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Eine afrikanische Restitutionsdebatte: Der Dokumentarfilm Dahomey (2024)


Abb. 1: Filmplakat. Quelle: (C) Press kit films du losange.*
Abb. 1: Filmplakat. Quelle: (C) Press kit films du losange.*

Debatten um die Rückführung von Kulturgütern aus ethnografischen Museen in Europa in ihre postkolonialen Herkunftsstaaten hatten in den letzten Jahren Hochkonjunktur. Aber auch afrikanische Gesellschaften beschäftigen sich intensiv mit der Forderung nach Restitution und deren Umsetzung. Davon handelt der Dokumentarfilm Dahomey (2024) der französisch-senegalesischen Regisseurin Mati Diop, der explizit afrikanische, in diesem Fall beninische, Perspektiven auf das Thema Restitution präsentiert.

 

Der Dokumentarfilm Dahomey (R: Mati Diop, Frankreich–Senegal–Benin: 2024, vgl. Abb. 1) wurde mit dem Goldenen Bären der Berlinale 2024 ausgezeichnet. Der Film begleitet die 2021 erfolgte Restitution von 26 aus dem ehemaligen Königreich Dahomey stammenden Objekten aus dem Pariser Musée du Quai Branly nach Benin. Diop richtet den Fokus dabei dezidiert auf die innerbeninische Restitutionsdebatte und ergänzt diese nur an ausgewählten Stellen mit einem fiktiven Voiceover.

 

Zugänge und Standpunkte

Der grundsätzliche Standpunkt des Films innerhalb der Diskussion um die Restitution von Kulturgütern wird bereits in den eingeblendeten Vorbemerkungen deutlich: Nach 130 Jahren „Gefangenschaft“ würden die Kunstschätze wieder in ihre Heimat zurückkehren; an der Befürwortung der Rückführung lässt Diop keinen Zweifel.

Der Film setzt mit den Vorbereitungen für den Transport der 26 Objekte nach Benin ein. Hier und während des gesamten Dokumentarfilms sprechen die Aufnahmen und gefilmten Personen mit ihren Aussagen für sich. Einen Erzähler, der Eindrücke und Äußerungen verbindet und einordnet, gibt es nicht. Dahomey versteht sich jedoch nicht als reine Dokumentation. Einen Rahmen bildet die fiktionale Stimme König Ghézos von Dahomey, geschrieben und im Voiceover in Fon  (eine  der  wichtigsten

Abb. 2: Statue von König Ghézo. Quelle: Ji-Elle, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.**
Abb. 2: Statue von König Ghézo. Quelle: Ji-Elle, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.**

Sprachen in Westafrika) gesprochen vom haitianischen Schriftsteller Makenzy Orcel.[1] Ghézo, beziehungsweise dessen Statue (vgl. Abb. 2), die als „Objekt Nr. 26“ bezeichnet wurde, beschreibt zu Beginn und Schluss sowie in einzelnen Passagen während des Films seine Wahrnehmungen und Gedanken über seine Rückreise nach Benin und deren Bedeutung.

Den Kern der 68-minütigen Dokumentation bildet eine Diskussion von Studierenden in Benin, die nach der erfolgten Restitution und Ausstellung der 26 Objekte über Sinn, Notwendigkeit und Bedeutung der Rückgaben von Kulturgütern nach Benin diskutieren. An dieser Stelle wäre für das Publikum zur Einordnung der Hinweis interessant gewesen, dass hier Studierende der staatlichen Université d’Abomey-Calavi sprechen, was aber nicht weiter ins Gewicht fällt. Diop hat selbst die Diskussion organisiert und die zu Wort kommenden Studierenden bewusst ausgewählt, um eine möglichst große Vielfalt beninischer Perspektiven einzufangen.[2]

In seiner eigenen Restitutionsdiskussion widmet sich Dahomey zunächst logistischen und infrastrukturellen Argumenten. So betont der Film, dass die Museen und kulturellen Einrichtungen in Benin entgegen etwaiger (europäischer) Vorbehalte durchaus in der Lage seien, Kulturgüter zu konservieren und für die Bevölkerung zugänglich zu machen. Bemerkenswert ist allerdings, dass hier von einer direkten Rückgabe an die Herkunftsgesellschaften nicht die Rede ist, sondern die Objekte erneut in einem Museum ausgestellt werden, obwohl ethnografische Museen auch in Ländern des Globalen Südens oft ausschließlich von Bildungseliten und Touristen besucht werden. Auffällig ist hierbei, dass das Konzept des Museums als Aufbewahrungsort ebenso wenig in Frage gestellt wird, wie das Ziel, die Objekte für die Nachwelt zu erhalten. Diese Position ist insofern bemerkenswert, als sie Meinungen widerspricht, die sich in anderen ehemaligen Kolonien, wie z. B. Namibia, wiederfinden lassen.[3]

 

Perspektiven und Argumente

Auf unterschiedlichen Ebenen lässt Diop die Studierenden über die Restitution der 26 Objekte diskutieren und Fragen aufwerfen: Handelt es sich hierbei noch um heilige Objekte oder wurden sie mit dem Verlassen ihres Herkunftslandes entweiht? Sind sie nur noch als reine Kunstschätze und Ausdruck einer früheren Kultur anzusehen? Welche Bedeutung und Priorität haben Restitutionen auf der politischen Bühne? Welche Rolle sollte Restitutionen und dem Zugang zu Kulturgütern vonseiten der Politik zugemessen werden?

Die Frage der Sakralität der Objekte scheint für einen Studenten klar. Beim Raub der Objekte und der „Entführung“ aus ihrem Heimatland seien sie entweiht worden, was ihrem anhaltenden Wert für die Menschen in Benin jedoch keinen Abbruch tue: Eine Studentin zeigt sich tief berührt von der Kunst und Kultur ihrer Vorfahren, viele weitere messen diesen Objekten eine große Bedeutung zu und mehrere echauffieren sich, dass von ca. 7.000 Objekten lediglich 26 zurückgegeben würden. Andere Studierende sehen in der Restitution von 2021 wiederum einen Anfang und sprechen sich dafür aus, über eine Strategie nachzudenken, wie die restlichen in Frankreich verbliebenen Kunstschätze nach Benin zurückgeführt werden und den Menschen durch ein Museum zugänglich gemacht werden könnten. Daran anschließend wirft eine Studentin die Frage nach Teilhabe auf. Wie können alle Einwohner*innen die Kunstschätze bewundern? Sollten Schulen Ausflüge organisieren, damit alle sich den Besuch leisten könnten? Schnell fällt der Fokus auch auf die wirtschaftliche Lage Benins. Die Studierenden fragen sich, welche Priorität die Regierung eines Landes, dessen Einwohner mitunter nicht wüssten, ob und wie sie drei Mahlzeiten am Tag zu sich nehmen können, Restitutionen beimessen sollte.

Wenngleich die Diskussion an dieser Stelle zu keinem gemeinsamen Praxisvorschlag führt, sind sich die Studierenden in einem Punkt dennoch einig: Die enorme kulturpolitische Bedeutung der Rückführung von Kulturgütern nach Benin ist aus ihrer Sicht trotz aller Umstände unbestreitbar; nicht für Frankreich, dessen Regierung einige Diskutanten in erster Linie Publicity und Kalkül und keine Überzeugung von der Richtigkeit der Restitution unterstellen, sondern für Benin. Für die beninische Gesellschaft, so die Studierenden, bildeten die 26 Objekte den Kern des kulturellen Erbes, um den sich die beninische Nation vereinen könnte. Hierin liegt das zentrale Argument der Diskussion und des Films: Für das Zusammenwachsen der beninischen Gesellschaft stellen die Kunstschätze der Könige Dahomeys aus dem 19. Jahrhundert ein elementares Fundament dar – sie bilden im Kern „notre histoire“, wie eine Studentin anmerkt, ein gemeinsames historisches und kulturelles Erbe für das heutige Land Benin. Sie haben das Potential einen Erinnerungsort zu schaffen, der eine Nation eint.

Neben diesen Argumenten zu Bedeutung und Zugänglichkeit gegenwärtiger und zukünftiger Restitutionen, kommen andere Punkte wiederum, die aus europäischer Perspektive in einer Diskussion wie der in Dahomey hätten aufgegriffen werden können, in Diops Dokumentarfilm nicht vor. Besonders auffällig ist, dass die historische Rolle der Könige Dahomeys, aus deren Epoche die 26 restituierten Objekte stammen, in der zentralen Diskussionsrunde überhaupt nicht reflektiert werden. Ohne weiteres ließe sich beispielsweise das Argument ins Feld führen, dass Ghézo (genau wie seine Nachfolger Glélé und Béhanzin) als König Dahomeys benachbarte Bevölkerungen unterwarf und als Sklaven nicht nur an die Europäer verkaufte, sondern selbst Sklaven hielt. Im Gegenzug könnte man argumentieren, dass derselbe Ghézo Dahomey zu Unabhängigkeit und wirtschaftlicher Prosperität verholfen und dabei seine Souveränität gegenüber europäischen Kolonialambitionen durchgesetzt habe.[4] Weder die eine noch die andere Argumentation wird in der Diskussion von Studierenden aufgegriffen, denn das Kernargument in Dahomey zielt auf den identitätsstiftenden Wert der 26 Objekte. Dass auch die Sicht von Nachfahren der von Dahomey versklavten Fon-sprechenden Völker auf die Restitution der Objekte hier nicht thematisiert wird, verwundert zwar angesichts der nigerianischen Proteste gegen den Film Woman King, verdeutlicht aber zugleich den innerbeninischen Blick Diops.

Genau hierin liegt die Stärke von Diops Film. Dahomey bricht mit der eurozentristische Perspektive auf Restitution und richtet den Blick auf beninische Perspektiven in der Debatte um die Rückführung von Kulturgütern in ehemalige Kolonien. Vor allem mit dem zentralen Argument von der kulturpolitischen und identitätsstiftenden Bedeutung der Objekte für das Zusammenwachsen der beninischen Gesellschaft leistet Diops Dokumentarfilm einen wertvollen Beitrag – auch für europäische Restitutionsdebatten.

 

                                            Ein Beitrag von Maren Brugger und Bernhard Schnabel


Details zum Film auf einen Blick:

Titel: Dahomey

Genre: Dokumentarfilm

Länge: 68 Minuten

Erscheinungsjahr: 2024

Regie: Mati Diop

 

Weiterführende Informationen:

Website des Musée du Quai Branly Jacques Chirac mit Bildern und Beschreibung der 26 Objekte und mit Informationen zur Restitution, inkl. Verweis auf You-Tube Video der Offiziellen Restitutionszeremonie, URL: https://www.quaibranly.fr/fr/collections/vie-des-collections/actualites/restitution-de-26-oeuvres-a-la-republique-du-benin (externer Link) (10.11.2024).

Trailer zum Film: https://www.youtube.com/watch?v=VcNTUcXMl5s (YouTube, externer Link, evtl. Cookies) (10.11.2024).

 

Nachweise:

Adeyinka, Augustus A.: King Gezo of Dahomey, 1818-1858: A Reassessment of a West African Monarch in the Nineteenth Century, in: African Studies Review 17 (1974) 3, S. 541–548, 547 f.

Balkenberg, Jenas: König Ghezo spricht, in: taz.de, 23.10.2024, URL: https://taz.de/Film-Dahomey-ueber-Raubkunst/!6041581/ (externer Link) (9.11.2024).

Siegenthaler, Fiona et al (Hg.): With Namibia: Engaging the Past, Sharing the Future. Eine Summer School in zwei Teilen in Stuttgart und Windhoek, Dresden, Stuttgart 2024 (im Druck).

Zessnik, Sophia: Viel Wut ist dort zu vernehmen, in: taz.de, 20.2.2024, https://taz.de/Dahomey-auf-der-Berlinale/!5992919/ (externer Link) (10.10.2024).

 

Bilder:

*Abb. 1:  Filmplakat. Quelle: (C) Press kit films du losange, URL: https://filmsdulosange.com/en/film/dahomey/ (10.11.2024).

**Abb. 2: Statue von König Ghézo. Quelle: Ji-Elle, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons, URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Statue_du_roi_Gh%C3%A9zo-Mus%C3%A9e_du_Quai_Branly_(11).jpg (11.11.2024).

 

Fußnoten:

[1] Vgl. Sophia Zessnik: Viel Wut ist dort zu vernehmen, in: taz.de, 20.2.2024, https://taz.de/Dahomey-auf-der-Berlinale/!5992919/ (10.10.2024).

[2] Vgl. Jens Balkenberg: König Ghezo spricht, in: taz.de, 23.10.2024, https://taz.de/Film-Dahomey-ueber-Raubkunst/!6041581/ (9.11.2024).

[3]  Vgl. Zu den Debatten um die Rolle und Bedeutung von Museen in Namibia Fiona Siegenthaler et al (Hg.): With Namibia: Engaging the Past, Sharing the Future. Eine Summer School in zwei Teilen in Stuttgart und Windhoek, Dresden, Stuttgart 2024 (im Druck).

[4] Vgl. Augustus A. Adeyinka: King Gezo of Dahomey, 1818-1858: A Reassessment of a West African Monarch in the Nineteenth Century, in: African Studies Review 17 (1974) 3, S. 541–548, 547 f.

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Bild: Das Grab von Songea Mbano. Quelle: Pressemappe Salzgeber.
Bild: Das Grab von Songea Mbano. Quelle: Pressemappe Salzgeber.
Bild:  Fotomontage mit Robert Koch, Schlafkranken, Tsetsefliege und dem späteren Heilmittel Bayer 205, Quelle: Koloniales Bildarchiv, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer 042-0247-20.
Bild: Fotomontage mit Robert Koch, Schlafkranken, Tsetsefliege und dem späteren Heilmittel Bayer 205, Quelle: Koloniales Bildarchiv, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer 042-0247-20.
Bild: Anonym Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons. URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lange_diercke_sachsen_afrika_ehemalige_schutzgebiete_kamerun.jpg?uselang=de#Lizenz
Bild: Anonym Unknown author, Public domain, via Wikimedia Commons. URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lange_diercke_sachsen_afrika_ehemalige_schutzgebiete_kamerun.jpg?uselang=de#Lizenz
Bild: Wikimedia Commons (Lizenz CC0), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:092_togo.png (09.06.2023).
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