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Ein Stück Neuseeland in Tübingen: Das Tübinger Poupou


Von 1768 bis 1771 begab sich der britische Seefahrer James Cook mit seiner Crew auf dem Schiff „HMS Endeavour“ auf die erste von insgesamt drei Südseereisen. Dabei wurde das „Tübinger Poupou“, ein Schnitzwerk der Maori, aus Neuseeland nach Europa gebracht. Dieses gelangte als Schenkung in die Ethnologische Sammlung der Universität.[1] Im Rahmen einer geplanten Ausstellung am MUT wurden für die Herkunftsgeschichte des „Tübinger Poupous“ zwei schriftliche Quellen ausgewertet: Die Beobachtungen von James Cook[2] und Joseph Banks[3], welche beide Teil der Expedition waren, ermöglichen lediglich einen eurozentrischen Blick auf den Besuch der Endeavour in Tolaga Bay. Ein Interview mit einer Angehörigen des iwi Te Aitanga-a-Hauiti soll daher eine Gegenperspektive aufzeigen.

 

Abb. 1: Das Tübinger Poupou im MUT, via Wikimedia Commons.*
Abb. 1: Das Tübinger Poupou im MUT, via Wikimedia Commons.*

Bedeutung des Poupous für die Maori

Poupous sind hölzerne Wandpaneele, welche als Pfosten oder Wandschmuck in maorischen Versammlungshäusern (sog. wharenui) verwendet werden. Die maorische Gemeinschaft (sog. iwi) Te Aitanga-a-Hauiti widmete dabei ein Poupou seiner Prinzessin Hinematioro. Dieses ist heute als „Tübinger Poupou“ (vgl. Abb. 1) bekannt. Aufgrund der Funktion als Ahnenbild kann das Poupou nicht nur als künstlerisches Objekt wahrgenommen werden. Für die Maori ist das Poupou ein taonga (Schatz). Sein kultureller Wert ist im Zusammenhang mit der whakapapa zu verstehen, welche sich mit „Verwandtschaft“ gleichsetzen lässt. Doch für die Maori bedeutet diese viel mehr als die reine genealogische Abstammung: Die Beziehungen, die zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart bestehen, sollen aufrechterhalten und damit von Generation zu Generation weitergegeben werden. Die whakapapa ist damit ein zentraler Begriff in der Kultur der Maori, welcher einerseits familiäre und kulturelle Verbindungen, andererseits das kollektive Gedächtnis und die eigene Identität formt. Dies erfolgt mitunter durch das Poupou, weshalb es für die Maori auch eine lebende Person und somit ein aktiver Teil ihrer Gemeinschaft ist.[4]

 

Abb. 2: James Cook, via Wikimedia Commons.**
Abb. 2: James Cook, via Wikimedia Commons.**

Der Aufenthalt in Tolaga Bay

James Cook (1728–1779, vgl. Abb. 2) führte auf seinen Reisen ein tagebuchähnliches Logbuch. Aus diesem lässt sich rekonstruieren, dass die Endeavour vom 23. bis zum 30. Oktober 1769 in der Tolaga Bay (Neuseeland) ankerte. Wahrscheinlich gelangte das Poupou in dieser Zeit an Bord.[5] Obwohl neben Natur- und Wetterereignissen ebenso Handelsbeziehungen in Form von sogenannten ‚Kuriositäten’ und ‚Kleinigkeiten’ im Logbuch erwähnt werden,[6] lassen sich keine Informationen über einen Raub, einen Kauf oder eine Schenkung des Poupous finden.

Zum Ende des einwöchigen Aufenthalts in Tolaga Bay besuchte Cooks Crew eine Insel südöstlich der Uawa-Bucht, die heutzutage Pourewa Island heißt.[7] Die Forschung ist sich sicher, dass das Poupou von dort stammt.[8] Obwohl das Logbuch nicht vom Aufenthalt auf der Insel berichtet, lassen sich mithilfe eines Tagebuchs des Mitreisenden Joseph Banks (1742/43-1820) Informationen über den Besuch auf Pourewa Island zusammentragen. Hier berichtete er von einem eindrucksvollen Haus, das mit Holzschnitzereien ausgestattet war.[9] Es wird daher angenommen, dass es sich dabei um ein wharenui (Versammlungshaus) handelte, aus dem das Poupou entfernt wurde.[10] In seinen Aufzeichnungen vermerkte Banks allerdings nichts zu einer Mitnahme des Poupous.

Es wäre möglich, dass sowohl Cook als auch Banks den Wert der Objekte für die Maori nicht verstanden. Cook nahm beispielsweise an, dass die Maori nichts Wertvolleres besäßen, als das, was sie ihm bereits gegeben hätten.[11] Dass das Poupou in Cooks Schriften keine Erwähnung findet, könnte womöglich damit zusammenhängen, dass es für ihn kein erwähnenswertes Objekt war. Auch Banks konnte nicht herausfinden, für welchen Zweck das Haus und die Paneele auf Pourewa Island gefertigt wurden. Er erkannte aber zumindest seinen emotionalen Wert für die Maori.[12]

 

Stimme(n) aus der Maori-Community

Im Rahmen der Ausstellungsvorbereitungen wurde hierzu im Jahre 2023 ein Interview mit einer Angehörigen des iwis geführt. Sie führte an, dass für das Poupou keine zeitgenössischen maorischen Quellen vorliegen würden. In der maorischen Kultur wird Geschichte überwiegend mündlich übermittelt, zum Beispiel in Form von Liedern oder aber auch der whakapapa. Obwohl orale Überlieferungen unser Wissen bereichern, sind sie stark anfällig für Veränderungen. Je nach dem, welche Personengruppen oder Einzelpersonen Informationen weitergeben, kann die Geschichte anders aussehen.[13]

Unter Berücksichtigung der Oral History und der vorhandenen schriftlichen Quellen gelangte die Maori zu dem Schluss, dass es sich beim Poupou nicht um ein Geschenk an die Europäer handeln könne. Sie selbst kann sich zwar nur darauf beziehen, was für eine Geschichte in ihrer Familie tradiert wurde. Aber dadurch, dass das Poupou als lebendiges Familienmitglied erachtet wird, hält sie es für ausgeschlossen, dass man dieses verschenkt hätte. Die Überlegung, dass das Poupou eventuell Tupaia, einem aus Tahiti stammenden Übersetzer auf dem Schiff, übergeben wurde,[14] lehnt sie ebenfalls ab: Sie ist der Ansicht, dass er den Wert des Poupous hätte einordnen können. Er selbst war polynesischer Abstammung und demnach hätte er eine derartige Schenkung mit hoher Wahrscheinlichkeit abgelehnt. Somit steht für sie die unerlaubte Mitnahme des Poupous fest.

Abb. 3: Im Rahmen der kleinen Werkausstellung „Königlicher Besuch im Stadtmuseum. Die Maori Prinzessin und James Cook“ war das Poupou im (post-)kolonialen Labor des Stadtmuseums Tübingen, Foto: MUT | L. Rau).***
Abb. 3: Im Rahmen der kleinen Werkausstellung „Königlicher Besuch im Stadtmuseum. Die Maori Prinzessin und James Cook“ war das Poupou im (post-)kolonialen Labor des Stadtmuseums Tübingen, Foto: MUT | L. Rau).***

Diese Auffassung steht aber nicht stellvertretend für die ganze Maori-Community. Es handelt sich hierbei um eine von vielen Perspektiven, die auf Grundlage der weitergegebenen Geschichte innerhalb der Familie basiert. Heutzutage wird das Poupou laut den Vertretern des iwi als Geschenk offiziell anerkannt.[15] Aus diesem Grund wird es auch nicht zurückgefordert und verbleibt in der Sammlung der Universität Tübingen.

 

Die Provenienz des Poupous

Aus den Aufzeichnungen von Cook und Banks sowie dem Interview mit einem Mitglied des iwi Te Aitanga-a-Hauiti lassen sich keine abschließenden Antworten darauf finden, wie das Poupou letztendlich an Bord der Endeavour gelangte. Es kann also weder belegt noch widerlegt werden, dass es sich beim Poupou um ein Geschenk, um ein Handelsobjekt oder aber auch um ein illegitim erworbenes Objekt handelte. Zwar gibt es weitere Beobachtungen in den persönlichen Dokumenten anderer Crew-Mitglieder, doch auch diese können zu keiner endgültigen Beantwortung der Frage führen.

Abb. 4: Das Tübinger Poupou auf dem Banner zur Ausstellung im Stadtmuseum Tübingen, Foto (C): Stadtmuseum Tübingen | Evamarie Blattner.****
Abb. 4: Das Tübinger Poupou auf dem Banner zur Ausstellung im Stadtmuseum Tübingen, Foto (C): Stadtmuseum Tübingen | Evamarie Blattner.****

Für das Museum stehen deshalb zunächst der Austausch und die Zusammenarbeit mit den Maori im Fokus, damit eine für alle Parteien zufriedenstellende Lösung gefunden werden kann. Auch wenn Eigentumsrechte von Objekten hier nicht endgültig geklärt werden können, rückt die Herkunftsgeschichte des Poupous für viele Maori zunächst in den Hintergrund. Ihnen geht es in erster Linie darum, einen dauerhaften Zugang zum Poupou zu erhalten, um ihre Beziehung mit dem taonga pflegen zu können.[16] Im MUT werden diese Bedürfnisse der Angehörigen respektiert und auch der Ahnin der Maori wird mit Respekt begegnet: So reiste sie 2019 nach Neuseeland in ihre Heimat[17] und wird zugleich weiterhin regelmäßig von ihren Nachkommen besucht - das nächste Mal voraussichtlich im Jahr 2025.

 

Ein Beitrag von Vanessa Meyer und Sarah Schkatula


Literaturverzeichnis:

Binney, Judith: Maori Oral Narratives, Pakeha Written Texts. Two Forms of Telling History. In: New Zealand Journal of History 38, 2 (2004), S. 203-214.

Harms, Volker: Das Tübinger Poupou. Maori-Schnitzwerk der ersten Südsee-Expedition James Cooks. Tübingen 2017 (=Kleine Monographien des MUT, 7).

Ngata, Wayne/ Lythberg, Billie/ Salmond, Amiria: Toi Hauiti and Hinematioro: a Maori ancestor in a German castle. In: Carreau, Lucie [u.a.] (Hrsg.): Pacific Presences – Volume 2: Oceanic Art and European Museums. Leiden 2018, S. 329-341.

Salmond, Anne: Tears of Rangi. Experiments across the world. Auckland 2017.

Salmond, Anne: The Trial of the Cannibal Dog. Captain Cook in the South Seas. London [u.a.] 2003.

 

Internetquellen:

Bierende, Edgar: Das Poupou auf Reisen, 14.10.2019. URL: https://www.unimuseum.uni-tuebingen.de/de/infos/news/das-poupou-auf-reisen (30.11.2024).

Te Kuru o te Marama Dewes: Hinematioro pou returns to her ancestral home, 23.10.19. URL: https://www.teaonews.co.nz/2019/10/23/hinematioro-pou-returns-to-her-ancestral-home/ (02.01.2025).

 

Bilder:

*Abb. 1: Das Tübinger Poupou im MUT, Bild: Museopedia, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons, URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:MUT-007.jpg.

**Abb. 2: James Cook, Bild: Nathaniel Dance-Holland, Public domain, via Wikimedia Commons, URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Captainjamescookportrait.jpg.

***Abb. 3: Im Rahmen der kleinen Werkausstellung „Königlicher Besuch im Stadtmuseum. Die Maori Prinzessin und James Cook“ war das Poupou im (post-)kolonialen Labor des Stadtmuseums Tübingen, Foto (C): MUT | L. Rau).***

****Abb. 4: Das Tübinger Poupou auf dem Banner zur Ausstellung im Stadtmuseum Tübingen, Foto (C): Stadtmuseum Tübingen | Evamarie Blattner.

 

Fußnoten:

[1] Vgl. Harms, Volker: Das Tübinger Poupou. Maori-Schnitzwerk der ersten Südsee-Expedition James Cooks. Tübingen 2017 (=Kleine Monographien des MUT, 7), S. 9.

[2] Cook, James: The Journals of Captain James Cook on his Voyages of Discovery. I. The Voyage of the Endeavour 1768-1771, editiert von J. C. Beaglehole. Cambridge 1955.

[3] Banks, Joseph: Journal of the right. hon. Sir Joseph Banks Bart., K.B., P.R.S. During Captain Cook’s first voyage in H.M.S Endeavour in 1768-71 to Terra Del Fuego, Otahite, New Zealand, Australia, The Dutch East Indies, Etc. Herausgegeben von Joseph D. Hooker. London 1896.

[4] Vgl. Ngata, Wayne/ Lythberg, Billie/ Salmond, Amiria: Toi Hauiti and Hinematioro: a Maori ancestor in a German castle. In: Carreau, Lucie [u.a.] (Hrsg.): Pacific Presences – Volume 2: Oceanic Art and European Museums. Leiden 2018, S. 329-341, hier: S. 330. / Salmond, Anne: Tears of Rangi. Experiments across the world. Auckland 2017, S. 3.

[5] Vgl. Cook, James: The Journals of Captain James Cook, Einträge vom 23. Oktober bis 30. Oktober 1769, S. 183-186.

[6] Vgl. ebd., Eintrag vom 29. Oktober 1769, S. 186.

[7] Vgl. ebd., Eintrag vom 29. Oktober 1769, S. 185.

[8] Vgl. Harms: Das Tübinger Poupou, S. 28f. / Ngata/ Lythberg/ Salmond: Toi Hauiti and Hinematioro, S. 337.

[9] Vgl. Banks, Joseph: Journal During Captain Cook’s first voyage, London 1806, Eintrag vom 29. Oktober 1769, S. 193.

[10] Vgl. Ngata/ Lythberg/ Salmond: Toi Hauiti and Hinematioro, S. 334.

[11] Vgl. Cook: The Journals of Captain James Cook, Eintrag vom 29. Oktober 1769, S. 186.

[12] Vgl. Banks: Journal During Captain Cook’s first voyage, Eintrag vom 29. Oktober 1769, S. 193.

[13] Vgl. Binney, Judith: Maori Oral Narratives, Pakeha Written Texts. Two Forms of Telling History. In: New Zealand Journal of History 38, 2 (2004), S. 203-214, hier: S. 203.

[14] Vgl. Salmond, Anne: The Trial of the Cannibal Dog. Captain Cook in the South Seas. London [u.a.] 2003, S. 126.

[15] Vgl. Te Kuru o te Marama Dewes: Hinematioro pou returns to her ancestral home, 23.10.19. URL: https://www.teaonews.co.nz/2019/10/23/hinematioro-pou-returns-to-her-ancestral-home/ (zuletzt abgerufen am 02.01.2025).

[16] Vgl. Lythberg, Billie/ Ngata, Wayne/ Salmond, Amiria: Curating the Uncommons: Taking Care of Difference in Museums. In: Schorch, Philipp/ McCarthy, Conal (Hg.): Curatopia. Museums and the Future of Curatorship. Manchester 2019, S. 227-243, hier: S. 231.

[17] Vgl. Bierende, Edgar: Das Poupou auf Reisen, 14.10.2019. URL: https://www.unimuseum.uni-tuebingen.de/de/infos/news/das-poupou-auf-reisen (30.11.2024).

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Bild: Das Grab von Songea Mbano. Quelle: Pressemappe Salzgeber.
Bild: Das Grab von Songea Mbano. Quelle: Pressemappe Salzgeber.
Bild:  Fotomontage mit Robert Koch, Schlafkranken, Tsetsefliege und dem späteren Heilmittel Bayer 205, Quelle: Koloniales Bildarchiv, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer 042-0247-20.
Bild: Fotomontage mit Robert Koch, Schlafkranken, Tsetsefliege und dem späteren Heilmittel Bayer 205, Quelle: Koloniales Bildarchiv, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Bildnummer 042-0247-20.
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Bild: Wikimedia Commons (Lizenz CC0), https://commons.wikimedia.org/wiki/File:092_togo.png (09.06.2023).
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