1928 war ein Sommer überschäumender Kolonialbegeisterung. Wer sich mit dem Verlust der deutschen Kolonien im Ersten Weltkrieg nicht abfinden wollte, der konnte vom 2. Juni bis zum 5. August 1928 in der württembergischen Landeshauptstadt in kolonialen Erinnerungen schwelgen.[1]
In den Gewerbehallen warteten Kolonialfotografien, Aquarelle, Dioramen und Kulturgüter aus den Kolonien von zweifelhafter Herkunft. Nach einem Rundgang durch mehrere Ausstellungsräume lockte eine Verkaufsmesse mit Kolonialwaren und Gewürztischen, an Messeständen präsentierten sich Unternehmen. Halle 3 beherbergte eine Spezialausstellung zur Tropenausrüstung, Halle 7 zeigte pharmazeutische Produkte und Forschungsaktivitäten von IG Farben, Boehringer & Söhne und des Instituts für Schiffs- und Tropenkrankheiten aus Hamburg. Gegenüber bot das Export-Musterlager seine Waren an. Im angrenzenden Stadtgarten zeigten zwanzig Fotografen, Künstler und Vereine ihre kolonialen Werke. Zur Erholung luden ein arabisches Café und eine chinesische Teestube ein. Als „visuelle und haptische Inszenierung von Exotik“ bezeichnet Britta Lange diese Ausstellungsart, die das Betrachten des Kolonialismus mit sinnlicher Erfahrung verknüpfte.[2]
Die Ausstellungsmacher idealisierten nicht nur die deutsche Kolonialherrschaft, vor allem wollten sie auch die Jugend für die koloniale Sache begeistern.[3] Schon am Eingang wurden die Besucher von Bildern bekannter Kolonialpioniere begrüßt: „Kühne Forscher und Kolonialoffiziere, bedeutende Gouverneure und Kolonialstaatssekretäre, verdienstvolle Missionare und Tropenärzte sowie bekannte Kolonialpioniere“, so beschreibt der Ausstellungsführer jene Männer, die „in der Ehrenhalle …. ihren Ehrenplatz gefunden haben“[4]. Sie hätten sich „um den Erwerb und um den Ausbau unserer Kolonien besonders verdient gemacht“ hätten. Diese Auswahl an Kolonialherren, darunter nicht wenige koloniale Gewalttäter, erschien den Kuratoren besonders geeignet, um der Jugend die „Aufopferungsfreudigkeit“ und „Vaterlandsliebe“ als beispielhafte Tugenden ans Herz zu legen.
Besonders eifrig war einer der Künstler, der im Stadtgarten großformatige Fotografien aus der ehemaligen Ostafrikakolonie präsentierte: Carl Uhlig, früherer Kolonialbeamter und Reichsmeteorologe, der nach dem Kolonialdienst als Geographieprofessor in Tübingen lehrte. Er führte den Vorsitz der Tübinger Sektion der Deutschen Kolonialgesellschaft und war inzwischen Mitglied des rechtsextremen Stahlhelms geworden. Als ausgewiesener Kolonialgeograph reiste er in der Zwischenkriegszeit nach Bessarabien (ins moldawisch-ukrainische Grenzgebiet), wo er das Siedlungsland ausgewanderter deutscher Bauernfamilien erkundete. Eines Tages würde man sie dem deutschen Herrschaftsgebiet einverleiben. Im Namen der aufstrebenden Leitwissenschaften der „Auslandskunde“ und des „Auslanddeutschtums“ verknüpften Uhlig und seine deutschtümelnden Kollegen an der Universität und am Deutschen Auslandsinstitut in Stuttgart (heute Institut für Auslandsbeziehungen) völkische Ideologie und kontinentale Expansionsgelüste mit Kolonialgeographie und kolonialrevisionistischer Erinnerungspolitik.
Diese nationalistische Gemengelage brachte Uhlig in einem Aufsatz für den Ausstellungsführer zum Ausdruck: „Wo ist der Raum, den unser Volk in einem geschichtlichen Morgen notwendiger braucht als das Leben? Wie kann es der Jahrtausende alten Not entgehen, daß zahllose seiner Besten fremdes Volkstum düngen, dort eingeschmolzen werden und daß ihre Nachkommen unsere schlimmsten Bedränger werden“, fragte Uhlig rhetorisch, denn die Antwort, das war im Kontext der Kolonialausstellung offensichtlich, konnte nur in den ehemaligen Kolonialgebieten liegen. Als Ausweg aus der „Raumnot“ pries er die Auswanderung in deutsche Kolonien, damit die Emigranten der deutschen Nation nicht verloren gingen.
„Der Ellenbogenraum auf unserer Erde wird täglicher kleiner, nicht zuletzt für das ohnehin eingeengte Deutschtum der Welt“, meinte Uhlig ähnlich wie der als „Kolonialdichter“ vorgestellte Hans Grimm, der bekannte Autor von Volk ohne Raum (1926), der eigentlich ebenfalls einem Vortrag für die Stuttgarter Kolonialwoche angekündigt hatte. Doch auch Uhlig verstand sich auf ideologische Überzeugungsarbeit. Neben der Linderung der Raumnot wähnte er noch eine Reihe von weiteren Gründen, die für die Rückerlangung eines deutschen Kolonialreiches sprachen: Die Jugend sollte in den Kolonien ein Experimentierfeld finden, was nichts anderes bedeuteten konnte, als dass Sie erneut die Gelegenheit bekommen sollte, ihr „Herrenmenschendasein“ auszuleben. Der in Versailles verletzte deutsche Nationalstolz wollte Uhlig wiederhergestellt und die Einbußen von 5000 Eisenbahnkilometern, von tropischen Hochländern als weiße Siedlungsgebiete und der Ausfall von Agrarexporten kompensiert wissen. Während der vom Weltmachtstreben getrübte Blick vieler Auslandskundler sich schon nach Osten richtete, bevorzugte Uhlig neue deutsche Landnahmen in Afrika. Die von dem Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer festgestellten Kontinuitätslinien von der deutschen Kolonialherrschaft zum Nationalsozialismus sind in der Kolonialbewegung der späten 1920er Jahre offensichtlich.
Der Sommer 1928 erschien Uhlig als der geeignete Zeitpunkt und die Kolonialausstellung der richtige Ort, um die kolonialrevisionistische Propagandatätigkeit zu forcieren. Die Inflation und die französische Okkupation von Ruhr-, Rhein- und Saargebiet waren überwunden, so dass der Geographieprofessor glaubte, die Bevölkerung sei nun wieder empfänglicher für koloniale Angelegenheiten. In Stuttgart fand er nun viele Mitstreiter, die wie er an eine erneute deutsche Kolonisierung afrikanischer Territorien zur Behebung der eingebildeten Raumnot glaubten. Der Historiker Dieter Langewiesche bezeichnete Carl Uhlig aufgrund seines öffentlichen Lamentierens über den „Verlust der Kolonien“ als den prominentesten Tübinger „Vergangenheitssucher“.[5] Überdies war er aber auch Vordenker einer zum Glück nie eingetretenen kolonialen Zukunft.
Ein Beitrag von Dr. Carsten Gräbel
[1] Amtlicher Ausstellungsführer: Kolonialausstellung Stuttgart 1928.
[2] Britta Lange: Stuttgart: Die Kolonialausstellung von 1928, in: Ulrich van der Heyden & Joachim Zeller (Hrsg.): Kolonialismus hierzulande. Erfurt 2007, S. 343-347.
[3] Das Organisationskomitee bestand aus dem Deutschen Ausland-Institut in Stuttgart, dem Landesverband des Frauenvereins vom Roten Kreuz für Deutsche über See, der Handelskammer und Stadtgemeinde in Stuttgart, der Stuttgarter Handelshof A.G., dem Verband für Württembergische und Badische Kolonialdeutsche, dem Verein für ehemalige Schutztruppen und der Kolonialfreunde Württembergs, dem Württembergischer Industrie- und Handelstag sowie dem Württembergischen Verein für Handelsgeographie. Den Vorsitz führte Generalkonsul Theodor Warner als Vorstandsmitglied des Württembergischen Verein für Handelsgeographie.
[4] Amtlicher Ausstellungsführer: Kolonialausstellung Stuttgart 1928, S. 18.
[5] Dieter Langewiesche: Die Eberhard-Karls-Universität Tübingen in der Weimarer Republik: Krisenerfahrungen und Distanz zur Demokratie an deutschen Universitäten, in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte, 51, (1992), S. 345-381.
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