Sommer 2019: Was haben eine gut gekleidete Geschäftsfrau, die abends die Bar des Hotel Ritz in London betritt, und die Berliner Hipster in der Strandbar am Spreeufer, die ihre Diskussion aus der Universität weiterführen, gemeinsam? Das bestellte Getränk: Gin & Tonic. Ein Getränk mit Eiswürfeln und Zitrone verbindet Welten – doch welche Geschichte steckt hinter dem Drink, für den schon Queen Mum schwärmte?
Heute mehr zum Gin, der spaßbringenden Komponente des Getränks: Der hochprozentige Vorgänger des Gins war der niederländische Genever. Dieses Arzneimittel destillierte im 17. Jahrhundert erstmals der hessisch-niederländische Arzt Franciscus Sylvius.[1] Durch den holländisch-spanischen Krieg kamen die Briten in Kontakt mit der neuen Schnapssorte.[2]
Zuvor wurde hauptsächlich der französische Brandy getrunken, der nun aber auf Grund antifranzösischer Handelspolitik immer teurer wurde und zudem als unpatriotisch galt. Der Brandy ging und eine neue Spirituose fand seinen Weg in die Pubs.[3] Sehr schnell wurde Gin so beliebt, dass er in der bürgerlichen Wahrnehmung zu einem Problem wurde. Immer mehr Menschen, gerade in den Metropolen und Hafenstädten betranken sich regelmäßig und schwer mit dem neuartigen Schnaps.[4] Der Gin-Konsum verzehnfachte sich binnen 35 Jahren.[5] So entwickelte sich das Bild des Gin-Trinkers, der nicht in der Lage war, zu arbeiten und sein Leben in ordentlichen Bahnen zu halten.
Die Darstellung der Beer Street und der Gin Lane von 1751 steht hierfür exemplarisch. Denn obwohl bereits 1736 ein Gesetz zur Regulierung des Konsums von Gin verabschiedet wurde, das eine mengenbasierte Steuer und eine jährliche Schanklizenz umfasste, wurde Gin weiter in rauen Mengen getrunken. Nur die Wenigsten meldeten ihr Gewerbe an und die größte Menge des Gins wurde schwarz gebrannt und illegal verkauft – qualitativ immer schlechter, um ihn günstig zu halten.[6] Wenn der Gin in London knapp wurde, kam es sogar zu Tumulten und regelrechten Schlachten auf offener Straße. Die Sterblichkeitsrate durch Alkoholtote überstieg die Geburtenrate.[7]
William Hogarth, der Künstler, der die beiden fiktiven Straßen zeichnete, wollte seinen Zeitgenossen zeigen, was der Gin angerichtet hatte. Während auf der Beer Street (links) eine prosperierende Straße zu erkennen ist, bei der die Menschen wohlgenährt bis fettleibig, aber produktiv und glücklich sind, stellt sich dies auf der Gin Lane (rechts) anders dar.
Auf dieser ist das Gegenteil von Wachstum zu sehen. Die Menschen siechen vor sich hin, ein Kind fällt die Treppe hinab, weil die Mutter nicht in der Lage ist, auf es aufzupassen. Das dem Tod geweihte Kind ist eine Anspielung auf Judith Defour, die ihr Kind tötete und vergrub, um sich vom Verkauf der Kinderkleidung neuen Gin kaufen zu können. Dieser Vorfall rief große Bestürzung und Wut innerhalb Großbritanniens hervor und eignete sich daher besonders, um die Folgen des Konsums zu verdeutlichen. Die Gin Lane versinnbildlicht den Niedergang. Es wird nicht gebaut, sondern die Gebäude verfallen. Das Leben weicht dem Tod. Der Weg in die dunkle Unterwelt, wie sie durch den Treppenabgang dargestellt wird, ist allgegenwärtig.[8]
Im Jahr der Entstehung des Gemäldes, 1751, wurde der Gin Act verabschiedet. Dieser enthielt nicht nur noch massivere Steuererhöhungen, sondern auch eine Regelung zu Schanklizenzen. Letztere waren nötig, da in einigen Bezirken jedes fünfte Haus Gin ausschenkte, um sich ein Zubrot zu verdienen[9] – quasi ein. Nun durften Brennereien nur noch an angemeldete Schenken verkaufen und wurden, falls sie sich nicht daran hielten, selbst drakonisch bestraft. Das neue Gesetz zeigte sehr schnell seine Wirkung und der Gin-Konsum ging drastisch zurück.
Damit war der Weg des Gins zum Luxusartikel geebnet. Im 20. Jahrhundert verband man hauptsächlich Queen Mum, die täglich ihren Gin & Tonic zu sich nahm, mit der Spirituose. Heute begegnen uns täglich sind es die weltweit aus dem Boden schießenden Kleinbrennereien mit kreativem Marketing. Außerdem begegnen uns täglich die traditionellen Markenprodukte, die den Schnaps in Großmengen produzieren, aber so wirken, als seien es Kleinstbetriebe. Und so ist der Londoner Hafen an der Themse dem Berliner Spreeufer ein Stückchen näher gerückt.
Ein Beitrag von Felix Schwitzer und Johannes Thiede
[1] Hanson, David J.: Preventing Alcohol Abuse. Alcohol, Culture, and Control, Westport/Connecticut 1995, 10.
[2] Vivant, Don: The Cultural History Of Gin, in: Forbes 150 (1992), Nr. 7, 110–112, 110.
[3] Andreas, Peter: Killer High. A History of War in Six Drugs, New York 2020, 37.
[4] Vivant (1992) 110.
[5] Hunt, Leon Gibson: Growth of Substance Use and Misuse: Some Speculations and Data, in: Journal of Drug Issues 9 (1979), 257–265, 263.
[6] Warner, Jessica/Ivis, Frank: “Damn You, You Informing Bitch.” Vox Populi and the Unmaking of the Gin Act of 1736, in: Journal of Social History 33 (1999), 299–330, 303f.
[7] Roberts, Clayton/Roberts, David/Bisson, Douglas R.: A History of England. Volume II: 1688 to the Present, 4. Auflage, Upper Saddle River (New Jersey) 2002, 462.
[8] Harris, James: Cultural aspects: representations of alcohol use in visual art, in: Boyle, Peter et al. (Hgg.): Alcohol. Science, Policy, and Public Health, Oxford 2013, 24–29, 27f.
[9] Schwartz, Richard B.: Daily Life in Johnson’s London, 3. Auflage, Madison (Wisconsin) 1983, 72.
Weiterführende Literatur:
- Brown, Tina: Gin. An illustrated history, Stroud 2018
- Jenkins, Moses: Gin. A Short History, London 2019
Bilder:
*Oberes Bild:
Bitte beachten Sie die Angaben unter Quellenpapier > Koloniales hierzulande > Königlicher Feierabend und hippes Spaß-Getränk: Eine kurze Geschichte des Gin > Bilder > Oberes Bild.
**Unteres Bild:
Attribution/ Copyright by: William Hogarth [Public domain]
Page URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Beer-street-and-Gin-lane.jpg (externer Link, letzter Zugriff am 11.02..2020)
File URL: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1e/Beer-street-and-Gin-lane.jpg (externer Link, letzter Zugriff am 11.02..2020)
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