Schützenswertes Denkmal oder unnötige Steuerlast? – Diese Frage beschäftigt die Stadt Sigmaringen und ihre Einwohner bereits seit über 20 Jahren. Die Rede ist vom Bahnhofsgebäude in der Bahnhofsstraße 1. Doch was genau macht ein Gebäude schützenswert und wann wird dies außer Kraft gesetzt? Dies lässt sich anhand des einst geplanten Bahnhofsabriss in Sigmaringen erklären. Ursprünglich erwarb die Stadt Sigmaringen das Gebäude 1991 von der Deutschen Bahn mit dem Plan, es in der Zukunft abzureißen – doch es sollte anders kommen.
Neun Jahre lang geschah nichts. Die Stadt wusste schlichtweg nicht, was sie mit dem Gebäude bzw. mit dem nach dem Abriss freiwerdenden Grundstück anfangen sollte. Im Jahr 2000 erklärte dann der baden-württembergische Denkmalschutz das Bahnhofsensemble zu einem denkmalgeschützten Bau – ein Abriss war damit vom Tisch. Die Frage jedoch ist: Was macht das Gebäude in der Bahnhofstraße 1 zu einem Denkmal? Die Antwort liegt in der Geschichte des Bahnhofs. Das Bahnhofsgebäude samt Ensemble, das aus einem Nebengebäude und einem Weichenwärterhaus besteht, wurde im Jahre 1873 errichtet, zu Zeiten des Deutschen Kaiserreichs. Sigmaringen war zu dieser Zeit die Landeshauptstadt des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen und gehörte weder zum Großherzogtum Baden noch zum Königreich Württemberg. Um der Funktion einer preußischen Landeshauptstadt in Bedeutung und Funktion auch in Form von Infrastruktur gerecht zu werden, wurde das Bahnhofsensemble errichtet. Es ist daher aufgrund seiner Historie einzigartig im südwestdeutschen Raum, was den Hauptgrund für dessen Ernennung zu einem Denkmal darstellte.
Die Stadt Sigmaringen wollte die nötigen Gelder für eine Sanierung Anfang der 2000er nicht aufbringen. Da zu dem Zeitpunkt auch von Seiten der Bevölkerung kein Interesse an der Immobilie vorhanden war, fungierte es nach Ernennung zum Denkmal als Unterkunft für wohnungslose Menschen und Wärmestube. Beide Einrichtungen wurden jedoch seit spätestens 2013 in andere Gebäude verlegt, da das Bahnhofsgebäude sich laut Stadtbaumeister Exler in einem „desolaten Zustand [befand] und für Wohnungszwecke nicht mehr geeignet ist“[1]. Entgegen der üblichen Vorstellung ist eine Ernennung zum Denkmal nicht unumkehrbar. Es existieren drei Kriterien, welche erfüllt werden müssen, damit ein Denkmalschutz abgebrochen wird:
- Es findet sich kein Käufer, der die Immobilie übernimmt
- Eine wirtschaftliche Sanierung und weiterer Unterhalt sind unzumutbar
- Die städtebauliche Entwicklung wird gestört[2]
Das Landesamt für Denkmalpflege in Baden-Württemberg befand diese Kriterien im Jahr 2013 als nicht erfüllt. Die Stadt wurde als finanzstark genug betrachtet, um das Gebäude im Rahmen des Haushalts zu erhalten. Ebenso störe das Gebäude nicht die städtebauliche Entwicklung der Stadt. Da bereits zwei der oben genannten Punkte nicht erfüllt waren, wurde ein Abriss endgültig ausgeschlossen. Die Stadt hatte zwei Möglichkeiten. Entweder man fand eine*n Investor*in, welche*r das Gebäude saniert und, wie vom Sigmaringer Stadtbaumeister Thomas Exler beschrieben, „einer öffentlich verträglichen Nutzung zuführt“[3]. Oder die Stadt übernahm die Sanierung auf eigene Kosten, um es daraufhin öffentlich zu nutzen. Letzteres wurde dabei intensiv diskutiert und in Betracht gezogen: die Idee war, in dem sanierten Gebäude das Stadtmuseum einziehen zu lassen. Überraschenderweise und ohne nähere Erläuterung wurde eine städtische Nutzung später jedoch ausgeschlossen. „Wir haben über eine Nutzung nicht mehr weiter nachgedacht“[4] hieß es von Seiten des Bürgermeisters Thomas Schärer. Die Stadt erhielt 2014 zusätzlich noch 780 000 Euro aus dem Fördertopf des Landes für den Erhalt des Denkmals, den höchsten Betrag aller Kommunen im Landkreis Sigmaringen.[5]
Bis 2012 führte die Stadt Gespräche mit einem privaten Investor, welcher Interesse daran hatte das Gebäude zu erwerben, zu renovieren und daraufhin ein Wohn- und Geschäftshaus einzurichten. Nach einer Kostenevaluation stellte sich jedoch heraus, dass für ihn ein Neubau deutlich billiger war, sodass er von seinem Vorhaben zurücktrat.[6]
Um ein besseres Verständnis für die Vorgänge zu entwickeln bietet es sich an, es mit einem ähnlichen, aber bekannteren Phänomen zu vergleichen: Stuttgart 21. Das groß angelegte Verkehrs- und Städtebauprojekt zur Neuordnung des Eisenbahnknotens in Stuttgart sorgte, vor allem aufgrund des geplanten Abriss von denkmalgeschützten Gebäuden, für Aufruhr in Teilen der Bevölkerung. „ZehntausENDE! – Widersetzen sich Stuttgart 21“ war nur einer der vielen Slogans, die während den Demonstrationen zu Stuttgart 21 gerufen wurden. Weshalb verhinderte der baden-württembergische Denkmalschutz den Abriss nicht, ähnlich wie im Fall Sigmaringen? Auch hier gilt es, einen Blick auf die bereits oben genannten Kriterien zu werfen, welche einen Abbruch eines Denkmals rechtfertigen. In Stuttgart blieb der größte Teil des unter Denkmalschutz stehenden Empfangsgebäudes erhalten, ebenso Bahnhofshalle und Turm. Lediglich der Seitenflügel sowie die rückwärtigen Gebäudeteile wurden abgerissen. Im Planfeststellungsbeschluss der Deutschen Bahn wurde drauf hingewiesen, dass der Denkmalschutz die „verkehrlichen, betrieblichen und vor allem die städtebaulichen Vorteile des Projekts gegenüber dem jetzigen Zustand so schwer wiegen, dass das öffentliche Interesse am uneingeschränkten Erhalt des Bonatzgebäudes hier hinter dem öffentlichen Interesse an der Verwirklichung des geplanten Vorhabens zurücktreten muss.“[7] Hier wurde ein Kriterium erfüllt, welches im Beispiel Sigmaringen nicht zu erfüllen war: Im Gegensatz zum Bahnhofsgebäude in Sigmaringen befindet sich der gesamte Stuttgarter Hauptbahnhof nach wie vor im Besitz der Deutschen Bahn, welche mit ihrem Umbau das öffentliche Interesse an einem reibungslosen Bahnverkehr erfüllen will.
Das Bahnhofsgebäude befindet sich aktuell nach wie vor im Besitz der Stadt Sigmaringen. Eine Sanierung bzw. Renovierung des Gebäudes wurde noch nicht vollzogen. Auch auf Nachfrage bei den zuständigen Behörden bei der Stadt Sigmaringen konnte man bezüglich der Zukunft des Gebäudes keine näheren Angaben machen. Die vom Land bewilligten finanziellen Zuschüsse wurden ebenfalls bis dato nicht genutzt. Die Anzeige, die die Stadt im Internet inserierte, welche das Gebäude zu einem Preis von 225 000 Euro listete, ist mittlerweile heruntergenommen worden. Sicher ist, dass der Stadt Sigmaringen das Gebäude in der Bahnhofstraße 1 definitiv erhalten bleibt – offen bleibt nur, mit welcher Funktion.
Ein Beitrag von Jusef El-Fachtali
Fußnoten:
[1] Christoph Wartenberg, 17.01.2013: Stadt sucht nach einer Sanierungsmöglichkeit, Schwäbische Zeitung
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Christoph Wartenberg, 01.10.2014: Bahnhofstraße 1 soll 225 000 Euro kosten, Schwäbische Zeitung.
[5] Michael Heschler, 03.04.2014: Bahnhofstraße 1: Abriss ist vom Tisch, Schwäbische Zeitung.
[6] Christoph Wartenberg, 01.10.2014: Bahnhofstraße 1 soll 225 000 Euro kosten, Schwäbische Zeitung.
[7] Planfeststellungsbeschluss nach § 18 Abs. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) für den Umbau des Bahnknotens. Stuttgart „Projekt Stuttgart 21“ Planfeststellungsabschnitt 1.1.
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