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„Das leere Grab” - Ein deutsch-tansanischer Dokumentarfilm über die Folgen des deutschen Kolonialismus


Der deutsche Kolonialismus ist ein filmisch sowie gesellschafts- und bildungspolitisch spärlich beleuchtetes Thema. Im Jahr 2023 legte der Regisseur Lars Kraume mit Der vermesse Mensch einen ersten Spielfilm vor, der den deutschen Genozid an den Nama und OvaHerero (1904–1908) im heutigen Namibia thematisiert. Dieser Versuch wurde allerdings für die Reproduktion von Rassismus sowie die retraumatisierende Erzählweise vielfach kritisiert und als verpasste Chance, die deutsche Kolonialgewalt kritisch zu beleuchten, beurteilt.[1]  Mit Das leere Grab liefert das tansanisch-deutsche Regieduo Cece Mlay und Agnes Lisa Wegner ein Jahr später einen Dokumentarfilm, der diese Chance nicht zu verpassen scheint. Sie begleiten zwei tansanische Familien auf der Suche nach den Gebeinen ihrer Vorfahren, die von den deutschen Kolonialtruppen verschleppt wurden, um nach rassistischen Logiken in Deutschland beforscht zu werden.

Abb. 1: Das Grab von Songea Mbano. Quelle: Pressemappe Salzgeber.*
Abb. 1: Das Grab von Songea Mbano. Quelle: Pressemappe Salzgeber.*

Die Suche der Familien Mbano und Kaaya

Eine der ersten Szenen des Films zeigt das leere Grab von Songea Mbano (externer Link, Abb. 1). Er wurde als Widerstandskämpfer im Maji-Maji-Krieg (1905–1907) gegen die Kolonialherrschaft von deutschen Truppen hingerichtet. Sein Kopf wurde daraufhin für „Forschungen“ nach Deutschland geschickt. Songea Mbanos Urenkel John Makarius Mbano wird im Dokumentarfilm dabei begleitet, wie er sich mit seiner Frau Cesilia Mollel auf die Suche nach dem Schädel seines Vorfahren begibt:

„Aus spiritueller Sicht ist der Kopf eines Menschen alles, er ist alles. Als sein Kopf abgeschnitten und woanders hingebracht wurde, hat die gesamte Community ihre Ideen und Rituale verloren. Seine Rückführung würde die Community also neu beleben.“[2]

Ebenso lernen die Zuschauer*innen Ernest und Felix Kaaya kennen, die auf der Suche nach den Gebeinen ihres Vorfahren Mangi Lobulu Matinda Kaaya sind. Im Jahr 1900 weigerte er sich, der deutschen Kolonialverwaltung sein Land zu überlassen, und wurde deshalb mit 18 anderen Männern hingerichtet. Die Zuschauer*innen erfahren von der retraumatisierenden und schmerzvollen Trauer, welche die Familien Mbano und Kaaya und deren Communities durchleben, solange ihre Vorfahren nicht bei ihnen sind.

 

Das Ringen mit kulturellen und politischen Institutionen in Deutschland

Der zweite Schauplatz des Filmes neben Tansania ist Berlin. Dorthin begleiten die beiden Regisseurinnen John und Cesilia deren Weg unter anderem in die „Afrika“-Abteilung der ethnologischen Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Humboldt Forum) führt. Sie hatten die Nachricht erhalten, dass dort die Gebeine von Songea Mbano lagern könnten. Nachdem mit DNA-Proben nachgewiesen wurde, dass es sich nicht um den Schädel eines Vorfahren von John handeln kann, wird die schmerzhafte und aufreibende Trauer wieder sichtbar für die Zuschauer*innen.

Abb. 2: John und Cesilia im Humboldt-Forum in Berlin. Quelle: Pressemappe Salzgeber.**
Abb. 2: John und Cesilia im Humboldt-Forum in Berlin. Quelle: Pressemappe Salzgeber.**

In Berlin suchen John und Cesilia (vgl. Abb. 2) außerdem die Unterstützung von politischen Institutionen. Sie sprechen mit Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, die später den Staatsbesuch von Frank-Walter Steinmeier im Süden Tansanias und dessen Besuch bei der Familie Mbano anregt.

Die Szenen von John und Cesilias Besuch im Humboldt Forum und im Auswärtigen Amt zeigen aber vor allem die institutionelle Trägheit und Distanz, die den beiden entgegengebracht wird. Der Film vermittelt, dass die Reaktionen und Unterstützungsangebote in Deutschland der Verzweiflung und dem Schmerz von John und Cesilia nicht gerecht werden.

 

Abb. 3: Der Aktivist Mboro in Berlin. Quelle: Pressemappe Salzgeber.***
Abb. 3: Der Aktivist Mboro in Berlin. Quelle: Pressemappe Salzgeber.***

Vorschläge für ein Erinnern im öffentlichen Raum - von Berlin aus gedacht

Bei dem Besuch in Berlin werden die beiden auch von dem Aktivisten Mnyaka Sururu Mboro (vgl. Abb. 3) und dem Künstler Konradin Kunze der Initiative Berlin Postkolonial e.V. begleitet. Die Initiative setzt sich für eine kritische Aufarbeitung des Kolonialismus in Deutschland und Rückgaben von geraubten Kulturgütern und Gebeinen ein. Und so konnte kürzlich beispielsweise die Umbenennung der Petersallee zu Anna-Mungunda- und Maji-Maji-Allee gefeiert werden: Die ehemalige Petersstraße in Berlin trägt nun nicht mehr den Namen des Mannes, der für die Brutalität bekannt ist, mit der er seit 1884 die Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ als Reichskommissar regierte. Mit Anna Mungunda wurde sie nach einer OvaHerero-Widerstandskämpferin (aus dem heutigen Nambia) umbenannt. Der zweite Teil der Straße, Maji-Maji-Allee, erinnert an den antikolonialen Widerstandskampf, an dem auch die Familie Mbano beteiligt war.[3]

 

Schlaglichter auf das Erinnern im Geschichtsunterricht

Der Film zeigt die Lücken einer möglichen Erinnerungskultur und historischen Auseinandersetzung nicht nur im öffentlichen Raum, sondern auch im Geschichtsunterricht – zwei Bereiche, an denen die Arbeit von Berlin Postkolonial e.V. ansetzt. So begleitet der Film Mnyaka, der selbst in Tansania geboren wurde und seit Jahrzehnten für eine Bearbeitung des Themas kämpft, bei einem seiner Rundgänge durch ebendiese Straßen. Die Rundgänge thematisieren die Kolonialgeschichte und schaffen Raum für Auseinandersetzung. Im Bericht der taz zur Straßenumbenennung wird deutlich, dass diese Tätigkeit für ihn auch bedeutet, sich dem Risiko von Anfeindungen aussetzen zu müssen.[4] Der Film zeigt zudem, wie sich Mnyaka und Konradin im Rahmen eines Workshops mit Schüler*innen über die historischen Ereignisse, aber auch über den heutigen Umgang in Deutschland mit diesen austauschen. Zum einen sehen wir deren Erschütterung über die Gewalt der kolonialen Praktiken. Zum anderen wird der Wunsch nach einer umfassenderen Beschäftigung im Unterricht erkennbar. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass es ein zum Film gestaltetes Materialheft gibt, das Kontextinformationen enthält sowie Aufgaben, die Anregungen für eine Einbindung in den Unterricht bieten können.[5] Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass beispielsweise der Bildungsplan für den Geschichtsunterricht in Baden-Württemberg weiterhin nur wenige Anknüpfungspunkte liefert.[6] Der Film gewährt aber auch Einblicke in den tansanischen Geschichtsunterricht: Cesilia spricht mit ihrer Klasse über die Kolonialverbrechen.  Der Bezug zu der Lebensrealität der Lehrerin und der Schüler*innen ist dabei klar, ebenso wie das Bedürfnis nach Austausch und Auseinandersetzung. Sie nähern sich den Fragen, die sich teilweise geschichtswissenschaftlich beantworten lassen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Ereignisse mit der dahinterliegenden

rassistischen Logik trotz historischen Wissens unbegreifbar bleiben.

 

Schlussgedanken

Der Film Das leere Grab zeigt die Herausforderungen, die diese Fragen mit sich bringen – auf emotionaler, wissenschaftlicher oder praktischer Ebene und zeigt gleichzeitig, wie notwendig die Bearbeitung des Themas ist. Dieser Eindruck wurde bei der Vorführung im Rahmen der Kinotour bestätigt, die wir im Mai in Stuttgart besuchten. Im anschließenden Gespräch beantworteten die Regisseurinnen Fragen aus dem Publikum und ordneten einige Szenen in den Schaffensprozess ein. Dabei wurden koloniale Kontinuitäten, die in vielfältiger Weise die Suche nach den Gebeinen prägen, noch einmal deutlich. Im Frühjahr wurde der Film in deutschen Kinos vorgestellt, es gibt aber weiterhin Vorführungen, auch in der Region, die auf der Website zu finden sind.[7] Der Film wird auch in Tansania gezeigt, im September beispielsweise in der Gemeinde Songea.[8] Wir können einen Kinobesuch nur empfehlen!

Ein Beitrag von Franziska Moosmann und Katharina Schmitt



Details zum Dokumentarfilm auf einen Blick:

- Titel: Das leere Grab

- Genre: Dokumentarfilm

- Länge: 97 Minuten

- Erscheinungsjahr: 2024

- Regie: Agnes Lisa Wegner, Cece Mlay

 

Direktlink zu den Vorführungsterminen: https://salzgeber.de/dasleeregrab#im_kino (externer Link, 26.09.2024).

 

Weiterführende Artikel:

- Interview mit der Regisseurin Cece Mlay: https://republic.com.ng/interviews/interview-with-cece-mlay/ (28.09.2024).

- Mehr Infos zu Straßenumbenennungen: https://taz.de/Dekoloniale-Strassenumbenennungen/!6004688/ (28.09.2024).

- Mehr Infos zu Songea Mbano: https://www.adfontes.uzh.ch/media/files/3_Training/Fotografie_BildinterpretationenKurmannBildinterpretation.pdf (04.10.2024)

 


Nachweise:

- Bildungsplan des Gymnasiums 2016, Geschichte, S. 47-48. https://bildungsplaene-bw.de/site/bildungsplan/bpExport/3255405/Lde/index.html?_page=0&requestMode=PDF&_finish=Erstellen (26.09.2024).

 

- Mbano, John in: Ziemann, Luc-Carolin: Das Leere Grab. Filmheft mit Hintergrundinformationen für den Unterricht, S. 15:  https://salzgeber.de/media/dasleeregrab_filmheft_web.pdf (27.09.2024).

 

- Nzakizbandi, Jeanne: Berline Film „Der vermessene Mensch“: Reproduktion von Anti-Schwarzem Rassismus und eine verpasste Chance deutsche Kolonialgeschichte kritisch aufzuarbeiten. In: Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland Online (29.03.2023), https://isdonline.de/berlinale-film-der-vermessene-mensch/ (27.09.2024).

 

- Wagener, Ulrike: Straßenumbenennung im Wedding. Ein antikoloniales Viertel. In: taz (22.08.2024), https://taz.de/Strassenumbenennung-im-Wedding/!6031576/ (27.09.2024).

- Ziemann, Luc-Carolin: Das Leere Grab. Filmheft mit Hintergrundinformationen für den Unterricht:  https://salzgeber.de/media/dasleeregrab_filmheft_web.pdf (27.09.2024).

 

 

Bilder:

Pressemappe Salzgeber https://salzgeber.de/dasleeregrab#Presse (28.09.2024)

 

*Abb. 1: Das Grab von Songea Mbano.

 

**Abb. 2: Der Aktiviste Mboro in Berlin.

 

***Abb. 3: John und Cesilia im Humboldt-Forum in Berlin.

 

 

Fußnoten:


[1] Vgl. Nzakizbandi, Jeanne: Berline Film „Der vermessene Mensch“: Reproduktion von Anti-Schwarzem Rassismus und eine verpasste Chance deutsche Kolonialgeschichte kritisch aufzuarbeiten. In: Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland Online (29.03.2023), https://isdonline.de/berlinale-film-der-vermessene-mensch/ (27.09.2024).

[2] Mbano, John in: Ziemann, Luc-Carolin: Das Leere Grab. Filmheft mit Hintergrundinformationen für den Unterricht, S.15:  https://salzgeber.de/media/dasleeregrab_filmheft_web.pdf (27.09.2024).

[3] Vgl. Wagener, Ulrike: Straßenumbenennung im Wedding. Ein antikoloniales Viertel. In: taz (22.08.2024), https://taz.de/Strassenumbenennung-im-Wedding/!6031576/ (27.09.2024).

[4] Ebd: „Der 72-jährige Aktivist bei Berlin Postkolonial rechnet damit, dass die Feierlichkeiten gestört werden. ,Wenn ich die Rundgänge im Afrikanischen Viertel mache, kommen bis heute Leute zu mir und schreien mich an und beleidigen mich‘, erzählt er.“

[5] Ziemann, Luc-Carolin: Das Leere Grab. Filmheft mit Hintergrundinformationen für den Unterricht:  https://salzgeber.de/media/dasleeregrab_filmheft_web.pdf (27.09.2024).

[6]  Dennoch bietet sich beispielsweise eine Auseinandersetzung im Abschnitt Aktuelle Probleme postkolonialer Räume in historischer Perspektive der zwölften Jahrgangsstufe an. Vgl. Bildungsplan des Gymnasiums 2016, Geschichte, S. 47-48. https://bildungsplaene-bw.de/site/bildungsplan/bpExport/3255405/Lde/index.html?_page=0&requestMode=PDF&_finish=Erstellen (26.09.2024).

[7]  Direktlink zu den Vorführungsterminen: https://salzgeber.de/dasleeregrab#im_kino (26.09.2024).

[8] Vgl. die Ankündigung zur Vorführung https://www.instagram.com/the_empty_grave_film/p/C_vZEjKNm_x/ (26.09.2024).

 

 

Infospalte


Bild:  Fotomontage mit Robert Koch, Schlafkranken, Tsetsefliege und dem späteren Heilmittel Bayer 205, Quelle: Koloniales Bildarchiv, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer 042-0247-20.
Bild: Fotomontage mit Robert Koch, Schlafkranken, Tsetsefliege und dem späteren Heilmittel Bayer 205, Quelle: Koloniales Bildarchiv, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer 042-0247-20.
Bild: Anonym Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons. URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lange_diercke_sachsen_afrika_ehemalige_schutzgebiete_kamerun.jpg?uselang=de#Lizenz
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Bild: Wikimedia Commons (Lizenz CC0), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:092_togo.png (09.06.2023).
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