· 

Provenienzforschung am Linden-Museum in Stuttgart - Ein Interview mit Markus Himmelsbach


Markus Himmelsbach hat in Freiburg Geschichte, Politikwissenschaft und Mathematik auf Lehramt studiert und arbeitet seit 2018 als Provenienzforscher am Linden-Museum in Stuttgart. Im Interview gibt er Einblicke in die Aufgaben eines Provenienzforschers und zeigt Herausforderungen und Chancen dieses Berufsfeldes auf.

Bild: Privatbestand Markus Himmelsbach.
Bild: Privatbestand Markus Himmelsbach.

Herr Himmelsbach, wie sind Sie zum Fach Geschichte gekommen?

Ich hatte einfach schon immer ein ziemlich großes geschichtliches Interesse, war aber nicht unbedingt auf eine Epoche festgelegt, und habe mich dann auch dazu entschieden, Geschichte zu studieren. Das habe ich dann an der PH Freiburg unter Professor Grewe gemacht. Ich wurde dann seine studentische Hilfskraft und erhielt dadurch Einblicke in seine Forschung. Das war u. a. Kolonialismusforschung und dann habe ich dort auch an dem Projekt Kolonialismus in der Provinz mitgearbeitet, habe über ethnologische Museen geforscht, insbesondere über das Freiburger Museum. Nachdem das Projekt ausgelaufen ist, gab es die Stelle als Provenienzforscher in Stuttgart am Linden-Museum. Ich hab mich darauf beworben und die Stelle bekommen und seitdem forsche ich jetzt aus der Innenperspektive heraus.

 

Warum und wie sind Sie Provenienzforscher kolonialer Kontexte geworden? Warum spezifisch in diesem Kontext?

Das kam durch das Freiburger Forschungsprojekt Kolonialismus in der Provinz und mein Themenbereich war das städtische Natur- und Völkerkundemuseum. Das heißt, ich habe mich zu dieser Zeit schon mit diesem Thema befasst, allerdings mehr auf der Ebene der Stadtgesellschaft. Aber es hat natürlich genauso dazugehört, sich mit den Objektgebern und mit den Sammlungsbeständen zu beschäftigen. Damals hat man das noch nicht unbedingt als Provenienzforschung bezeichnet, sondern eher als „Sammlungsgeschichte“, aber im Prinzip war es das Gleiche. Und so bin ich dann auch dazu gekommen, mich intensiver mit Objektgebern, Objekten und dem kolonialem Kontext auseinanderzusetzen. Und es hat sich dann wunderbar ergeben, dass die Stelle hier im Museum frei geworden ist, weil ich im Prinzip genau das vertiefen wollte.

 

Was macht Ihnen an Ihrem Beruf besonders Freude? Gab es ein Projekt oder ein Objekt, das Ihnen besonders im Kopf geblieben ist?

Es ist oftmals so, dass man sich mit bestimmten Themen auch länger beschäftigt. Provenienzforschung ist nichts, was ich in zwei Tagen abhandle, sondern teilweise beschäftige ich mich monatelang mit einem Konvolut, einer Sammlung, einer Person, und das lässt einen dann auch nicht unbedingt immer los, weil man jetzt nicht diesen einen Moment hat, wo man sagt: Jetzt ist es fertig. Vielleicht muss ich meinen Bericht bis dann und dann schreiben, aber es beschäftigt mich trotzdem immer weiter und man findet auch wieder was.

Ein Beispiel hierfür wäre meine Arbeit zu einer Mapuche-Sammlung aus Chile[1], als ich hier am Museum angefangen habe und auch nur Projektmitarbeiter war. Sie erhielt von uns den Namen „Reste einer untergegangenen Sammlung“. Da habe ich auch sehr viel Zeit und Energie investiert und da ist man mit einem relativ unbefriedigten Gefühl rausgegangen, weil man jetzt nicht genau wusste, was diese Reste eigentlich sind und woher sie kommen, wenn die Sammlung doch eigentlich untergegangen ist. Und da schaue ich auch heute immer mal wieder noch nach, ob es da mittlerweile etwas Neues gibt, ob man mehr rausgefunden hat. Erst vor Kurzem konnte ich ganz entscheidende Dokumente in einem anderen Archiv finden und somit einige Fragen, die nun seit fast 6 Jahren offen waren, beantworten.

Ein anderes Beispiel ist auch die letzte Sonderausstellung zu Afghanistan (externer Link)[2]: Da habe ich zu einem Stuttgarter geforscht, der einer der ersten Deutschen in Kabul in Afghanistan war, dorthin ausgewandert ist, dort gearbeitet hat. Deutsche in Kabul 1920 waren etwas, mit dem ich mich noch nie, noch nicht mal ansatzweise, beschäftigt hatte. Da taucht man nochmal in ganz andere Kontexte ein. Auch mit ganz anderen Quellen und Archiven muss man sich beschäftigen und das ist auch wirklich spannend. Auch wenn man jetzt tatsächlich denkt, dass das abgeschlossen ist, ich die Ausstellungstexte geschrieben und den Bericht für den Katalog geschrieben habe – dann kommen Besucher in die Ausstellung und sagen, „ja, Herr XY, das war doch mein Vorfahre“, „der ist aus unserer Familie.“ Und dann wendet die Familie sich an uns und sagt, „ja, wir haben noch Objekte von ihm. Wir haben noch ein Fotoalbum von ihm aus Kabul“, solche Geschichten gehen auch unerwartet oftmals noch weiter und das finde ich auch das Schöne, gerade wenn man dann diesen Bezug zu heute hat. Denn für mich ist es auch wichtig, Nachfahren von unseren Objektgebern ausfindig zu machen, weil da auch oft zusätzliche Informationen, Materialien, Quellen etc. vorhanden sind. Man findet immer wieder Schätze, die irgendwo schlummern und so viele Antworten geben können.

 

Sie sind der einzige Provenienzforscher am Linden-Museum. Laufen Kontakte mit Herkunftsgesellschaften auch über Sie? Machen Sie die Kommunikation?

Das läuft weniger über mich. Wie Provenienzforschung gestaltet ist, ist von Museum zu Museum sehr unterschiedlich und hängt natürlich auch mit Stellen zusammen. Dadurch, dass ich hier unbefristet bin, kann ich mir auch mal meine großen Projekte suchen; ich kann selber einfach Forschung machen. Es ist da natürlich so, dass ich für die einzelnen Referate genauso Zuarbeiter bin, oder auch für Anfragen zuständig bin. Im Prinzip bin ich erst mal für alles zuständig, was irgendwie historisch ist. Aber es kommt natürlich auch immer auf das jeweilige Fachreferat an. Da gibt es auch unterschiedliche Referent*innen, die unterschiedliche Schwerpunkte haben, weil manche natürlich mehr mit moderner Kunst arbeiten und weniger historisch Für diese Abteilungen arbeite ich mehr. Für andere Abteilungen, wo jetzt auch ein Referent sitzt, der auch historisch arbeitet, arbeite ich dann natürlich weniger. Das hält sich so ein bisschen die Waage. Aber im Prinzip machen auch die anderen Referent*innen genauso Provenienzforschung. Ich persönlich arbeite mehr im archivalischen Bereich. Ich schaue: Was haben wir in unserem Archiv, was haben wir da für Unterlagen? Wie forsche ich dann mit weiteren, anderen Archiven und Bibliotheken oder anderen Mitteln weiter? Ich mache also eher diesen archivarischen Bericht. Zu den Objekten selber hole ich mir gerade dadurch, dass ich für alles zuständig bin, und somit auch nicht für alles Experte bin, , entweder Rat bei Kurator*innen oder auch bei entsprechenden Partner*innen. Gerade wenn es um Projekte mit Herkunftsgesellschaften geht, sind die meisten auch in den jeweiligen Fachreferaten verankert, das heißt, die Referent*innen sind auch da die Ansprechpartner*innen für die Projekte.

 

Würden Sie Studierenden der Geschichtswissenschaft raten, in die koloniale Provenienzforschung zu gehen?

Ganz klare Antwort: jein. Es kommt immer so ein bisschen drauf an, was man machen möchte, welche Erwartungen man natürlich auch hat. Man muss sich verschiedenen Dingen bewusst sein. Natürlich ist es ein sehr abwechslungsreicher Bereich, ich finde es sehr spannend. Es hängt natürlich immer wieder auch davon ab, wofür man eingestellt wird. Es ist ja immer noch so, dass die meisten Stellen nur Projektstellen sind. Das heißt, man wird meistens nur für eine relativ kurze Zeit eingestellt, ist auf einen kleinen Teilbereich fokussiert, und man bekommt deswegen oftmals auch gar nicht den vollständigen Einblick und ist gar nicht ein integrierter Teil des Museums. Und es ist auch sehr, sehr schwierig, da eine langfristige Anstellung zu bekommen. Ich weiß nicht, wie viele unbefristete Provenienzforscher es gibt, aber das ist sehr, sehr bescheiden. Ich bin in der glücklichen Lage, so eine Stelle zu haben, aber das ist wirklich die allergrößte Ausnahme Nichtsdestotrotz: Ich mag die Arbeit, es ist wirklich sehr spannend, vielfältig, es muss dann aber jede*r für sich selbst entscheiden.

 

Vielen Dank für das Interview, Herr Himmelsbach!

 

Ein Interview von Sandra Höhn


Interview vom 17.10.2024, Stuttgart.


Fußnoten:

[1] Die Mapuche sind eine indigene Gruppe in Chile.

[2] https://lindenmuseum.de/stuttgart_afghanistan/ (externer Link), gerade ausgelaufene Sonderausstellung am Lindenmuseum: Stuttgart - Afghanistan.

Infospalte


Aktuelle Kategorie:

Arbeitsfeld Public History

 … auch interessant:

Stuttgart erinnert an den Nationalsozialismus Teil 1/2

 

Verwandte Themen:

Geschichtslernen digital

 

Folge uns auf  Twitter:



Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Institut für Geschichtsdidaktik und Public History

Wir bieten Ihnen interessante Informationen und Wissenswertes über Geschichte in unserem Alltag und für die Schule: von Ausstellungsrezensionen über Unterrichtsmaterial bis hin zu Reise- und Fortbildungstipps. Alles was Geschichtsinteressierte begeistert – Klicken Sie sich schlau!