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Alltag in der Vitrine - Rezension zum Museum der Alltagskulturen Schloss Waldenbuch

Eine rote Linie schlängelt sich durch das Schlosstor, entlang an Mauern und Brunnen. Sie tarnt sich an einigen Stellen, um sich dann, farbkräftiger als zuvor, ihren Weg empor einer alten Steintreppe zu bahnen, hinein ins Museum der Alltagskulturen im Schloss Waldenbuch. Doch wo ist sie hin? Wir nehmen eine neue Fährte auf und bemerken, dass das Rot in ein sattes Blau übergegangen ist und sich die Linie durch das Museum zieht. Wir folgen ihr und damit einer Spur in die Vergangenheiten. 

 

Wie leben Menschen, wie wohnen, schlafen, feiern sie, und was brauchen sie, um sich dabei wohl zu fühlen? Diese Fragen ziehen sich durch das Museum der Alltagskulturen im Schloss Waldenbuch. Mehrere Einzelausstellungen ergänzen sich zu einer Gesamtschau über vier Stockwerke. Im Untergeschoss kann man „ZeitSprünge“ unternehmen, im Erdgeschoss ist die Ausstellung ,,Mein Stück Alltag“ und im ersten Obergeschoss „Wohnwelten“ zu sehen. Das zweite Obergeschoss rundet die Ausstellung mit dem Thema der „Arbeitswelten“ ab. Das Museum bietet mit den „Wohnwelten“, welche im Fokus unserer Rezension steht, eine spannend inszenierte und lebendige Teilausstellung. 

Helden des Alltags in Szene gesetzt. Bild: Lars Sander/ Kim Scheiring.
Helden des Alltags in Szene gesetzt. Bild: Lars Sander/ Kim Scheiring.

Was brauchst du zum Leben?

Ist es Schutz? Liebe? Oder vielleicht etwas ganz anderes? Die Kuratierenden antworten auf diese Fragen in den Überthemen Schutz, Licht, Wärme, Sauberkeit und das Miteinander (Zusammensein). Für jedes dieser Themengebiete wurde je ein Raum eingerichtet. Die verschiedenen Räume kontrastieren sich. Besonders deutlich zeigt sich das bei den Räumen „Wärme“ und „Licht“. Der Bereich „Licht“ ist mit dunklem Holz ausgekleidet und nur von wenigen kleineren Lichtquellen beleuchtet. Der Raum „Wärme“ ist hell beleuchtet und überwiegend in Weiß gehalten. Im Ausstellungsraum befinden sich beispielsweise an einer Wand verschiedene Thermometer, welche alle um eine Heizung herum angeordnet sind. Gleich daneben ist mit einem Augenzwinkern zu lesen: „Wieso höher drehen? Es ist doch schon warm!“. Das ironische Spiel mit den schwäbischen Stereotypen taucht an verschiedenen Stellen der Ausstellung auf. Denn wer kennt nicht das Klischee, dass Schwaben geizig sind und sparsam hauswirtschaften. Also warum auch höher drehen? Wenn man den nächsten Raum „Licht“ betritt, steht man erst einmal wortwörtlich im Dunkeln. Nur wenn man sich den Weg mit einer kleinen Taschenlampe erleuchtet, erreicht man einen weiteren, kleineren Raum. Man steht da und erkennt nichts, bis plötzlich das Licht angeht und der Raum erstrahlt, beleuchtet durch eine Reihe verschiedener Lampen, historische und moderne Exemplare. Generell kann gesagt werden, dass in der gesamten Ausstellung nicht nur das Licht zur Inszenierung benutzt wird, sondern auch Musik und Sprache. Man steht beispielweise in einem Raum, sieht einige an die Wand projizierte schwarz-weiß Aufnahmen und dazu vernimmt man einen langsamen monotonen Uhrenschlag. Die Bilder scheinen sehr harmonisch und zeigen eine Stadt und Leute. Dies verändert sich jedoch mit an Geschwindigkeit und Lautstärke zunehmendem Uhrenschlag. Nicht mehr länger sind nur friedliche Bilder zu sehen, sondern Bilder von Krieg und Aufständen.

 

Helden des Alltags außergewöhnlich in Szene gesetzt!

Eine Besonderheit der Ausstellung stellt die Anordnung der Exponate dar. So werden beispielsweise Putzutensilien, Waschmittel oder gar Thermometer nicht einfach in einer Vitrine präsentiert. Eine bunte Auswahl an Haushalts- und Putzutensilien verschiedener Zeiten und Ausführungen werden um die angedeutete Silhouette einer (Haus-?) Frau herum angeordnet. Die Alltagsgegenstände werden so Teil einer künstlerischen Installation. Die Vermittlung von Inhalten stützt sich weniger auf streng vorgegebene Informationen als vielmehr auf Interpretation und Ästhetik. Die verschiedenen Ausstellungsräume zeigen uns nicht nur Einblicke in ein früheres Leben, sondern auch, wie wir heute leben und, dass dies nicht für selbstverständlich zu nehmen ist. Es gibt beispielsweise im Raum „Schutz“ vier historische Beispiele, wie man in der Vergangenheit sein eigenes Zuhause zu schützen vermochte. Über den Umweg der Vergangenheit nimmt man die schützende Behausung wieder als Privileg wahr.

 

Einfach nur Alltag?

Nichts ist so unscheinbar und gleichzeitig für unser Leben von solcher Bedeutung wie der Alltag. Im modernen 21. Jahrhundert wird unser Alltag vor allem durch die voranschreitende Technologie dominiert. Smartphones können hier als prägnantestes Beispiel genannt werden. Doch wie kann Alltag dargestellt werden, besonders der Alltag der vergangenen Jahrhunderte? Ein solch schwieriges Unterfangen nimmt sich das Museum der Alltagsgeschichte im Schloss Waldenbuch vor. Dies geschieht mit Hilfe eines Bettes oder mit dem Reisig-Besen aus dem 19. Jahrhundert. Keine besonders außergewöhnlichen Exponate, die aufgrund ihres Wertes oder ihres extravaganten Aussehens die Besuchenden begeistern, sondern einfache, schlicht alltägliche Gegenstände. Haben solche Exponate es dann überhaupt verdient, dass eigens für sie eine ganze Ausstellung erschaffen wird? Bieten Bett, Herd, Ofen oder Tisch als solche einen Mehrwert für Besucher*innen? Geht einem nur durch das betrachten dieser Alltagsgegenstände ein Licht auf? Nein, es sind nicht die einzelnen Exponate. Es ist das Gesamtbild, das geprägt wird in jedem einzelnen Raum der Ausstellung. Es ist nicht der alte Holztisch, sondern es ist das Mutmaßen darüber, wie das oben genannte Bett, der Herd, der Ofen und eben der alte Holztisch gemeinsam in einem 15 qm großen Raum stehen und man dann noch eine vierköpfige Familie sich ein Abendessen kochen sieht. Beklemmende Enge? Eventuell. So wie im gerade beschriebenen Bereich „Wohnen“ kommt es nicht auf die einzelnen Exponate an sich an, sondern auf die übertragene Stimmung. So kommt es auch im Bereich „Schutz“ nicht auf die löchrige Holztür in der Mitte das Raumes an. Sondern um die Vorstellung, wie man mit dieser Türe das eigene Zuhause vor Eindringlingen und Kälte schützte.

 

In vielen Bereichen kann man sich durch die neueren Objekte selbst mit dem Ausgestellten identifizieren und nicht selten hört man Ausrufe der Besuchenden wie „Genau so sah es bei mir auch aus“, „Das kenn ich auch noch von früher“ oder „Das waren noch Zeiten“. Die Ausstellung ist kein klassischer Musentempel, kein Ort der Ruhe. Im Gegenteil, das fröhliche Plappern hört man schon im Eingang, es zieht sich durch alle Räume hindurch. Was auch so gewünscht sei, wie uns ein Mitarbeiter verrät, denn „ein Museum soll ja Spaß machen“. Genauso empfanden wir es auch. Es war keineswegs störend, dass sich viele Menschen unterhielten und diskutierten, vielmehr fanden wir es bereichernd, uns mit anderen auszutauschen und Erfahrungen zu hören und auch zu teilen.

 

Typisch Schwäbisch

Sprüche wie „Schaffa, spara, Häusle baua“ „Heelenga z’amahocka“ oder Traditionen wie die altbekannte Kehrwoche stellen im Museum die schwäbische Sprache aus und nehmen auf Regionalitäten Bezug, was gerade für Besuchende aus dem Gebiet des „Schwabenländles“ für erweitertes Interesse sorgen soll. Unserer „schwäbischen“ Empfindung nach geht dieses Konzept auf, wir stoßen immer wieder auf „Altbekanntes“ und fühlen uns dadurch wohl und verbunden: Es schneit und draußen ist es kalt, der Schneesturm tobt und man würde eigentlich nicht mal seinen eigenen Hund vor die Tür setzen. Doch man hat Kehrwoche. Also nichts wie raus in den Schnee und schippen. Denn die Tradition darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. „Neigschmeckte verschdeha des hald ned.“

 

Mach mit!

Ob alt, ob jung, ob klein, ob groß – alle können mitmachen. Wichtig ist dem Museum, wie uns des Öfteren gesagt wurde, dass man nicht nur passiv dem Geschehen beiwohnt und sich „berieseln“ lässt, sondern selbst teilnehmen kann. An mehreren Stationen wird Aktion von den Besuchenden gewünscht, ja sogar gefordert. Man sieht Leute, die im dunklen Raum mit Taschenlampen unterwegs sind und ihn ausleuchten, gar erkunden. Oder im „Wohnstudio“ ihr Wohnzimmer nach Wünschen aus den vorhandenen Kulissen zusammenstellen. Wichtig ist den Kuratierenden hier, so glauben wir, dass niemand ausgeschlossen wird und jeder mitmachen kann.

 

So sind für uns vier Stunden wie im Flug vergangen. Der blaue Leitfaden wechselt am Ende der Ausstellung wieder in ein sattes Rot. Entlang der ursprünglichen Spur verlassen wir das Museum – raus durch das Stadttor und zurück in den Alltag – den man nun mit neuen Augen sehen kann.

 

Ein Rezension von Lars Sander und Kim Scheiring

Quellen zu diesem Text

Infospalte


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