht/veranstaltung-25435 (externer Link)

 

Bilder:

Abb. 1: Das Cover des aus der Summer School hervorgegangenen Sammelbandes. © Linden-Museum Stuttgart, Foto: Dominik Drasdow.

Abb. 2-4: Screenshots aus der Webdoku colonialrestitution.de. (C) colonialrestitution.de.

 

Fußnoten:

[1] Seite „Gefecht von Hornkranz“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 26. Februar 2024. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Gefecht_von_Hornkranz&oldid=242594351 (Abgerufen: 14. Januar 2025).

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Bild: Das Grab von Songea Mbano. Quelle: Pressemappe Salzgeber.
Bild: Das Grab von Songea Mbano. Quelle: Pressemappe Salzgeber.
Bild:  Fotomontage mit Robert Koch, Schlafkranken, Tsetsefliege und dem späteren Heilmittel Bayer 205, Quelle: Koloniales Bildarchiv, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer 042-0247-20.
Bild: Fotomontage mit Robert Koch, Schlafkranken, Tsetsefliege und dem späteren Heilmittel Bayer 205, Quelle: Koloniales Bildarchiv, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer 042-0247-20.
Bild: Anonym Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons. URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lange_diercke_sachsen_afrika_ehemalige_schutzgebiete_kamerun.jpg?uselang=de#Lizenz
Bild: Anonym Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons. URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lange_diercke_sachsen_afrika_ehemalige_schutzgebiete_kamerun.jpg?uselang=de#Lizenz
Bild: Wikimedia Commons (Lizenz CC0), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:092_togo.png (09.06.2023).
Bild: Wikimedia Commons (Lizenz CC0), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:092_togo.png (09.06.2023).

 

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