Am 9. Mai im Jahr 1502 brach Christoph Kolumbus zu seiner vierten Expedition über den Atlantik auf. Auf dieser Reise erreichte er zum ersten Mal amerikanisches Festland – in dem Glauben, endlich Indien erreicht zu haben. Am 15. August konnten die Seefahrer als erste Europäer einen Blick auf die Kakaobohne erhaschen. Sie beschlagnahmten auf der Insel Guanaja kurz vor der heutigen honduranischen Küste ein schwer beladenes Handelskanu der Maya, voll mit verschiedenen Nahrungsmitteln, Waffen und Stoffen – und einem Berg an frischen Kakaobohnen. Weder Kolumbus noch seine Gefährten erkannten die „Mandeln“ wie sein Sohn Ferdinand die Bohnen später beschrieb.[1] Auch den Wert, den die Bohne für die einheimische Bevölkerung hatte, erahnten die Fremden nicht.
Die Geschichte der Schokolade – bzw. die des Kakaos – begann mit der Olmeken-Zivilisation um 3000 v. Chr. im Süden des heutigen Mexikos. Sie waren wahrscheinlich die ersten, die Kakaopflanzen anbauten und nutzten. Auch das Wort „Kakao“ lässt sich vielleicht auf ihrer Sprache zurückführen. Über die Rolle der Schokolade bei den Maya und den Azteken wissen wir weit mehr: Die Zubereitung von Kakaogetränken und -suppen war zu ihrer Zeit fester Bestandteil kulturellen Lebens in Mittelamerika. Bei prunkvollen Begräbniszeremonien der Maya fungierten reich verzierte Amphoren gefüllt mit Kakao als Grabbeigaben für angesehene und mächtige Personen.[2]
Und auch die Lebenden hatten eine Schwäche für Kakao: als bitteres, schaumiges Getränk, gewürzt mit Chili und Vanilleschoten oder gestreckt mit Maispulver. [3] Die Bohnen wurden getrocknet und gemahlen, das Pulver mit heißem oder kaltem Wasser aufgegossen, mit weiteren Zutaten verfeinert und als Suppe oder Getränk verzehrt. Nicht bekannt ist, ob die chacau haa, die heiße Schokolade, den lokalen Eliten vorbehalten war, oder in allen Schichten genossen wurde. Die Kakaobohnen erfüllten auch wichtige Funktionen in der mittelamerikanischen Wirtschaft, bei Maya und Azteken. Kakao wurde auf plantagenartigen Feldern für den weiträumigen Export angebaut. Die geernteten Bohnen waren Handelsgut und Währung zugleich – Geld, das auf Bäumen wuchs. [4] Ihr Wert wurde nicht durch ihr Gewicht, sondern ihre Anzahl bestimmt, und die Bohnen wurden noch lange bis in die Kolonialzeit hinein als Zahlungsmittel gebraucht. Ein Dokument aus dem Jahr 1545 listet gängige Preise auf. Für eine Kakaobohne konnte man eine große Tomate oder eine Sapotillfrucht erwerben. Ein kleines Kaninchen war schon etwas teurer, getauscht wurde für 30 Bohnen. Ein Truthahn, das kostspieligste Nahrungsmittel auf der Liste, war 200 Bohnen wert.[5]
Mit Kolumbus und seinen Nachfolgern endete die Blütezeit der mittelamerikanischen Kulturen, und damit auch ihr Kult um den Kakao. Die Spanier unter Hernán Cortés eroberten das Aztekenreich und ernannten sich zur neuen Herrschaftselite. Sie erkannten schnell das profitbringende Potential der Bohne, und zwangen die indigenen Produzenten dazu, Anbau und Ernte auf ihren Plantagen zu intensivieren. Jedoch konnte die durch die Spanier und ihre eingeschleppten Krankheiten dezimierte Bevölkerung der stetig steigenden Nachfrage nicht nachkommen.[6]
Die Europäer konnten sich mit dem bitteren Getränk zunächst nicht recht anfreunden. Girolamo Benzoni, ein Italiener, der sich einige Zeit in der sogenannten Neuen Welt aufhielt, brachte seine Missbilligung so zum Ausdruck:
„Sie [die Schokolade, Anm. d. V.] schien eher ein Getränk für Schweine zu sein als für die Menschheit. Ich war seit über einem Jahr in diesem Land und wollte es nie probieren, und wann immer ich an einer menschlichen Siedlung vorbeikam, bot ein Indianer mir etwas davon an und war erstaunt, daß ich es nicht annahm, und ging lachend davon. Doch dann, als einmal der Wein knapp war, tat ich, um nicht immer nur Wasser zu trinken, wie die anderen. Der Geschmack ist ein wenig bitter, er sättigt und erfrischt den Körper, macht jedoch nicht betrunken und ist, wie die Indianer dieses Landes sagen, die beste und teuerste Ware.“ [7]
Doch letztendlich kamen selbst die Skeptischsten auf den Geschmack der braunen Bohne: Zucker und Honig machten den bitteren Kakao auch für den europäischen Gaumen unwiderstehlich. Mit der gesteigerten Nachfrage in Europa sollte sich die kulturelle Rolle, die Produktion und der Verzehr des Kakaos von Grund auf verändern.
Ein Beitrag von Lisa Blum
Weiteführende Literatur:
Coe, Sophie/Coe, Michael: Die wahre Geschichte der Schokolade, Frankfurt a.M. 1997.
MacLeod, Murdo: Cocoa, In: Kiple, Kenneth/ Coneè Ornelas, Kriemhild (eds.): The Cambridge World History of Food, Cambridge 2000.
Shapiro, Howard-Yana/ Grivetti, Louis (Hrsg.): Chocolate. History, Culture and Heritage, Hoboken 2009.
Fußnoten:
[1] vgl. Coe, Sophie/Coe, Michael: Die wahre Geschichte der Schokolade, Frankfurt a.M. 1997, S. 131.
[2] vgl. MacLeod, Murdo: Cocoa, In: Kiple, Kenneth/ Coneè Ornelas, Kriemhild (eds.): The Cambridge World History of Food, Cambridge 2000, S. 636.
[3] vgl. Coe/Coe 1997, S. 77.
[4] vgl. MacLeod 2000, S. 636.; der Ausdruck stammt aus einer Dissertation: Millon, René Francis: When money grew on trees: a study of cacao in ancient Mesoamérica, London 1982.
[5] vgl. Coe/Coe 1997, S. 119 f.
[6] vgl. MacLeod 2000, S. 637.
[7] Benzoni, Girolamo: Storia des Mondo Nuovo, Faksimile der Ausgabe von 1575, Graz 1962.
Bilder (mit externen Links, letzter Zugriff am 16.11.2020):
*Oberes Bild:
Claus Bunks aka Afrobrasil on flickr, Public domain, via Wikimedia Commons
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cacao.jpeg
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/91/Cacao.jpeg
**Unteres Bild:
Distributed under: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cacao_Aztec_Sculpture.jpg#filelinks
Description: A statue of a men holding a cacao bean download from this web http://www.latinamericanstudies.org/aztec-figures.htm
(C) National Antropology and History Museum of Mexico. This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.
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