· 

Kurator im Tübinger Stadtmuseum - Ein Interview mit Dr. Bruno Wiedermann-Kashefipour


Dr. Bruno Wiedermann-Kashefipour hat in Tübingen und Stockholm Ur- und Frühgeschichte, Archäologie des Mittelalters und Mittelalterliche Geschichte studiert. In der Mittelalterlichen Geschichte hat er auch promoviert. Entstanden ist die Arbeit mit dem Titel: „Himmlische Körper. Konstruktionen von sozialer Differenz in laienastrologischen Sammelhandschriften des 14.-16. Jahrhunderts“. Im Anschluss an seine Promotion arbeitete er in der Vermittlung im Lern- und Gedenkort Hotel Silber in Stuttgart. Sein Volontariat machte er im Stadtmuseum Tübingen und ist dort seit 2022 als Kurator, wissenschaftlicher Mitarbeiter und in der Museumspädagogik tätig.

Das Tübinger Stadtmuseum. Bild: Maren Brugger.
Das Tübinger Stadtmuseum. Bild: Maren Brugger.

Berit Krause (BK): Bruno, wie bist Du dazu gekommen, Dein Volontariat im Stadtmuseum zu machen und seitdem auch dort zu arbeiten?

 

Dr. Bruno Wiedermann-Kashefipour (BW): Das Museum ist ja ein klassischer Ort, an dem Geschichtsvermittlung und ein Austausch zwischen der Beschäftigung mit Geschichte einerseits und der Gesellschaft andererseits stattfindet. Deswegen fand ich das spannend. Eine Zeitlang habe ich Geschichtsvermittlung gemacht; erst war ich in Stuttgart im Hotel Silber, und anschließend habe ich hier im Stadtmuseum Tübingen hospitiert. Als dann das Volontariat ausgeschrieben wurde, habe ich mich beworben und habe das Volontariat dann hier gemacht. Und seitdem bin ich hier.

BK: Was sind bei Dir im Moment aktuelle oder typische Aufgaben? Gibt es so etwas überhaupt?

BW: Es ist sehr vielfältig, was nicht unbedingt nur an der Institution Museum liegt, sondern auch daran, dass das Stadtmuseum in Tübingen eben ein relativ kleines Haus ist, in dem man mit sehr vielen Arbeitsbereichen immer zwangsläufig auch direkt zu tun hat. Bei größeren Häusern, die eine feste Abteilungsstruktur haben, ist man, glaube ich, sehr viel stärker in einem Bereich. Aber hier geht das alles so ein bisschen Hand in Hand.

Meine Arbeitstage sind sehr unterschiedlich. Was sich durchzieht, ist, dass ich eigentlich immer mit dem ganzen Team zu tun habe. Meine Arbeit hat dadurch auch eine ganz starke praktische Komponente.

Inhaltlich habe ich zwei Aufgabenfelder. Das eine ist tatsächlich ganz klassisch Kuration, da bin ich mit der Überarbeitung der stadthistorischen Ausstellung beschäftigt. Da geht es viel um konzeptionelle Sachen, Recherche kommt auch dazu. Dann habe ich aber auch einen Stellenanteil in der Vermittlung. Da konzipiere ich im Grunde Vermittlungsangebote, die dann von freien Vermittler*innen durchgeführt werden.

Nachdem Dr. Bruno Wiedermann den Aspekt der Vermittlungsarbeit bereits angesprochen hat, haben wir uns anschließend darüber unterhalten, was „Vermittlungsarbeit“ eigentlich bedeutet und ob es einen Unterschied zur Museumspädagogik gibt. Dabei ging es viel um die Geschichte und die historische Gewordenheit der Vermittlungsarbeit und darum, was aktuelle und zukünftige Perspektiven sind.

BK: Du sprichst tendenziell eher von Vermittlungsarbeit als von Museumspädagogik. Wo liegen für Dich da Unterschiede?

BW: Letztlich ist es vor allem eine begriffliche Unterscheidung, gar nicht so sehr eine inhaltliche. Für mich ist aber wichtig, dass ich Vermittlung ganzheitlich verstehe. Ich habe zwar gerade gesagt, dass ich zwei Stellenanteile habe, im kuratorischen Bereich und im vermittlerischen Bereich, aber eigentlich finde ich diese Trennung unsinnig. Ich will keine Ausstellungen machen, die nur für einen ganz kleinen Teil der Besucher*innen funktionieren, und für die es eine extra Vermittlungsabteilung braucht. Ich finde, das muss man mehr zusammendenken. Und in diesem Sinne sehe ich Vermittlung als Gesamtaufgabe des Museums. Das fängt bei der Ausstellungsrecherche an.

BK: Es klang deutlich an: Das, was Dir an Deiner Arbeit mit am wichtigsten ist, ist das ganzheitliche Vermitteln. Was für Ideen hast Du für Tübingen für die Vermittlungsarbeit der Zukunft? Und was planst oder überlegst Du im Moment, was setzt Du vielleicht schon um?

BW: Grundsätzlich halte ich es für sehr wichtig, dass man Vermittlung nicht in erster Linie von den Inhalten her denkt, die man vermitteln möchte, sondern immer aus Besucher*innen-Perspektive. Man sollte sich immer fragen: Wen will man denn eigentlich erreichen? Was brauchen die denn? Was interessiert die vielleicht? Dann kommen natürlich die Inhalte dazu, das ist mir als Historiker selbstverständlich auch wichtig. Aber ich finde es nicht sinnvoll, gleich von dieser Inhaltsebene auszugehen.

Das, was ich am Stadtmuseum sehr schön finde, ist, dass wir hier sehr viel darüber nachdenken, wie Ausstellungen so sein können, dass man auch wirklich etwas mitnimmt, ohne schon umfassendes Vorwissen oder ein Spezialinteresse mitzubringen. Dazu gehört auch ganz essentiell, dass Ausstellungen nicht nur aus Texten und Dingen hinter Glas bestehen. Natürlich ist das ebenso ein Teil von Museumsarbeit: Objekte sind wichtig, sie haben ein unheimliches Potential. Auch die Sammlungsarbeit gehört dazu, sie ist eine ganz große Stärke der Museumsarbeit. Aber ich finde es wichtig, sich zu überlegen, wie man Dinge anders präsentieren und anders machen kann, als nur ein Objekt auszustellen und einen Text daneben zu setzen. Ich glaube, in diesem Bereich ist noch sehr viel möglich, gerade auch im Hinblick darauf, mit interaktiven Ansätzen zu arbeiten.

Ein anderer Bereich in der Vermittlung ist, neben dem Ausstellung-Machen, das Veranstaltungen-Machen, das Kommunizieren über die Ausstellung. Und ich glaube, dass man da noch mehr mit den potentiellen Zielgruppen ins Gespräch kommen kann. Das ist jedenfalls ein Bereich, mit dem ich mich beschäftige. Beispielsweise geht es bei den Schulen darum, noch mehr ihnen gemeinsam die Bedarfe zu klären, also zu gucken, was man machen kann, sodass die Schulen nicht immer erst von selbst ins Museum kommen müssen, sondern dass man sie vorher schon erreicht oder auch ermutigt zu kommen.

Ein weiterer Aspekt ist, dass man die schon erwähnte Öffnung des Museums auf zwei Ebenen sehen kann.

Die eine Ebene ist: Ich habe etwas, das möglichst gut für viele Leute funktioniert. Da ist das Ziel, eine Ausstellung von uns aus so zu machen, dass sie möglichst niedrigschwellig ist und für möglichst viele Leute funktioniert.

Der andere Ansatz ist eher partizipativ. Hier geht es darum, dass man eine Ausstellung von vornherein mit Leuten gemeinsam macht. Das überschneidet sich, aber es sind trotzdem zwei etwas unterschiedliche Sachen.

Bei dem ersten Ansatz sind es die Profis im Museum, die sich etwas ausdenken und das dann im Austausch mit der Zielgruppe testen und immer mehr an deren Bedürfnisse anpassen. Bei dem anderen Ansatz geben die Kurator*innen die Deutungshoheit ein wenig aus der Hand und man entscheidet gemeinsam mit Leuten, was überhaupt gezeigt werden soll. Dadurch macht man diesen kuratorischen Prozess gemeinsam. Das ist viel offener und auch eine wichtige Vermittlungsarbeit. Denn dadurch bindet man Leute ans Haus, gibt ihnen Räume. Es ist eher vom Prozess her gedacht und nicht so sehr vom Ergebnis her.

Und Vermittlungsarbeit in genau diesen verschiedenen Bereichen ist das, was wir im Stadtmuseum machen. Das ist aber auch nicht abgeschlossen, sondern ein Lernprozess, in dem wir in Zukunft auch noch mehr ausprobieren werden, und bei dem ich auf jeden Fall Lust habe, weiterzumachen.

Anschließend ging es in unserem Gespräch darum, welche Kompetenzen Historiker*innen mitbringen sollten, wenn sie im Museum arbeiten wollen, und wie der berufliche Einstieg in diesem Bereich gelingen kann.

BK: Häufig wird ja auch bei den Ausschreibungen von Volontariaten sehr exakt angegeben, mit welchen Schwerpunkte die Bewerber*innen am besten studiert haben sollten.

BW: Ich glaube, das ist tatsächlich für den Einstieg wichtig. Nicht so sehr, weil es fachlich eine große Rolle spielt, sondern weil das ein Grund ist, in die engere Auswahl zu kommen. Aber sobald man erst einmal im Museumsbetrieb ist, sind andere Sachen viel wichtiger. Es mag nochmal ein bisschen anders sein, wenn man in einem kleineren Haus mit einer ganz klaren Thematik alleine verantwortlich ist. Aber bei einem größeren Haus oder bei einem übergreifenderen Haus, wie es das Stadtmuseum Tübingen ist, da ist es einfach nicht mehr so wichtig.

BK: Du würdest Studierenden, die überlegen, sich in Richtung Museum zu orientieren, also den Rat geben, sich tendenziell zwar auf ein Thema zu fokussieren, aber gleichzeitig auch nicht nur ‚Fachidiot‘ zu sein, sondern sich stattdessen für übergreifende Themen zu interessieren und auch ein Interesse an Vermittlung mitzubringen?

BW: Ich glaube, dass Praktika in Museen oder eine andere Beschäftigung damit, wie man denn eigentlich Geschichte vermittelt, wichtiger ist als das historische Tiefenwissen in einem bestimmten Teilgebiet. Hinzu kommen die grundsätzlichen Sachen, die wichtig sind: Recherchekompetenz, Umgang mit Quellen und Objekten und Texte schreiben. Aber das ist ja nicht an irgendeine historische Epoche gebunden.

BK: Hättest Du Dir gewünscht, dass im Studium die praktische Herangehensweise an Vermittlungsarbeit vielleicht auch mehr vermittelt wird?

BW: Nicht unbedingt. Was ich wirklich lernen musste, als ich im Museum angefangen habe, war, die Sachen, die ich mache, wirklich bis zur ganz konkreten Nutzung durch die Besucher*innen zu denken und auch bis dahin umzusetzen. Das ist eben keine reine wissenschaftliche Arbeit, bei der man sich ein Konzept ausdenkt und das aufschreibt, sondern man muss gemeinsam mit dem Haustechniker gucken, dass der Text durch das Vitrinenglas lesbar ist, auf was für ein Material man das aufbringt und wie das überhaupt gesehen wird. In einem größeren Haus machen so etwas Gestaltungsfirmen. Aber trotzdem gehört das zur Arbeit und zum Job dazu. Und das ist etwas, das man, glaube ich, nur ziemlich schwer in einem Uni-Seminar vermitteln kann.

Die allgemeinen historischen Kompetenzen, die ich im Studium gelernt habe, Quellen- und Textarbeit und Recherche und so weiter, das sind für mich wichtige Qualifikationen. Für ein Museumsteam reicht es nicht, wenn alle Leute nur das können. Man kann kein Museum machen, in dem alle nur Fachhistoriker*innen sind, sondern man braucht auch Leute, die eher aus einer medienwissenschaftlichen oder aus einer handwerklich-praktischen Perspektive kommen. Man braucht ein diverses Team. Aber wenn man Geschichte studiert hat und aus dieser Richtung ins Museum kommt, dann sind, glaube ich, das die Kompetenzen, die man mitbringt und die man einbringt ins Team.

BK: Sollt es an der Uni vielleicht mehr Veranstaltungen geben, in denen es darum geht, wie man Geschichte spannend macht, wie man Geschichte spannend erzählt? Also zum Beispiel, indem man eher deskriptive Hausarbeiten schreibt, die eher erzählerisch sind.

BW: Ja, das finde ich total cool, wenn man einen historiographischen Text als Erzählung und als Literatur ein bisschen mehr würdigt und das den Leuten auch beibringt. Das wäre echt etwas, das sinnvoll wäre, im Studium noch anders zu machen. Denn das Texteschreiben ist eine wirklich wertvolle Kompetenz. So erlebe ich das. Als ich neu von der Uni ans Museum gekommen bin, dachte ich zwischendurch auch, naja, was kann ich denn eigentlich? Was habe ich denn eigentlich gelernt, das hier nützlich ist? Und ich würde schon sagen, dass Texte schreiben da dazugehört und dass das wirklich etwas ist, das ich gelernt habe. Das ist eine Kompetenz, die Historiker*innen außerhalb der Uni sehr gut einbringen können, aber sie müssen sich das Akademische aktiv wieder abtrainieren.

Abschließend sind wir auf die Zukunft der Museen im Allgemeinen und der Vermittlungsarbeit im Museum im speziellen zu sprechen gekommen und haben uns darüber unterhalten, was für Herausforderungen und Chancen Dr. Bruno Wiedermann sieht. Das habe ich ihm nämlich auch als offene Frage gestellt:

BK: Wo siehst Du denn jetzt, aber vielleicht auch für die Zukunft, Herausforderungen im Museum, sowohl in der kuratorischen, aber vor allem auch in der Vermittlungsarbeit? Und wo liegen in den Herausforderungen vielleicht auch Chancen?

BW: Das liegt alles im Bereich der ‚Öffnung des Museums‘. Diese Forderung, ‚Museum für alle‘, die ich und vermutlich mittlerweile die meisten anderen Leute auch sofort unterschreiben würden, stammt aus den 1970er, 1980er Jahren – in der BRD, in der DDR kam das ein bisschen früher. Aber die empirische Besucher*innenforschung zeigt, dass in den letzten 40 Jahren kaum etwas erreicht wurde. Die soziale Zusammensetzung des Museumspublikums bleibt eigentlich gleich. Und wenn sich Museen öffnen und etwas Cooles machen, dann kommen vielleicht mehr Leute, aber nicht wirklich andere.

Das ist da erstmal eine etwas niederschmetternde, aber interessante Aussage, finde ich. Und ich glaube, dass das nach wie vor eine Herausforderung ist, aber gleichzeitig ist es für mich auch das Spannende, immer wieder darüber nachzudenken, wie man denn die Sachen interessant und relevant erzählen kann, oder auch erst einmal darüber nachzudenken, was denn überhaupt relevant ist. Das ist ja vielleicht gar nicht so selbstverständlich.

Man kann es noch konkreter machen: Ich glaube, die Diversität der Museumsmachenden ist ein ganz zentraler Punkt. Die Erfahrungen, die bei Museumsprofessionellen vertreten sind, die decken das Spektrum der Gesamtgesellschaft überhaupt nicht ab. Und das ist eine große Herausforderung, weil das Museum immer noch irrelevanter wird, wenn man es nicht schafft, diese Perspektiven der postmigrantischen Gesellschaft mitzuberücksichtigen. Und das kann man nicht schaffen, wenn sich nicht auch die Teams diversifizieren. Natürlich muss dieser Prozess auf beiden Ebenen stattfinden, auch inhaltlich und bei der Ansprache, aber auch auf jeden Fall in den Teams und das ist, glaube ich, wirklich erst einmal eine sehr große Herausforderung für die Institution Museum. Aber wenn man das schafft, dann ist das natürlich total cool, weil da ganz viel in Bewegung gerät. Das finde ich gar nicht so einfach, aber auf jeden Fall spannend.

Deswegen kommt dieser Impuls der Öffnung auch ganz stark aus der Vermittlung. In der Vermittlung hat man, wenn man schon keine Diversität im Team hat, zumindest die Konfrontation mit diesen anderen Perspektiven und die Rückmeldung ‚hey, was wir hier machen, ist für ganz viele Leute eigentlich irgendwie doch ziemlich irrelevant‘. Und denkt dadurch automatisch über solche Fragen nach.

Ich glaube, der Ansatz ist, positive Erlebnisse im Museum zu schaffen, sodass die Leute das Gefühl kriegen, dass das auch ein Ort für sie ist. Das bezieht sich auch nicht nur unbedingt auf Leute mit Migrationserfahrung. Ich glaube aber, dass das Stadtmuseum Tübingen da ein gutes Beispiel für Veränderung ist und ich glaube nicht, dass diese Aussage, es kommen immer nur dieselben wie vor 40 Jahren, aufs Stadtmuseum Tübingen zutrifft. Wir haben viel mehr Besucher*innen, seitdem hier die neue Leitung ist. Jetzt haben wir ungefähr 40.000 Besucher*innen im Jahr und davor war‘s ein Drittel davon. Und da andere Erfahrungen zu ermöglichen, das ist sicher ein Anfang.

Vielen Dank für das Interview!

 

Ein Interview von Berit Krause


Interview vom 26.04.2024, Tübingen.


Infospalte


Aktuelle Kategorie:

Arbeitsfeld Public History

 … auch interessant:

Stuttgart erinnert an den Nationalsozialismus Teil 1/2

 

Verwandte Themen:

Geschichtslernen digital

 

Folge uns auf  Twitter:



Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Institut für Geschichtsdidaktik und Public History

Wir bieten Ihnen interessante Informationen und Wissenswertes über Geschichte in unserem Alltag und für die Schule: von Ausstellungsrezensionen über Unterrichtsmaterial bis hin zu Reise- und Fortbildungstipps. Alles was Geschichtsinteressierte begeistert – Klicken Sie sich schlau!