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Ein kolonialer Straßenname und eine kommunalpolitische Debatte

Bild: Lisa Blum.
Bild: Lisa Blum.

„Wer in Tübingen die Adresse wechseln will, hat zwei Möglichkeiten. Entweder – ganz klassisch – mit Sack und Pack und einem Umzugsunternehmen. Oder man wartet einfach so lange, bis sich der Straßenname ändert.“[1] In dieser ironischen Überspitzung des Reutlinger General-Anzeigers steckt wohl ein Körnchen Wahrheit. Doch das soll nicht bedeuten, die Umbenennungen seit 1945 seien unnötig gewesen – sonst würde die Tübinger Öffentlichkeit über eine autofreie „Adolf-Hitler-Straße“ anstelle der heutigen Mühlstraße diskutieren. Allein seitdem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielten 64 Wege und Straßen neue Namen, 47 davon aufgrund ihres nationalsozialistischen Hintergrundes.[2] Über die Jahre hinweg veränderte sich das Stadtbild im Zuge der Eingemeindungen, Doppelungen mussten vermieden werden. Einige NS-Überbleibsel wurden ebenfalls von der Tübinger Stadtkarte getilgt, darunter die „Robert-Gaupp-Staffel“. Ihr Namenspatron war ein Tübinger Professor, Rassehygieniker und Gegner der Frauenrechtsbewegung. Heute ist die Straße nach dem Dichter Jakob van Hoddis benannt. Oder die Johannes-Reuchlin-Straße, die bis 2011 den Namen Karl Adams, eines bekennenden Nationalsozialisten, trug.

 

Auch die Eduard-Haber-Straße ist ein Überbleibsel der Tübinger 1930er Jahre.

 

Die Eduard-Haber-Straße verweist durch Namen und Beschriftung („Eduard Haber*1866 † 1947 Tübingen, Gouverneur der Kolonie Deutsch-Neuguinea,Lehrbeauftragter an der Universität Tübingen für Kolonialwesen und Rohstoffversorgung“) auf vergangene Zeiten und ein Deutschland, dass mit imperialistischen Bestrebungen in die Welt ausgriff. Ein „Reich“, das in zivilisatorischer Mission unmenschliche Verbrechen beging, Andersartigkeit konstruierte und als Minderwertigkeit interpretierte.

 

Zum ersten Mal fiel die Straße dem Geographen Helmut Eck ins Auge. Im Jahre 1990 veröffentlichte er einen Artikel in der Reihe „Von Straßen und Plätzen in Tübingen“ des Schwäbischen Tagblatts. Er verwies darin ausdrücklich auf Habers nationalsozialistische Linientreue, aber auch auf sein Mitläufertum. Habers koloniale Karriere, bei der der gelernte Bergassessor zum Gouverneur „Deutsch-Neuguineas“ aufstieg und die mit seinem Lehrauftrag in Tübingen endete, betonte Eck weniger. Während der Autor abschließend die Frage aufwarf, welche „Notwendigkeit aber besteh[e], die von den Nationalsozialisten durchaus in politischer Absicht ausgesprochene Ehrung auch für die Zukunft beizubehalten?“[3], wurden auch Gegenstimmen laut. Knapp einen Monat später entrüstete sich Dr. Hella von Auer[4], nach ihrer Aussage eine Bekannte der Familie, über die Darstellung Habers als „alte[n] Nazi“[5]. Vielmehr sei er ein „kluger und mutiger Mann“ gewesen, da er sich vom Befürworter zum Gegner des Regimes gewandelt habe.

Bild: Lisa Blum.
Bild: Lisa Blum.

Diese öffentliche Debatte fand im Gemeinderat Gehör. Die FL-und die SPD-Fraktion stellten einen Antrag auf Umbenennung der „Robert-Gaupp-Staffel“ und der Eduard-Haber-Straße. Begründung: „Die namentliche Ehrung des Gouverneurs der Kolonie Dt.-Neuguinea, der als Tübinger Professor die ‚Rettung des deutschen Volkstums‘ wissenschaftlich legitimiert hat, ist in einer Zeit, in der wir offiziell Tübinger jüdische Mitbürger und Fremdarbeiter zu uns einladen, obsolet geworden.“[6] Als bevorzugter Name wurde „Am Pflegergarten“ vorgeschlagen. In einer Befragung zu diesem Vorschlag sprachen sich die Anwohner allerdings einmütig gegen eine Umtaufung aus. Es habe bei der unmittelbaren Entnazifizierung der Straßennamen 1945 schließlich keine Initiative bezüglich Haber gegeben, und in den knapp 50 Jahren danach sei er ebenfalls „unangefochten“ geblieben und außerdem Teil der Stadtgeschichte. Der Gemeinderat bewertete die Situation als unzureichend, um eine Umbenennung gegen den Willen der 13 Anwohner zu erwirken. Damit war das Verfahren eingestellt und die Eduard-Haber-Straße blieb bestehen.[7]

 

Im öffentlichen Diskurs der 1990er Jahre erinnerte und problematisierte man eher Habers Verhältnis zum Nationalsozialismus. Doch seine politische Einstellung spielte nicht die ausschlaggebende Rolle für die Straßenbenennung zur Zeit des Nationalsozialismus, auch wenn Helmut Eck dies anders bewertete. Vor allem wollte sich die Stadt im Jahr 1936 mit ihrem berühmten Kolonisten schmücken, und in dem damaligen Neubaugebiet ein Zeichen einstiger kolonialer Größe verewigen. Die Person Habers stand symbolhaft für koloniales Prestige: Darum bemühte sich die Universität stets um eine Verlängerung seines Lehrauftrages, obwohl er mehrmals die Altersgrenze überschritt und seine Vorlesungen kaum besucht wurden. Dies war auch der Grund für seine Ehrensenatorwürde, der Grund für zahlreiche Geburtstagswünsche in der „Tübinger Chronik“ und persönliche Visiten des Bürgermeisters. All dies interpretierte Haber in einem Dankschreiben schon selbst als Ausdruck der Tübinger Vorliebe für Koloniales. Vielleicht sollte man sich bei einem Spaziergang durch Lustnau die Frage stellen: Wenn ein kolonialer Straßenname solange nicht als solcher problematisiert wird – welche anderen „blinden Passagiere“ aus der Kolonialzeit finden sich sonst noch in unserem Alltag?

 

Fast 20 Jahre nachdem die Straße zum ersten Mal zur Debatte stand, machte sie wieder Schlagzeilen – nun aber mit postkolonialem Touch. Am 3. Februar 2009 berichtete das Schwäbische Tagblatt über ein anonymes „Aktionskomitee für Stadtverschönerung“, welches über Nacht kurzerhand drei Straßen umbenannt hatte – darunter auch die Eduard-Haber-Straße, die nach den unbekannten Aktivisten von nun an „Morenga-Straße“ betitelt werden sollte. Jakobus Morenga war einer der Anführer im Aufstand der Herero und Nama gegen die deutsche Kolonialbesatzung von 1904–1908 im heutigen Namibia.[8]

 

Ein Beitrag von Lisa Blum

Quellen zu diesem Text

 

 

Fußnoten: 

[1] Tübinger Straßennamen im Wandel, Reutlinger General-Anzeiger am 07.08.2017.

[2] Wie lange noch Karl-Adam-Straße? Hans Joachim Lang im Schwäbischen Tagblatt am 08.10.2010.

[3] Eck, Helmuth: „Bei der Partei in hohem Ansehen. Mit Eduard Haber wurde in Lustnau ein alter Nazi wegweisender Pate.“ In: Schwäbisches Tagblatt, 30.08.1990, Stadtarchiv Tübingen (StAT), Zeitgeschichtliche Sammlung zur Eduard-Haber-Straße (ZGS 0002 Eduard-Haber-Straße).

[4] Leserbrief im Schwäbischen Tagblatt vom 26.09.1990, StAT ZGS 0002 – Eduard-Haber-Straße.

[5] Eck, Helmuth: „Bei der Partei in hohem Ansehen. Mit Eduard Haber wurde in Lustnau ein alter Nazi wegweisender Pate.“ In: Schwäbisches Tagblatt vom 30.08.1990, StAT, Zeitgeschichtliche Sammlung zur Eduard-Haber-Straße (ZGS 0002 Eduard-Haber-Straße).

[6] Bürgermeisteramt Vorlagen 24/92, 204/92 und 296/92, StAT ZGS 001 Haber.

[7] Bürgermeisteramt Vorlagen 24/92, 204/92 und 296/92, StAT ZGS 001 Haber.

[8] 03.02.2009, Schwäbisches Tagblatt – Metz, StAT ZGS 0002 – Eduard-Haber-Straße.

 

 

 

Literaturempfehlungen:

- Eck, Helmut: Die Tübinger Straßennamen. Vielfach umbenannt. Ein stadtgeographischer Beitrag zur Geschichte und Bedeutung der Tübinger Straßennamen (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Tübingen 7), Tübingen 2017

- Genth, Jana: 17.9.1907: Jakobus Morenga wird in der Kalahari aufgespürt. SWR2 Zeitwort, 16.09.2019 URL: https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/Zeitwort-17,av-o1153063-100.html (externer Link, letzter Aufruf am 20.2.2020)

 


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