· 

Tonic-Water: Die bitter-süße Beigabe im Hipster-Drink

In einem früheren Blogbeitrag erzählten wir eine kurze Geschichte des Gin. Um diesen zu einem echten Hipster-Drink, dem "Gin und Tonic" zu mixen, bedarf es aber noch jener charakteristischen Zutat, die dem Getränk erst die angenehm bittere-süße Note gibt. Der Ursprung dieser Substanz ist räumlich und zeitlich viel weiter entfernt zu suchen.

Bild: Timo Mäule, werbefrei.
Bild: Timo Mäule, werbefrei.

In Kalkutta, 100 Jahre zuvor, schlucken ein Offizier der britischen East India Company und seine schottische Frau eine bittere Medizin aus Chinarinde – aus Chinin, dem Grundstoff des Tonic Water. Gegen die Bitterkeit hilft ein kräftiger Schluck Gin.

 

Chinarinde wurde bereits 1738 botanisch beschrieben[1], 1807 von Alexander von Humboldt näher erforscht[2] und war ein wichtiger Meilenstein in der Medikation von Malaria.[3] Der ökologische Austausch nach 1492, columbian exchange genannt, hatte den beiden Amerikas mit der Malaria eine bisher unbekannte Krankheit gebracht. Im Jahr 1820 gelang die Isolierung von Chinin, die die Nutzung des Wirkstoffs ermöglichte.[4] Ursprünglich kam die Chinarinde aus dem Andenraum.[5] In Peru wurde sie sogar Teil des Wappens, als Sinnbild der vorherrschenden Flora.[6] Somit wurde, über 300 Jahre nach den verheerenden Seuchen in der „Neuen Welt“, ein Heilmittel für eine der größten Plagen der „Alten Welt“ gefunden. Ihre Rinde wurde schnell in die ganze Welt exportiert. Allerdings erfolgte dieser Export selektiv – die Verfügbarkeit von Chinin war ein Vorteil im kolonialen Konkurrenzkampf. Als Kulturpflanze gelangte die Chinarinde beispielsweise nach Afrika und Asien.[7] Somit stellte sie ein frühes globales Handelsgut dar, welches in Indien eine Schlüsselrolle zur kolonialen Unterwerfung und dauerhaften Beherrschung des Subkontinents spielen sollte.[8]

Bild: Timo Mäule, werbefrei.
Bild: Timo Mäule, werbefrei.

In der britischen Kolonie wurden die Kolonialherren, die versuchten ihr gewohntes Leben fortzuführen, besonders von Stechmücken geplagt, welche Malaria übertrugen.[9] Zur Prophylaxe wurde ihnen das Chinin verabreicht, welches wegen seines bitteren Geschmacks kaum trinkbar war. Um das Mittel genießbar zu machen und die Einnahme verträglicher zu gestalten, gaben sie daher die aus der Heimat bekannte Spirituose Gin hinzu.[10] Damit wurde das Notwendige mit dem Angenehmen verbunden und die britische Kolonialherrschaft konnte, mit all ihren Gräueln, weiterbestehen.

 

Wenn nun aber der einzelne Kolonialbeamte oder -soldat aus der Kolonie zurückkam, wollte er zeigen, wie weitgereist er war und dass er der Krone zu weiterer Expansion verholfen hatte. Wie konnte er dies leichter und angenehmer demonstrieren, als dass er plötzlich im heimischen Herrenclub den Drink bestellte, den er auch in Indien zu sich genommen hatte?[11] So konnte er jedem, scheinbar unauffällig, zeigen, dass er Teil der East India Company beziehungsweise ab 1858 der Kronkolonie Indien war, was zu dieser Zeit als Statussymbol und völlig unkritisch angesehen wurde. Die steigende Popularität und Verbreitung des Longdrinks beschränkte sich nicht auf die kolonialen Heimkehrer. Konsumenten konnten sich als weltgewandt und prokolonial inszenieren, in dem sie einen Gin Tonic bestellten.[12]

 

Das Ende der britischen Herrschaft in Indien 1947 bedeutete aber keineswegs das Ende des Getränks. Mittlerweile in das feste Repertoire jeder Bar eingegangen, wurde die Mischung einfach weiter konsumiert und die Herkunft vergessen. Denken wir beim nächsten Barbesuch daran und seien wir uns der kolonialen Herkunft und Bedeutung des bitter-süßen Tonic-Geschmacks bewusst.

 

Ein Beitrag von Felix Schwitzer

Quellen zu diesem Text


 

Fußnoten: 

[1] Hein, Wolfgang-Hagen: Alexander von Humboldt und die Pharmazie, Stuttgart 1988, 40.

[2] Wissemann, Volker/Nickelsen, Kärin: Katalog der Pharmakognostischen Sammlung der Georg-August-Universität Göttingen, Göttingen 2017, 16.

[3] Lucius, Richard/Loos-Frank, Brigitte: Biologie von Parasiten, 2. Auflage Berlin/Heidelberg 2008, 223.

[4] Curtin, Philip D.: The Image of Africa. British Ideas and Action, 1780–1850. Volume 2, Madison (Wisconsin) 1964, 355–357.

[5] Irion, Hans: China-Rinden, in: ders. (Hg.): Drogisten-Lexikon. Ein Lehr- und Nachschlagebuch für Drogisten und verwandte Berufe, Chemotechniker, Laboranten, Großhandel und Industrie, Zweiter Band: Chemikalien, Drogen, wichtige physikalische Begriffe in lexikalischer Ordnung, Erster Teil: A–K, Berlin/Heidelberg 1955, 287f., 287.

[6] Reid, John T.: An Aspect of Symbolic Nationalism in Spanish America. Aspirations and Emblems, in: Hispania 40 (1957), 73–75, 74.

[7] Chakrabarti, Pratik: Medicine and Empire 1600–1960, Basingstoke 2014, 127.

[8] Arnold, David: The New Cambridge History of India. Science, Technology and Medicine in Colonial India, Cambridge 2000, 71.

[9] Roy, Rohan Deb: Malarial Subjects. Empire, Medicine and Nonhumans in British India, 1820–1909, Cambridge 2017, 217.

[10] Winegard, Timothy C.: The Mosquito. A Human History of Our Deadliest Predator, New York 2019, 163.

[11] Warman, Arturo: Corn & Capitalism. How a Botanical Bastard Grew to Global Dominance, Chapel Hill (North Carolina) 2003, 2.

[12] Tarulevicz, Nicole: Eating Her Curries and Kway. A Cultural History of Food in Singapore, Chicago (Illinois) 2013, 15. 

 

Weiterführende Literatur:

Gänger, Stefanie: Cinchona Harvest, Deforestation and Extinction in the Quito & Santa Fé Audiencias, 1752–1811, in: Environmental History 24 (2019), 667 – 672.

McNeill, John Robert: Ecology and War in the Greater Caribbean, 1620-1914, Cambridge 2010.


Bilder:

Bitte beachten Sie die Angaben unter Quellenpapier > Koloniales hierzulande > Tonic-Water: Die bitter-süße Beigabe im Hipster-Drink > Bilder.


Infospalte


Aktuelle Kategorie:

Koloniales hierzulande

 

… auch interessant:

Der Elefant auf einem Tübinger Grab

 

 

 

Verwandte Themen:

Smart? Lernen per App

 

Folge uns auf  Twitter:



Kommentar schreiben

Kommentare: 0

Institut für Geschichtsdidaktik und Public History

Wir bieten Ihnen interessante Informationen und Wissenswertes über Geschichte in unserem Alltag und für die Schule: von Ausstellungsrezensionen über Unterrichtsmaterial bis hin zu Reise- und Fortbildungstipps. Alles was Geschichtsinteressierte begeistert – Klicken Sie sich schlau!