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„Not made by slaves“: Ethisch korrektes Essen im 18. Jahrhundert?

Lesezeit ca. 4 Minuten

Bild: Andreas Praefcke, public domain.*
Bild: Andreas Praefcke, public domain.*

Welche Auswirkungen haben meine Kaufentscheidungen auf die Welt? Kann ich als Verbraucher gegen ungerechte Arbeitsverhältnisse kämpfen, indem ich bestimmte Waren nicht mehr kaufe? Das fragen sich nicht nur Menschen heute – schon vor über 200 Jahren wurde darüber nachgedacht. Und auch Label, die ethisch richtige Produkte kennzeichnen sollten, existierten bereits damals.

 

Das Produkt, um das es Ende des 18. Jahrhunderts ging, war der Zucker. Er wurde vor allem auf den karibischen Inseln hergestellt – und zwar von Sklaven. Diese arbeiteten auf Plantagen, wo Zuckerrohr angebaut wurde. Aus dem Rohr wurde der Saft gepresst und so lange erhitzt, bis Zuckerkristalle aus der wässrigen Lösung aufstiegen. Als Nebenprodukt entstand Melasse, die zur Rumproduktion genutzt wurde. Dies war ein hochprofitables Geschäft – die kleinen karibischen Inseln (Jamaika und Barbados für Großbritannien, Saint-Domingue (heute Haiti) für Frankreich) wurden zu den produktivsten und lukrativsten Kolonien im 17. und 18. Jahrhundert. In einer Epoche, in der zusätzliche Einnahmen für den Staatshaushalt immer wichtiger wurden, um ein stehendes Heer und den wachsenden Beamtenapparat bezahlen zu können, waren die Gewinne aus dem Zuckergeschäft für die Großmächte Großbritannien und Frankreich unabdingbar. 455 Zuckerplantagen gab es Mitte des 18. Jahrhunderts auf Jamaika, auf Saint-Domingue waren es sogar 556. Raffiniert wurde der Zucker jedoch in Europa, wo Zuckerfabriken einigen Städten zu großem Wohlstand verhalfen. Im 16. Jahrhundert, als der Zucker noch aus spanischen und portugiesischen Kolonien kam, wurde Antwerpen durch den Zucker-, Gewürz- und Tuchhandel zur reichsten Stadt Europas, später profitierten Städte wie London, Bristol, Bordeaux und Amsterdam. Allein in Bristol gab es Mitte des 18. Jahrhunderts 20 Zuckerraffinerien, die jährlich über 377 Tonnen Zuckerrohr verarbeiteten. Doch nicht nur Eigentümer von Plantagen und Raffinerien wurden durch den Zuckerhandel wohlhabend, auch Händler, Schiffseigentümer, Besitzer von Destillerien, Banker, Versicherer und Kapitalanleger verdienten an dem Geschäft mit dem Zucker. Die Zuckerbarone und ihre Verbündeten bildeten eine wichtige Klasse, die Einfluss auf politische Entscheidungen nahm.

 

Und auch die europäischen Gesellschaften profitierten: Laut neuesten Forschungen waren die Zuckerrohrplantagen in der Karibik die ersten europäischen Institutionen, die eine industrieähnliche Produktionsweise einführten. Das machte sie zu Vorläufern und Vorbildern der Fabrik, die während der Industriellen Revolution maßgeblich zum wachsenden Wohlstand in Großbritannien und Frankreich beitrug. Die verschiedenen Arbeitsprozesse mussten genau aufeinander abgestimmt werden, damit der Rohstoff nicht verdarb. Geerntet wurden die verholzten Halme des Süßgrases manuell mit Macheten. Das anschließende Pressen des Saftes fand in handbetriebenen Mühlen statt. Schnellstmöglich musste der Zuckersaft dann in den Siedehäusern gekocht werden. Hierzu wurden große Mengen an Holz als Brennstoff benötigt. Kahlschläge und die daraus resultierende Bodenerosion veränderten die Ökosysteme der Zuckerinseln nachhaltig. Voraussetzung für den Arbeitsablauf war ein striktes Zeitregiment, dem die Arbeiter, von denen mehrere Hundert auf einer Plantage arbeiteten, untergeordnet wurden. Es handelte sich dabei um Afrikaner, die aus ihrer Heimat verschleppt worden waren. Insgesamt wurden vier bis fünf Millionen Menschen zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert aus Westafrika in die Amerikas, genauer in die „Großkaribik“ inklusive der Südstaaten der USA und an die Nordküste Amerikas, deportiert. Mehr als jeder Zehnte starb bereits bei der Überfahrt und diejenigen, die auf den Inseln ankamen, lebten meistens nur noch ein paar Jahre – die schwere Arbeit, Mangelernährung und Krankheiten sorgten für eine hohe Sterblichkeitsrate.

 

Sie waren es, die den Reichtum schufen, der viele Europäer wohlhabend machte. Auf ihren Rücken, durch ihre Hände entstand der europäische Wohlstand und Konsum, der mit dem Zucker generiert wurde. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde dieser Umstand auch immer mehr Menschen – vor allem in Großbritannien – bewusst. Beispielsweise einem Lebensmittelhändler aus einer Kleinstadt nördlich von London, der im März 1792 in der örtlichen Zeitung Folgendes veröffentlichte: „Bestürzt von den unvergleichlichen Leiden unserer Mitmenschen, den afrikanischen Sklaven in den Westindischen Inseln, (…) mit der Einsicht, dass ich als Händler eines Gegenstands, der eine Hauptstütze des Sklavenhandels zu sein scheint, die Sklaverei fördere, nutze ich diesen Weg, um meine Kunden davon zu informieren, dass ich den Verkauf von Zucker einstellen werde, wenn ich den Vorrat, den ich zur Verfügung habe, veräußert habe, bis ich ihn über weniger verschmutzte Kanäle beziehen kann, die weniger mit Sklaverei zu tun haben und weniger mit menschlichem Blut verunreinigt sind.“

 

Er war nicht der Einzige. Die Bewegung der Abolitionisten, welche die Abschaffung der Sklaverei forderte, wuchs gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Großbritannien stark an. Allerdings hatte sie noch nicht genügend politischen Einfluss, um ihr Ziel zu erreichen. 1791 wurde der Antrag, den Sklavenhandel zu verbieten, im britischen Parlament abgelehnt. Deswegen verlegten sich die Abolitionisten auf eine andere Taktik: Boykott von Waren, die von Sklaven hergestellt wurden, und darunter vor allem: Zucker. Der Sklavereigegner William Fox gab kurz nach der Parlamentsdebatte ein Anti-Zucker-Pamphlet heraus, in dem es hieß: „Wenn wir die Ware kaufen, beteiligen wir uns an dem Verbrechen. Der Sklavenhändler, der Sklavenhalter und der Sklaventreiber sind praktisch Agenten des Konsumenten und können als von ihm angestellt und angeheuert betrachtet werden, um ihm die Ware zu beschaffen. Wir können davon ausgehen, dass wir mit jedem Pfund Zucker, das wir verwenden, zwei Unzen Menschenfleisch konsumieren.“ 25 Ausgaben mit insgesamt 70.000 Kopien wurden von dem Flugblatt hergestellt. Ein Jahr später sollen insgesamt 400.000 Menschen in Großbritannien Zucker aus der Karibik boykottiert haben. Laut Lebensmittelhändlern ging der Zuckerverkauf in manchen Gegenden des Landes um ein Drittel zurück.

 

1807 wurde der Sklavenhandel im Britischen Empire abgeschafft, aber nicht die Sklaverei an sich. Um dies zu erreichen, lebte die Boykott-Bewegung in den 1820er Jahren noch einmal auf. Als Alternative für den karibischen Zucker bot sich Zucker aus Indonesien und Indochina an, der durch freie Arbeit, vor allem durch dafür angeheuerte Chinesen, hergestellt wurde. Dieser Zucker wurde als ethisch unbedenklich vermarktet – zum Beispiel auf Zuckerdosen. „East India Sugar not made by Slaves“ war eine Möglichkeit, seine Zugehörigkeit zur Anti-Sklaverei-Bewegung zu demonstrieren. Zugleich kann das Label als Vorläufer späterer Fair Trade-Siegel bezeichnet werden – auch wenn die Arbeitsbedingungen der chinesischen Kulis keineswegs heutigen Vorstellungen von fair bezahlter Arbeit entsprechen.

 

1833 wurde die Sklaverei im gesamten Britischen Empire abgeschafft. Der Boykott von karibischem Zucker war für diese Entscheidung sicher nicht ausschlaggebend – dafür waren seine Effekte auf die Zuckerindustrie zu klein – aber er war das erste Mal, dass Konsumenten ihre Kaufkraft als Waffe eingesetzt hatten, um auf Güter, die auf unethische Weise produziert worden waren, zu verzichten. Die heute wieder aktuelle Frage, welche Güter den eigenen Werten entsprechen und an welchen womöglich Blut klebt, hat im Kampf gegen die Sklaverei ihre Vorbilder.

  

Ein Beitrag von Johannes Theisen

Quellen zu diesem Text

 


Literatur

Burnard, Trevor/ Garrigus, John: The Plantation Machine. Atlantic Capitalism in French Saint-Domingue and British Jamaica, Philadelphia 2018.

Mintz, Sidney W.: Die süße Macht. Kulturgeschichte des Zuckers, Frankfurt² 2007.

Reinhard, Wolfgang : Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der Europäischen Expansion 1415 – 2015, München² 2016.

Smith, Andrew: Sugar. A Global History, London 2015.

 

 

*Bild: 

Andreas Praefcke, public domian unter: https://en.wikipedia.org/wiki/File:East_India_Sugar_not_made_by_Slaves_Glass_sugar_bowl_BM.jpg#filelinks (externer Link, letzter Zugriff am 23.03.2020). 

 

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